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Medien: Russischer Weg?

Russlands kulturelle Identität ist sicher vor westlichen Einflüssen und bedarf auch keiner Muskelspiele

Man hat es ja vor nicht allzu langer Zeit auch schon in Deutschland gehört. Das Wort vom Sonderweg. Darauf folgte allerdings eine heftige innenpolitische Debatte, die diese Möglichkeit am Ende zurückgewiesen hat. In Russland ist das seit einiger Zeit anders. Wohin man kommt, mit wem man spricht, und sei es mit dem ominösen Mann auf der Straße, das Wort vom „eigenen russischen Weg“, der „eigenen russischen Kultur“ der „russischen Form von Demokratie“ klingelt einem in den Ohren. So auch auf dem letzten „Petersburger Dialog“ in Wiesbaden. Zum Beispiel in der „Arbeitsgruppe Medien“, die mit russischen und deutschen Journalisten besetzt war. Ich hatte ebenfalls Gelegenheit, dabei zu sein. Neben der Kritik, dass das Russland-Bild in der deutschen Presse zu negativ sei, gab es noch eine zweite Bruchlinie. Sie war freilich grundsätzlicher. Die Presse habe den Staat eher zu unterstützen, als ihn anzugreifen, meinten einige russische Kollegen.

Dagegen zu argumentieren war schwierig. Russland, so sagte einer, sei eben in dieser historischen Phase und das sei derzeit der russische Weg. Außerdem behaupte Russland, das etwas ganz Eigenes sei, eben seine Identität gegen fremde Einflüsse aus dem Westen. Gibt es das also – den russischen Weg?

In Diskussionen mit dem russischen Präsidenten ist etwas Vergleichbares zu hören, woraus sich schließen lässt, dass diese Linie auch für alle anderen gilt. Auf die Frage, was denn demokratisch sei, sagt er immer wieder, es gebe verschiedene Formen von Demokratie: die deutsche, die französische und eben – die russische Form. Rasch kommt man an das gleiche Ende wie oben, steht einander gegenüber und bemerkt, dass man in mehrerlei Hinsicht nicht mehr die gleiche (politische) Sprache spricht. Es sei denn, man geht auch hier davon aus, dass es eine eigene russische Form von Demokratie gibt, einen speziellen „russischen Weg“. Gibt es das also doch?

Das Ganze ist auch aggressiver und im Zweifel direkter zu haben. Die aus dem Nichts hochgezogene, kremlnahe Jugendorganisation „Naschi“ („Unsere“) zum Beispiel. Grade eben, am 7. Oktober, feierten rund 5000 von ihnen, zum Teil mit Bussen aus der Provinz herbeigekarrt, am Ufer der Moskwa im Herzen der Hauptstadt den 55. Geburtstag des russischen Präsidenten. Es war, unter einem riesigen Putin-Porträt, eine Art postmoderne Animationsveranstaltung mit Technosound und Hip-Hop-Sprüchen der anderen Art: „Rossia vperiod!“ „Russland nach vorne!“ hämmerten die Animateure den Jugendlichen ein und „Putin für immer!“

Die gleiche Jugendorganisation stürmte vor kurzem die Pressekonferenz der estnischen Botschafterin – die sonst allgegenwärtige und nicht zimperliche Polizei war plötzlich weg oder machte alle Augen zu –, um ihr klarzumachen, dass in Sachen Sowjetarmee, Kriegerdenkmal und die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs vor allem ein Geschichtsverständnis zu gelten hat: das russische.

Vielleicht ist es von hier aus am einfachsten aufzulösen. Ist etwa das der russische Weg? Das bewusste politische Aufheizen eines sowieso vorhandenen nationalen Unterstroms. Das, wenn es denn sein muss, brachiale Durchsetzen von Interessen mit der Hand am Energiehahn. Das ostentative Verkünden, dass „seit heute Nacht null Uhr“ die strategische Bomberflotte wieder fliegt. Es gibt deren Beispiele noch mehr.

Spätestens hier sollte man mit der Begriffsverwirrung aufräumen. Denn das Ganze ist einfacher. Das ist gar kein speziell russischer Weg. Diesen Weg sind auch andere autoritäre Staaten schon gegangen und haben ihn für ihren eigenen, nationalen ausgegeben. Zumindest ein Teil der demokratischen Freiheiten samt Pressefreiheit sind dabei in der Regel auf der Strecke geblieben – wenn nicht mehr. In Russland ist das nicht anders.

Dabei gibt es natürlich einen „russischen Weg“. Und das ist dann tatsächlich die eigene Kultur, die eigene Sprache, die eigene Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen. Im Ganzen das, was Russland liebenswert, sympathisch und gelegentlich etwas schwierig macht. Man muss das nur nicht mit der gegenwärtigen Politik oder irgendeinem politischen „russischen Weg“ verwechseln. Und noch eine Nachricht: Selbst wenn es irgendjemand versuchen wollte – die russische Identität zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok von Westen her gegen irgendetwas anderes auszutauschen ist erfreulicherweise schlicht und einfach unmöglich. Aber das wissen die Russen selbst. Der Rest sind unangenehme Kremlmanöver.

Der Autor ist Leiter des ARD-Studios Moskau.

Thomas Roth

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