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Medien: Schämt euch!

Gerhard Henschels „Gossenreport“ ist ein wuchtiger, ästhetisch begründeter Hieb gegen die „Bild“-Zeitung

Kai Diekmann gilt als ehrenwerter Mann. Er ist verheiratet, Vater, Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, er wurde unlängst in eine Hamburger Kirche gebeten, um über die Ethik des Journalismus zu sprechen; Helmut Kohl ist sein Förderer schon als Kanzler gewesen, er hat den jungen Diekmann mit dem Mantel der Geschichte erwärmt. Wenn der „Bild“-Chef zu einer Party lädt, sieht er dort die Hautevolee des Landes, also jene Gesichter, die man von Christiansen kennt, von Illner und Maischberger, aus der „Sportschau“ und aus Verlagsprospekten.

Gerhard Henschel ist ein ehrenwerter Schriftsteller. Seine Bücher erscheinen im Jahresrhythmus, er ist fleißig, sein Verlag Hoffmann und Campe hat Renommee in der Branche. Die Feuilletons feiern Henschels „detailversessene Romane“ („Süddeutsche“), „ein Prosameisterstück“ und „außergewöhnliches Lektüreerlebnis („Zeit“), Henschels Bücher seien „Kinderschokolade fürs Gemüt“ („FAZ“).

Henschel schätzt nicht, was Diekmann beruflich macht. Er hält „Bild“ für „Europas größte und übelste Sexualklatschkloake“. Um das zu beweisen, ist der Literat in diese Jauchegrube eingetaucht, monatelang, Tag für Tag, er hat dabei Überschriften und Fotos und Kleinanzeigen in seinem „Gossenreport“ zu Tage gefördert, er hält sie seinen Lesern vor die Nase, er fragt: Und, wie riecht’s? Als Antwort könnte da ein Satz von Karl Valentin stehen: „Es riecht nicht alles gut, was kracht.“

Was diese Betrachtung interessant macht, ist, dass es sie bislang so nicht gab. Für Intellektuelle alten Schlags wie Klaus Wagenbach, Heinrich Böll, Günter Grass und andere war es früh eine Frage der Haltung, sich mit „Bild“ als Medium nicht einzulassen; es schrieb „DDR“ in Anführungszeichen statt Ostpolitik zu machen, es hetzte gegen linke Studenten, wurde für das Attentat auf Rudi Dutschke verantwortlich gemacht … Günter Wallraff wiederum schlich sich in den 70er Jahren unter falschem Namen in die Redaktion, um deren schäbige Arbeitsweise öffentlich zu machen, sein „Der Aufmacher“ wurde ein Bestseller und „Bild“ als unseriöses Schmierblatt geächtet.

Lange her. Zuletzt hatte das Land einen sozialdemokratischen Kanzler, der glaubte, „Bild“ und die Glotze seien unabdingbare Vehikel seiner Politik; er machte sogar einen „Bild“-Mann zum Sprecher der Regierung. Heute schreibt Gerhard Schröder an seinen Memoiren.

Gerhard Henschel wird das freuen. Er macht keinen Hehl daraus, was er all jenen an den Hals wünscht, die sich mit „Bild“ einlassen: Hölle und Verdammnis. Dabei argumentiert er nicht politisch wie die alten Intellektuellen, er arbeitet nicht investigativ wie Wallraff. Er hat mit Kai Diekmanns Schaffen vielmehr ein ästhetisches Problem.

Warum, fragt Henschel, verkündet ein christdemokratischer Ministerpräsident seine Politik neben dem Leichnam eines in Hamburg verhungerten Kindes und einem „Sex-Witz“?

Warum muss der gläubige Bundespräsident seine Gedanken zur Rettung der Menschheit im Umfeld einer „heißen Oma“ los werden, die ihren Anrufern im Wettstreit mit „geilen Nymphen“ eine „Abspritzgarantie“ bietet?

Warum empfängt Papst Benedikt XVI. einen wie Kai Diekmann zum Fototermin, wo der doch durchs Ausbreiten von „Piesel-Affären“, „Sex-Bekenntnissen“ und „naturgeilen Gören“ seine Auflage macht? Zitiert wird der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke: „,Bild‘ liebt den Papst, ‚Bild‘ liebt die Show, und wenn es der Bibel zugute kommt, warum nicht?“ Zitiert wird Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: „Wenn der Papst ‚Bild‘ ein Interview gegeben hätte – dagegen hätte ich nichts gehabt.“ Und gleich neben der päpstlichen Botschaft ein „Devotes Luder will benutzt werden“ oder „Ordinäre Schlampe macht alles“?

Und warum zum Teufel, fragt Henschel, richtete der exkommunistische Politiker Jürgen Trittin devot „Grüße an die ‚Bild‘-Leser“? Weil er solche flankierenden Sätze kennt wie: „Popöchen in die Höh‘! Rachel Hunder (36) zeigt ihren knackig-apfeligen Allerwertesten und die Narbe an der Unterseite ihrer (operierten) Brüste“; oder darf’s das Foto eines geschändeten 13-jährigen Mädchens sein?

Kai Diekmann ist 42, Gerhard Henschel ist 44 Jahre alt. Da tobt kein Altlinker gegen einen jungen, konservativen Aufsteiger. Beide gehören deutlich zur Generation PSB (poststudentenbewegt). Henschel argumentiert geradezu wertkonservativ. Den Sittenverfall, den der „Bild am Sonntag“-Autor Peter Hahne sonst wo ortet, sieht er Tag für Tag in „Bild“ gefördert. Er ruft angeekelt und alttestamentarisch, wenn’s schon der Papst nicht tut: Schämt euch!

Schon einmal haben sich die Wege des „Bild“-Chefredakteurs und des Schriftstellers gekreuzt. Vor Jahren schrieb Henschel in der „taz“ eine fiktive Geschichte mit dem Titel „Sex-Schock! Penis kaputt?“. Kai Diekmann, hieß es da, habe sich einer Penisverlängerung unterzogen, die Operation sei jedoch missglückt. Der tief erschütterte Diekmann forderte 30 000 Euro Schmerzensgeld. Das Landgericht Berlin lehnte ab; im Urteil hieß es, Diekmann veröffentliche oft „persönlichkeitsverletzende Beiträge“, die auch „die Intimsphäre der Betroffenen“ verletze. Diekmann tue das bewusst, um „seine persönlichen Einkünfte“ zu befördern. Henschels Glosse, so das Gericht, nehme „genau diesen Journalismus kritisch aufs Korn“. Damit hatte sich der „Bild“-Chef nicht nur lächerlich gemacht, er war bloßgestellt.

Nun zitiert Henschel in seinem „Gossenreport“ Diekmann nach einem Interview mit der „FAZ“: „Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat.“ Der Autor stellt dieser Behauptung Beispiele gegenüber, Seite um Seite, und zeigt: Nichts bleibt privat, wenn „Bild“ Auflage wittert, weder der Tod von Lady Di noch das Leid eines missbrauchten Mädchens.

Inzwischen erreicht das Schnüffeln neue Qualitäten. Seit Wochen ermuntert das Blatt sogenannte „Leserreporter“, Prominente auf jedem privaten Schritt zu fotografieren, bei Abdruck wird eine Geldprämie bezahlt. Spitzelei im digitalen Zeitalter. Als ein Fernsehmagazin kürzlich über das Treiben der „Volkspaparazzi“ berichtete, sagte der Moderator: „Ich will Ihnen die Namen nicht nennen, von all den Prominenten, die sich nicht getraut haben, uns dazu ein Interview zu geben. Und jedes Mal hieß es – zwischen den Zeilen – mit denen lege ich mich nicht an. So weit ist es.“ Wer möchte schon von Millionen Augen auf Seite 1 als „Verlierer“ des Tages gesehen werden? Angst ist das Schmiermittel von „Bild“.

Es geht auch anders. Gerhard Henschel erinnert an einen offenen Brief an Axel Cäsar Springer, den Gunter Sachs 1979 in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichen ließ:

„Sehr geehrter Herr Springer,

dass Sie nicht für jede Zeile Ihrer Blätter verantwortlich zu machen sind, weiß ich. Andererseits ist bekannt, dass Sie zumindest die Richtlinien Ihrer Zeitungen und Zeitschriften bestimmen. Über den Tod meines Bruders berichtete Ihr ‚Bild‘: - ‚Der Tote im Schnee ist an seinem Reichtum erstickt.‘ – ‚Sein Leben und Sterben war wirklich nur eine Frage des Kontos.‘ – ‚Er war kleiner als Gunter, hatte nicht dessen große Nase, dessen behaarte Brust und was sonst noch an ihm groß sein soll.‘ Herr Springer, wir sind uns selten begegnet; ich möchte Sie nie mehr wiedersehen. – Gunter Sachs.“

Das ist der Stil, den Henschel so sehr vermisst.

Gerhard Henschel: Gossenreport, Betriebsgeheimnisse der „Bild“-Zeitung, Edition Tiamat, 191 Seiten, 14 Euro.

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