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Schau mal, wer da schießt: Die Kommissarinnen erobern den Fernsehkrimi

Immer mehr Frauen gehen auf Verbrecherjagd im "Tatort" und im ZDF-Krimi. Sehr verschieden sind die Polizistinnen, mal burschikos, mal verletzlich, mal „Generation Y“.

Anna Blomeier, 34, kann sogar spontan die Titelmelodie der alten Miss-Marple- Filme singen. Ihre neue Kommissarin Esther Rubens, die seit Mitte Mai den „Kriminalisten“ Christian Berkel, 55, bei seinen Ermittlungen unterstützt, bringt frischen Wind in den fast ausschließlich von Männer dominierten Krimi-Freitag des ZDF – sieht man von Katharina Böhms „Chefin“ einmal ab. Zufall, dass der Einstieg Blomeiers im ZDF mit dem Bekanntwerden des Ausstiegs einer anderen jungen Ermittlerin zusammenfiel. Anna Maria Sturm, 30, wird nicht mehr an der Seite von Matthias Brandt, 51, im bayerischen „Polizeiruf 110“ für Spontanität und Gefühle verantwortlich sein. Brandt bekommt in Zukunft nur noch „bei Bedarf“ jemand Weibliches an die Seite gestellt. Beim BR ist man sich bewusst, dass weibliche Ermittlerinnen in „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ unterrepräsentiert sind.

Traurig ist man deswegen nicht. Vielleicht, weil gerade eine wahre Flut von jungen toughen Kommissarinnen den Bildschirm stürmt. In Dortmund ermitteln Aylin Tezel, 29, und Anna Schudt, 38. Der Kieler Fahnder Borowski (Axel Milberg, 56), hatte es jüngst gleich mit zwei Ko-Kommissarinnen zu tun. Davor bestach Maria Simon, 37, mit ihrer selbstbewusst-lässigen Art als Olga Lenski im „Polizeiruf 110“ des RBB. Und ihre Kollegin Anneke Kim Sarnau, 41, findet sogar unter den anderen TV-Ermittlerinnen einige Fans. Anna Blomeier zum Beispiel. „Ich war früher ein großer Miss-Marple-Fan, dann kam Hannelore Elsner als ,Die Kommissarin’ und heute schau ich gern den Rostocker ,Polizeiruf’: Anneke Kim Sarnau und Charlie Hübner spielen unaufdringlich, haben immer einen Konflikt miteinander und agieren doch normal.“

Das klingt fast wie die Stellenbeschreibung zu Blomeiers aktuellem ZDF-Job als Kommissarin Rubens. Die sei nämlich „selbstbewusst im Beruf, nimmt gern einen unbequemen Weg, nervt oft andere und dabei geht es ihr nur um die Sache.“ Vorbei die Zeiten, als der „Tatort“ noch eine reine Männerdomäne war – analog zur bundesrepublikanischen Praxis. „Erst in den 80ern wurde der Polizeidienst für Frauen geöffnet“, erklärt der Münchner Polizeisprecher Wolfgang Behr. Aktuell betrage das Verhältnis von Frauen zu Männern bei Neueinstellungen 40 zu 60 Prozent.

Karin Anselm als Kommissarin Hanne Wiegand musste 1981 noch damit zurechtkommen, dass ihr zerbrechliches Äußeres so wenig mit ihrem „harten“ Beruf harmonieren wollte. Erst Hannelore Elsner entwickelte nach ihr den Prototyp der selbstbewussten und eleganten „Kommissarin“ Lea Sommer. Der Boden war bereitet für die vielen verschiedenen Frauentypen, die auf Verbrecherjagd gingen. Trotz oft schwacher Drehbücher avancierte Ulrike Folkerts, 52, mit ihrem burschikosen Charme zur dienstältesten „Tatort“-Kommissarin. Im Gegensatz zu ihrem geselligen Naturell sei sie im „Tatort“ eine einsame Wölfin. Wie die ihren Dienst tut, schilderte die Schauspielerin in der Folge „Vermisst“: „Seit 20 Jahren wühle ich in Gewalt, Mord und Totschlag und ich finde nur selten etwas Nettes darin.“

Maria Furtwängler, 46, wühlt für den NDR-Tatort seit 2002 oft in niedersächsischen Ställen und erntet dafür Rekordquoten. „Die Maria ist in ihren schauspielerischen Mitteln limitiert, aber sie hat etwas, das die Leute sehen wollen“ urteilte einer ihrer Regisseure mal über sie. Möglich, dass das an der trotz aller Kühle immer wieder durchscheinenden Verletzlichkeit der Charlotte Lindholm liegt.

Hannelore Hoger trauert dagegen Nina Kunzendorf an der Seite Joachim Króls (der ebenfalls trauert und deswegen auch aussteigt) im Frankfurter „Tatort“ nach. „Mann und Frau ergänzen sich doch so gut“, sagt sie – nicht ohne ironischen Unterton. Dem Hype um die Ermittlerinnen begegnet die Hamburgerin nüchtern: „Frauen sind nicht besser. Wir sind aber verschieden, weil wir eine andere Sozialisation haben“, sagt sie. Einen Unterschied zu den männlichen Kollegen lässt Hoger gelten: „Ich benutze seltener einen Revolver.“ Ihre Einstellung zu den echten Polizisten habe sich aber nicht verändert. „Ich kenne zwei echte Kommissare und fand schon immer bemerkenswert, mit welcher Leidenschaft sie ihrem Beruf nachgehen und noch nach 30 Jahren einen Mord aufklären.“

Die Marple-Mania ihrer Kolleginnen sieht sie kritisch: „Da waren doch nur die vier Filme mit Margret Rutherford sehenswert.“ Heute würde sie gern einen „spannenden Thriller“ drehen. Die Sehnsucht nach mehr Suspense verbindet sie mit der „Tatort“-Ermittlerin vom Bodensee. „Klara Blum ist über die Jahre ruhiger geworden. Ich würde mir wünschen, dass sie mal wieder ihre wilde Seite zeigt“, sagt Eva Mattes ,58, die den Ausstieg von Anna Maria Sturm aus dem bayerischen Polizeiruf bedauert. „Ich mag das Frische und Jugendliche, das sie in diesen Krimi brachte.“ Dabei ist die Sturm-Ermittlerin so ziemlich das genaue Gegenteil der meist in sich ruhenden Klara Blum, die gegenüber den männlichen Kollegen keinen Zweifel aufkommen lässt, wer die Hosen anhat – trotz eingeschränkter Action. „Natürlich springe ich nicht mehr wie eine Elfe durch die Gegend.“ Privat hat Eva Mattes ihre Einstellung zur echten Polizei durchs Krimidrehen geändert. „Wenn ich Polizisten sehe, denke ich: Hey Kollegen – und habe eine Riesenrespekt.“

Das ist eine Erkenntnis, die sie mit der „KDD“-Ermittlerin Saskia Vester (53, Lieblingsermittlerin: Miss Marple!) verbindet. „Erst seit ich die lesbisch-toughe Kristin Bender im ,Kriminaldauerdienst’ gespielt habe, ist mir klar geworden, welch hohe Verantwortung Polizisten haben, die eine Waffe tragen. Das Schusstraining war erschreckend.“ So ging es auch ihrer Münchner Kollegin Michaela May, 61, die im bayerischen „Polizeiruf 110“ von 2001 bis 2009 spielte: „Seit den Schießübungen habe ich einen Heidenrespekt vor den Beamten, die sich entscheiden müssen, ob sie schießen. Aber ein Beamter beruhigte mich. Er habe in 20 Jahren nur zweimal auf Menschen geschossen.“

Im bayerischen „Polizeiruf“ war Mays Kommissarin Jo Obermaier nicht fürs Schießen gecastet worden. „Wir brauchten dringend ein Gegenstück zum einsamen und zynischen Tauber (Edgar Selge), der in die Müllhalden des Lebens eintaucht. Und da war die Kommissarin mit türkischem Automechaniker und Kindersorgen genau richtig“, erklärt BR-Redakteurin Cornelia Ackers. Sie hält nichts davon, Frauen besondere Fähigkeiten zuzuschreiben oder sie sogar zu bevorzugen. „Ich mache gute Filme, in denen Frauen die Chance haben, gute Rollen zu spielen. Wir haben es gar nicht mehr nötig, Frauen wie Behinderte zu bevorzugen.“ Sie bedauert den Ausstieg von Anna Maria Sturm aus dem Polizeiruf 110. „Dieses Unprätentiöse und Unverstellte hat uns so gefehlt. Schade, dass sie das nicht mehr möchte.“

Aber in Sturms Ausstieg äußert sich vielleicht auch das, was ZDF-Redakteurin Jutta Kämmerer, zuständig für den „Kriminalisten“, das „Selbstbewusstsein der „Generation Y“ nennt. Die um die 30-Jährigen hätten eine „sorgenfreie Jugend verlebt“ und träten nun „sehr selbstbewusst“ auf. Eine wie Anna Blomeiers Ermittlerin „fühlt sich da gleich auf Augenhöhe mit dem Chef.“ Was aber nur stimmt, so lange die Kamera läuft. Denn Anna Blomeier ließ sich in den Drehpausen von ihrem „Boss“ Christian Berkel erklären, wie man eine Waffe hält. Sie hätte aber auch Folkerts fragen können. Denn deren Prämisse lautet: „Ich möchte eine Polizistin sein, die weiß, wie man schießt.“

„Tatort“, ARD, 20 Uhr 15

Jörg Seewald

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