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Zwei Seiten: Mark Waschke spielt aufregende Rollen, privat führt er das Leben eines Menschen aus der Mittelschicht.

© picture alliance/dpa

Schauspieler Mark Waschke im Porträt: Der Widersprüchler

Alle Macht geht vom Theater aus, sagt Mark Waschke. Was den Schauspieler nicht von der TV-Arbeit abhält. Am Mittwochabend ist er als Familientyrann zu sehen.

Der erste Blick auf ihn fällt durch eine Scheibe, durch das Fenster der Theaterkantine. Mark Waschke läuft auf dem Ku'damm auf und ab. Sein blauer Mantel weht im Januarwind, der graue Schal liegt verrutscht um den Hals, die pralle Umhängetasche hängt schwer an den Schultern. Gestikulierend spricht er ins Telefon, wie ein emsiger Geschäftsmann, als ginge es um Kaufen und Verkaufen. Es könnte eine Szene sein aus dem Stück, für das er in diesen Tagen probt.

Nach vierjähriger Pause gehört er wieder zum Schaubühnen-Ensemble

Seit vergangenem Sommer gehört Mark Waschke wieder zum Ensemble der Schaubühne in Berlin, nach vierjähriger Pause. Am Sonnabend ist Premiere für „Die kleinen Füchse – The Little Foxes“. In dieser Inszenierung spielt er einen neureichen Aufsteiger, der das richtig große Ding starten will. „Es ist ein Stück über Gier“, erzählt Mark Waschke. „Wie verhalten wir uns, wenn es ums Geld geht? Welche animalischen Züge lassen wir zu bei der Aussicht auf etwas Großes? Und was hat das mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun?“ Für seine Rolle hat sich Mark Waschke einen Vollbart wachsen lassen. Rötlich wie das Fell eines Fuchses schimmert der im Licht des italienischen Restaurants. Dort sitzt er jetzt, hungrig nach der Probe, und bestellt Saltimbocca.

Waschke ist nicht mal bei Facebook registriert

Mark Waschke hat in Kinofilmen wie „Buddenbrooks“, „Habermann“ und „Barbara“ mitgespielt. Im Fernsehen war er im „KDD-Kriminaldauerdienst“ und im „Tatort“ an der Seite von Til Schweiger zu sehen. Bunte Blätter sehen in ihm den deutschen Paul Newman: blaue Augen, sexy, talentiert. Mittlerweile gibt es eine Fanseite auf Facebook mit 58 Followern. Matthias Schweighöfer kommt auf 1,5 Millionen. Zwei Schauspieler, zwei Welten. Für Mark Waschke sind diese Zahlen uninteressant. Er ist nicht mal in dem Netzwerk registriert. Er schwärmt von einem Theaterabend vor nur 35 Leuten. In dem Zweipersonenstück „Die Kopien“ von Caryl Churchill spielte er mit Josef Bierbichler Vater und Sohn. „Das war die beste Vorstellung, die ich je erlebt habe. Alles stimmte. Die Zuschauer waren ergriffen und klatschten rhythmisch Applaus. Sechs Mal kamen wir zurück auf die Bühne.“ Die Begegnung mit dem Publikum ist für Mark Waschke noch immer etwas Erhabenes. Etwas, das größer ist als er selbst.

"Ich bin aus Verzweifelung Schauspieler geworden"

„Genau genommen bin ich aus Verzweiflung Schauspieler geworden“, sagt er. Die Verzweiflung kam, als seine Eltern 1980 vom Ruhrpott ins Saarland umzogen. Der achtjährige Mark fand, dass alle um ihn herum so komisch „schwätzten“. Er suchte nach einem Ort, an dem man Hochdeutsch sprechen konnte: das Kinder- und Jugendtheater. Sein Talent, ohne Hemmungen vor Menschen aufzutreten, nutzte er später auch als Schülersprecher. Es schien ihm gar nicht abwegig, vielleicht einmal Politiker zu werden. Als Teenager kämpfte er für eine Schule, die Spaß macht. Er organisierte Streiks gegen die Verschärfung der Abiturrichtlinien und trat für das Konzept einer Gesamtschule ein. Man kann ihn sich gut vorstellen, inmitten einer Horde von Heranwachsenden, die er wegen seiner Größe etwas überragte. Ein gut aussehender, blonder Jüngling, entflammter Redner, Kämpfer für Gerechtigkeit. Nach drei Streiktagen standen allerdings nur noch 40 Schüler des Gymnasiums hinter ihm. Eine Mitschülerin fragte ihn enttäuscht: „Und, was hat es gebracht?“ Darauf konnte er damals nicht antworten; und vielleicht ist ja deshalb aus ihm auch kein Politiker geworden.

Er ging in eine Klasse mit Nina Hoss und Lars Eidinger

Eines der wichtigsten Bücher des Gymnasiasten war das „Handbuch der Schauspielausbildung“, herausgegeben von der Ostberliner Schauspielschule „Ernst Busch“. Den Dozenten, die darin abgebildet waren, begegnete Mark Waschke 1995, als er dort zum Studium angenommen wurde. Da war er 23. Er saß in einer Klasse mit Nina Hoss, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt und Devid Striesow. Eine Klasse für sich. Er lernte vieles über Bertolt Brecht, begeisterte sich für dessen Theorie vom sozialen Gestus und für die Schauspielerei als gesellschaftlichen Auftrag.

"Diese Rolle war ein Geschenk"

Gleich nach dem Studium wurde er 1999 von Thomas Ostermeier an die Schaubühne geholt. „Wenn ich mich auf eine Rolle vorbereite“, erklärt er, „ist für mich die allerwichtigste Frage: Was treibt die Person an? Ich versuche immer mit den Augen der Figur zu schauen.“ Plötzlich klammert er sich an einen leeren Restaurantstuhl. Sein Gesicht wird rot, verzerrt sich, seine Stimme knarrt wie die einer Hexe. Für einen Moment versetzt er sich in seine Rolle aus dem Stück „Personenkreis 3.1“ von Lars Norén. Es war seine erste, als er vor 15 Jahren an der Schaubühne begann. „Diese Rolle war ein Geschenk“, erzählt er. „Sie hat meinen Zugang zur Schauspielerei verändert. Ich war gezwungen, zu improvisieren, intuitiv zu spielen.“

Mark Waschke ist verheiratet, Vater einer Tochter und wohnt im Zentrum von Berlin. An freien Abenden schaut er amerikanische Serien, morgens geht er zur Arbeit. Er besitzt sieben verschiedene Thermoskannen: schöne, einfache und funktionale. Darin brüht er sich seinen eigenen Kräutertee. Er führt das Leben eines durchschnittlichen Bürgers aus der Mittelschicht. Aber wenn er über seinen Beruf erzählt, lodert in ihm noch immer das Feuer des Schülersprechers. Vielleicht ist ja Schauspieler auch nur ein anderes Wort für Schülersprecher. „Für mich ist mein Beruf eine Möglichkeit, die Widersprüche der Gesellschaft klarer sehen zu können“, sagt er. Er zitiert Adorno: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Mark Waschke glaubt an das Theater als eine moralische Instanz.

Erst mit Mitte 30 stand er vor der Kamera

Erst ziemlich spät, mit Mitte 30, stand er vor der Kamera. Zuletzt war er in dem Fernsehmehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ zu sehen. Teuflisch, unnahbar und unberechenbar als SS-Sturmbannführer Dorn. Mark Waschke spielt ihn mit nahezu regungslosem Gesichtsausdruck, ein brutales, fesselndes Kammerspiel über einen Fiesling.

Am Mittwochabend läuft in der ARD der Film „Es ist alles in Ordnung“. Darin spielt er einen Familienvater, der in einer Reihenhaussiedlung lebt, mit Sohn und Stieftochter. Andreas kümmert sich um seine Frau, unternimmt mit seiner Familie Radtouren. Die Nachbarn lädt er zum Grillen ein. Doch hinter der Wohlstandsfassade haust ein Tyrann, der dem modernen Vatersein nicht gewachsen ist und seine Stieftochter nach alten Erziehungsmustern abzurichten versucht.

Das Drehbuch zu dem Film hatte ihm sofort zugesagt. Mark Waschke steht gern vor der Kamera. Das sei so, als würde er jedes Mal eine Premiere feiern. Aber nicht selten fragt er sich, warum in einem Film so wenig von der Wucht und der Kraft übrig bleibt, die er am Anfang in der Geschichte gelesen hat. Als hätte man einen Kuchen in den Ofen geschoben, herausgekommen aber ist nur ein Milchbrötchen.

„Es ist alles in Ordnung“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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