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© dpa

SCHLACHT AM LERCHENBERG: Die Mainzelhämmer

Nikolaus Brender muss ZDF-Chefredakteur bleiben, sagt Intendant Schächter. Brender muss weg, sagt CDU-Ministerpräsident Koch

Wer wissen will, was eine verfahrene Situation ist, der muss nur nach Mainz blicken. Dort, auf dem Lerchenberg, sitzt Europas größtes TV-Unternehmen, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF). Intendant ist Markus Schächter, der Programmdirektor heißt Thomas Bellut, die Chefredaktion führt Nikolaus Brender. Der Vertrag des Chefredakteurs läuft bis zum 31. März 2010. Schächter möchte, dass Brender weiterarbeitet, der unionsregierte Verwaltungsrat möchte das nicht.

Nikolaus Brender hatte und hat ein Recht darauf zu erfahren, ob der Vertrag verlängert wird oder nicht. Diese Entscheidung muss ein Jahr vor Ablauf des Vertrages fallen. Das war im März dieses Jahres, eine Entscheidung ist nicht gefallen. Die Besetzung derartiger Spitzenpersonalien muss der ZDF-Intendant dem Verwaltungsrat vorschlagen und darüber Einvernehmen herstellen. So wollen es die Rechtsgrundlagen des Senders. Einvernehmen heißt drei Fünftel der Stimmen im 14-köpfigen Verwaltunsgrat. Diese Mehrheit für Brender hatte Schächter im März nicht, weswegen er die Abstimmung auf einen späteren Zeitpunkt verschob. Mindestens neun Mitglieder des Verwaltungsrates, sie zählen zum Lager der Union unter Anleitung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, lehnen eine Vertragsverlängerung für Brender ab. Wortführer Koch sieht dessen Chefredaktion als weitgehend erfolglos an, Informationssendungen wie „heute“ und „Auslandsjournal“ hätten Zuschauer und Akzeptanz verloren, zugleich junges Publikum nicht hätte gewonnen werden können.

Diese Sichtweise ist schon im eigenen Lager umstritten. Ruprecht Polenz, CDU-Mitglied im Deutschen Bundestag, dort Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, im ZDF Vorsitzender des Fernsehrates, hat festgestellt: „Das ZDF ist auf dem Weg vom Unterhaltungsdampfer zum Informationssender weit vorangekommen. Es hat Programmmarken entwickelt, die dem Programm ein klares Informationsprofil geben.“ Solche langfristigen Erfolge sind ohne Chefredakteur nicht denkbar, da muss Brender etwas gelungen sein. Hinter vorgehaltener Hand werden weitere Vorwürfe gestreut: Brender mag ein guter Journalist sein, ein guter Programmmanager und ein Mann geschickter Personalführung sei er nicht. Da sei doch jemand, der seit einem Jahr auf einen Gesprächstermin warte, da gäbe es vor sich hin faulende Entscheidungen. Die Unionisten tun sich schwer, Zahlen, Daten, Fakten gegen Brender aufzulisten, zugleich die Überzeugung eingebrannt ist: Ein ZDF ohne Chefredakteur Brender ist ein besseres ZDF.

Intendant Markus Schächter, der über mehrere Monate an einer einvernehmlichen Lösung gearbeitet hat, ist mittlerweile so entschlossen wie genervt. Er zieht am 27. November, dem Termin der nächsten Verwaltungsratssitzung, in den Kampf. Auf seinem Banner steht: „Nikolaus Brender ist und bleibt mein Kandidat für die nächste Amtszeit des Chefredakteurs.“ Schlachtruf der Brigade Koch: „Brender – niemals!“.

Markus Schächter, der in diesen Tagen wie eine Sphinx durch den Sender wandelt, hat offiziell sein Schicksal mit dem Schicksal Brenders verbunden. Einige Beobachter erwarten gar, dass dieser Intendant hinwirft, sobald Brender vom unionsgeführten Verwaltungsrat gescheitert worden ist. Vorhersage für diesen Fall: Markus Schächter organisiert noch die Amtsübergabe, ehe er geht, Brender verlässt das ZDF, entweder als Edelkorrespondent für Irgendwo oder für immer. Vorhersage zwei und nach den Informationen aus Sender und Gremium wahrscheinlicher: Schächter bleibt, Brender geht. Das vermeintliche Ass im Pokerspiel: Brender geht – doch nicht zum 31. März 2010. Aus der Koch-Ecke ist zu hören, dass diese Lösung keine wäre.

Längst geht es in dieser Causa nicht mehr um die Sache – um die Informationsleistung des Senders in der Chefredaktion Brender –, längst geht es um Autorität und deren Verlust. Gibt Schächter seinen Kandidaten kampflos preis, gilt er als geschwächt, akzeptiert die Union den Kandidaten bedingungslos, ist die Koch-Runde auf Kellner-Niveau gesunken.

Wer führt das ZDF, wer bestimmt im Sender – die Geschäftsleitung oder die Aufsichtsgremien? Das Zweite Deutsche Fernsehen ist seit seinem Start 1963 überpolitisiert. Das Links-rechts-Schema greift vom Intendanten abwärts bis tief nach unten durch. Von außen mag das beklagen, wer will, im ZDF-Inneren haben sich manche damit bestens arrangiert. Das Schema schafft Sicherheit und Orientierung im Personal. Der Hang nach links oder nach rechts setzt einen spezifischen Karriere-Automatismus in Gang. Wichtig ist nur, aus diesem Paternoster nicht zur falschen Zeit an der falschen Stelle auszusteigen. Es gibt ZDF-Menschen, die willentlich oder unwillentlich nicht mehr in dieses Schema passen. Die gehen, ordentlich bezahlt, auf den Senderfluren spazieren.

Irrititiert musste CDU-Mann Koch zur Kenntnis nehmen, dass sich führende ZDF-Journalisten wie Claus Kleber und Maybrit Illner mit Brender öffentlich solidarisiert haben. Das Ancien Régime der Roland Kochs in dieser öffentlich-rechtlichen Rundfunkwelt wankt, nach dem Willen seiner Protagonisten (und Profiteure) soll es aber nicht stürzen. Setzt sich Koch gegen Schächter durch, sind Paternalismus und Patronat in Mainz gesichert. Fällt das ZDF, dann ist Koch auch nicht mehr Herrscher im Hessischen Rundfunk. Ein Flächenbrand in der politisch immer bunteren Republik droht, jetzt, da die klaren Mehrheiten erst in den Parlamenten und dann in den Sendergremien verschwinden. Sticht in den öffentlich-rechtlichen Sendern der Wille zur Emanzipation durch, will das Mündel wenigstens nicht mehr bevormundet sein?

Die SPD hatte dem durchpolitisierten ZDF nach den Quälereien und Querelen um die Nachfolge des Schächter-Vorgängers Dieter Stolte Anfang 2002 insofern abgeschworen, als die damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) und Heide Simonis (Schleswig-Holstein) den Verwaltungsrat verließen, um die parteipolitische Signatur der Gremien blasser werden zu lassen. Die Union zog nicht mit, holte stattdessen Koch in den Verwaltungsrat. Die Sozialdemokraten haben ihren honorig gemeinten Schritt bitter bereut. Das Links-rechts-Schema wirkt fort. Danach ist im ZDF der Intendant unionsnah bestimmt, der Chefredakteur wird von der SPD vorgeschlagen, der Programmdirektor gehört wieder ins rechte Beuteschema.

Nach dieser Ämterfolge, der Kurt Beck, SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Chef des Verwaltungsrates ohne eigene Mehrheit und ohne bessere Idee nicht widersprechen kann und will, kommt für Nikolaus Brender dann Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios als Chefredakteur nach Mainz (Frey hat sich allerdings noch nicht erklärt). Peter Hahne, Stellvertreter von Frey, übernimmt in Berlin. Kanzleramt und Hauptstadtstudio gehören in eine Hand, findet Koch. Und Angela Merkel wird nicht protestieren, wenn sich die verfahrene Situation auf dem Mainzer Lerchenberg in diese schöne Berliner Perspektive aufgelöst haben wird.

Für seine Krokodilstränen sollte sich Kurt Beck bei Roland Koch ein Taschentuch ausleihen.

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