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Schmerz, lass nach!: Deutschland, ein Krankenzimmer

Joachim Huber hat eine akute Augengrippe wegen des Medienthemas Nummer eins.

So ein Zufall aber auch! Das Titelthema des neuen „Spiegel“ lautet „Kopfschmerz. Die unterschätzte Volkskrankheit“. Die „Welt am Sonntag“ bietet als Aufmacher „Die übermüdete Gesellschaft“ an. Die ARD-Talkshow „Günther Jauch“ nimmt „Sterbehilfe“ zum Thema. „Hart aber fair“ fragt am Montag: „Auf Zucker – wie krank macht uns die süße Droge?“

Krankheiten, Volkskrankheiten zumal, gehen alle an. Sie sind Gesellschaftsthemen. Und sie verkaufen sich, als Magazintitel, als Talkgegenstand. Soll nicht heißen, dass die Deutschen gerne krank sind, sie reden nur gar zu gerne drüber. Krank, kränker, am kränkesten, so funktioniert der diskursive Wettbewerb. Die Medien reagieren darauf, wonach die Deutschen bei den Arztbesuchen international in der Spitzengruppe rangieren. Das führt zu solchen Absurditäten, dass das früher mal politische MDR-Magazin „Fakt“ nach der MDR-Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“ stets mit einem Medizinthema eröffnet. Gerade ist der Patient noch per Wunderheilung genesen, schon ist er wieder krank.

Deutschland, ein mediales Jammertal? Irgendeinen Nenner müssen Print, Online und TV ja finden. Der NSA-Skandal will so richtig nicht zünden, die neue Koalition verharrt im Sich-gegenseitig-ärgern-Modus, Syrien ist ganz weit weg. Vieles davon ist sehr relevant, aber irgendetwas davon so interessant wie Ich-hab-Rücken, wie der verunglückte Michael Schumacher und die am Becken verletzte Bundeskanzlerin? Print muss sich verkaufen, das Fernsehen will Quote.

Krankheit hat jeder, Krankheit kann jeder. Die individuelle Introspektion des eigenen Leibes wird in der öffentlichen Visite nur gespiegelt. Die Ansprechhaltung in Wort, Bild und Ton reflektiert die Anspruchshaltung der Konsumenten. „Selfie“-Deutsche und „Usie“-Medien werden eins. Ich kümmere mich um mich, die Medien kümmern sich um uns, und der weltweite Rest ist der weltweite Rest.

Wofür die Anzeige auf der Schlussseite des „Spiegel“ wirkt? Für „Rücken Wohl – das Gesundheitsbad“.

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