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© dpa

SchülerVZ: Erpressung oder Schweigegeld?

Nach dem Datenmissbrauch bei SchülerVZ werden neue Vorwürfe laut. Der Anwalt des jungen Mannes, der am Samstag den Freitod wählte, sieht neue Hinweise. "Unglaublich und haltlos", sagen die VZ-Netzwerke.

Eine abschließende Klärung wird es vermutlich nicht geben. Doch nach dem Freitod eines jungen Mannes in der Untersuchungshaft, der das Online-Netzwerk SchülerVZ erpresst haben soll, spricht dessen Anwalt nun von einem „Schweigegeld“-Angebot. „Ich habe nicht gesagt, dass es so war, aber es gibt Hinweise darauf, dass es so gewesen sein könnte“, sagte Ulrich Dost dem Tagesspiegel. Die Staatsanwaltschaft hatte dem 20-Jährigen vorgeworfen, dass er Profile von mehr als einer Million Nutzer von SchülerVZ kopiert und versucht haben soll, damit 80 000 Euro von den Betreibern der VZ-Netzwerke zu erpressen. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Mann mit dem Spitznamen „Exit“ die versuchte Erpressung gestanden.

Die Ermittlungsunterlagen ergeben nach den Ausführungen von Anwalt Dost ein anderes Bild: Bevor es zur angeblichen Erpressung gekommen sei, habe der junge Mann per Internet mit einem Mitarbeiter der VZ-Netzwerke gechattet. Dabei sei er unter anderem darauf hingewiesen worden, dass Datendiebstahl ein schweres Vergehen sei und dass die Daten einen erheblichen Wert von „mehreren Millionen Euro“ hätten. Der eigentliche Hinweis aber, die VZ-Netzwerke könnten dem jungen Mann ein „Schweigegeld“ angeboten haben, sieht der Anwalt durch eine andere Passage belegt. „Wenn wir es schaffen, die Daten zu lokalisieren und die Leute zu bewegen, diese zu löschen, bezahlen wir euch auch dafür“, sei dem Mann von den VZ-Netzwerken mitgeteilt worden. Dass Anwalt Dost diese Hinweise erst nach der Selbsttötung öffentlich gemacht hat, erklärte er mit seiner Verteidigungsstrategie. Er habe die Widersprüche erst in der Verhandlung und nicht bereits im Vorfeld in den Medien thematisieren wollen. „Ein Freispruch wäre im Falle eines Strafverfahrens durchaus zu erwarten gewesen.“

Die VZ-Netzwerke, zu denen neben SchülerVZ noch StudiVZ und MeinVZ gehören, weisen die Anschuldigungen des Anwalts entschieden zurück. „Die Vorwürfe sind ebenso unglaublich wie haltlos“, schrieb VZ-Netzwerke-Chef Markus Berger-de León im Unternehmens-Blog. Die fragliche Passage habe es in dem Chat so nicht gegeben, widersprach der VZ-Chef zudem Dosts Darstellung. Vielmehr habe es mehrere Versuche gegeben, dem Mann Brücken für eine nicht juristische Lösung zu bauen. Von der Zahlung eines Schweigegelds sei aber zu keinem Zeitpunkt die Rede gewesen. Gleichzeitig äußert Berger-de León seine Bestürzung über die Tragödie. „Wir sprechen allen Angehörigen unser tiefstes Beileid aus.“

Vor rund zwei Wochen war bekannt geworden, dass der SchülerVZ-Nutzer eine Vielzahl von Profilen aufgerufen und Kopien von Daten angelegt habe, darunter Name, Schule, Geschlecht, Alter, Profilfoto. Dem Internetblog netzpolitik.org wurden nach eigenen Angaben mehr als eine Million Datensätze zugespielt. Die Verbraucherzentrale Bundesverband hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, mehr als 100 000 Datensätze von netzpolitik.org erhalten zu haben, darunter auch sensible personenbezogene Daten von Teilnehmern, die ihre Daten in dem Netzwerk ausdrücklich nur für Freunde sichtbar eingestellt hatten.

Der auf Online-Recht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Niko Härting sieht in den Vorgängen bei SchülerVZ keineswegs die Spitze eines wie auch immer gearteten Erpressungs-Eisbergs. „Mir ist davon nichts bekannt, auch nicht ansatzweise. Das sind Ausnahmen“, sagte der Jurist. Allerdings seien Probleme mit dem Adresshandel so alt wie die elektronische Datenverarbeitung, das gelte auch für die illegale Beschaffung von Adressen.

Anwalt Dost ist hingegen überzeugt, dass es seinem Mandanten nicht um Geld ging. Dieser habe weder beabsichtigt, die Daten zu verkaufen noch Geld zu erpressen. „Das war just for fun. Er wollte zeigen, dass er einen Crawler programmieren kann, der das Gleiche macht, was Google im Großen tut.“ Die VZ-Netzwerke teilen diese Einschätzung nicht. Sie fühlen sich durch die Drohung, dass die 1,2 Millionen Datensätze zum Verkauf angeboten werden sollten, noch immer erpresst.

Mit dem massenhaften Kopieren der SchülerVZ-Profile beschäftigt sich auch der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix. Es werde geprüft, ob ein Bußgeldverfahren gegen die VZ-Netzwerke wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz eingeleitet werde, erklärte die Behörde. Dafür müsse zuerst der Sachverhalt geklärt werden.

Das Verfahren gegen den mutmaßlichen Erpresser wird indes nach dessen Freitod eingestellt.

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