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Medien: Schweine auf der Flucht

Tag des Kinderhörspiels in der Akademie der Künste

So etwas hat die hehre Akademie der Künste noch nicht erlebt: im ganzen Haus lautes Kinderkreischen. Es ist Kinderhörspieltag, und Dutzende Kinder rennen die Treppen auf und ab. Drinnen in den Räumen aber, zum Beispiel dort, wo das Hörspiel „Schloss draußen“ aufgeführt wird, herrscht Stille. Der Raum ist brechend voll. Der Geräuschemacher mit seinen Instrumenten ist von einem Pulk Kinder in die Ecke gedrängt. Bei „Schloss draußen“ geht es um ein Mädchen und seine Erlebnisse in einem verwunschenen Schloss.

Das Highlight des Kindertages an der Akademie der Künste ist ein Live-Hörspiel. Live-Hörspiel, das heißt, dass kein Band läuft, die Musikgruppe spielt tatsächlich. Ihr Name: „Rumpelstil“. Außerdem gibt es eine Moderatorin und sogar Bühnendekoration. Übertragen wird das Hörspiel „Das Wippschwein“ gleich von vier Sendern (WDR, BR, NDR, MDR). Es ist eine höchst skurrile Geschichte um eine nach Münzeinwurf mechanisch wippende Spielplatz-Kreatur, die keine Lust mehr zum Wippen hat und die Flucht ergreift. Was dann geschieht, denken sich Mutter und Tochter als Gute-Nacht-Geschichte aus, bis die Akteure leibhaftig erscheinen und das Spiel mit Traum und Wirklichkeit seine Volten schlägt. Könnte peinlich sein, so ein bebilderter Hörfunk, gelingt aber aufs Schönste: Schattenriss- Pantomimen hinter der Leinwand regen die Fantasie an, der Geräuschemacher tut das Seine an der Rampe dazu, Mutter und Tochter agieren auf der Bühne mit Manuskript in der Hand (wie es sich beim Hörspiel gehört), spielen nur vorsichtig an und befriedigen doch das Illusionsbedürfnis.

Vielleicht sind die Kinder die einzigen, die in dieser Gesellschaft wirklich noch zuhören können. Noch immer verkaufen sich Hörbücher und Kinderkassetten in großen Stückzahlen. Während Hörspiele für Erwachsene eine Nischenexistenz führen, eigentlich nur etwas für Liebhaber sind, sind Kinder-Hörspiele aktuell wie eh und je. Am Kinderhörspieltag zeigte sich, dass praktisch alles zum Thema werden kann: Schulstress mit dem fetten Angsthasen, der sich – weil ungeliebt – zum Tyrannen mausert („Angstmän“), eine witzige Parodie auf Fernseh-Shows und wie man hineingelangt („Lennart und die Wunderwette“), Armut in der Dritten Welt („Weihnachten unterm Zuckerhut“), eine anrührende Tschechow-Bearbeitung aus ferner Zeit und fremder Kultur („Nikolais Geheimnis“).

Noch gibt es auf den Radiowellen der ARD viele Hörspiele, sie sind thematisch wie formal vielfältig. Aber selbst für die ARD gilt: Wenn gekürzt wird, dann zuerst bei den Kindersendungen. Dass es neben Hörspielen eine steigende Zahl anderer Radioformen für Kinder gibt – Features, Nachrichten, Diskussionen, E-Musik-Präsentationen –, vernachlässigt der Kinderhörspieltag. Vielleicht sollte er sich ausweiten zu einem „Kinderradiotag“. Dann könnten auch die Alten sehen, wie die Jungen vollends vertieft schweigen. Wenn es sein muss, auch eine ganze Stunde lang.

Mechthild Zschau

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