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Revolutionär. Martin Luther (Arthur Fischer) lässt das Denken explodieren

© Arte

Sechsteilige Arte-Reihe: Der Luther-Code

Wie die Generation Y mit modernisierten Ideen der Luther-Reformation die Welt verändert.

Wir schmieden Lebenspläne, äußern unsere Meinung und glauben nur das, was uns vernünftig erscheint. Ganz selbstverständlich machen wir dabei von einer Freiheit Gebrauch, die historisch gesehen eine neue Entwicklung ist. Bis zum 16. Jahrhundert diktierte die kirchliche Obrigkeit nicht nur das gesellschaftliche Leben. Durch ihren exklusiven Zugriff auf die Heilige Schrift hatte sie auch das Monopol auf das Seelenheil. Es war Martin Luther, der mit seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche dem Papst und dem Klerus das Herrschaftswissen entzog. Ist Luther deshalb der Edward Snowden des späten Mittelalters? Bewirkte er mit seinem legendären Thesenanschlag von 1517 den „Urknall des freien Denkens“?

Ganz so einfach machen Wilfried Hauke und Alexandra Hardorf es sich in ihrer Historiendokumentation nicht. Ihr Versuch, den „Luther-Code“ zu entziffern, ist keine Biografie im üblichen Sinn. Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Reformation spannen die Filmautoren einen komplexen geschichtlichen Bogen. Sechs aufwendig gemachte, einstündige Dokumentationen, die Arte an zwei Abenden hintereinander ausstrahlt, zeichnen die historische Entwicklung von Luthers Pioniertat bis ins Hier und Heute nach. Die Entdeckung der exakten Wissenschaft, der Dreißigjährige Krieg und die Hexenverfolgung, die französische Revolution, das Aufkommen des Kapitalismus, die zwei Weltkriege und die kontinuierliche Unterdrückung der Frauenrechte im Schnelldurchlauf vor Augen geführt. Über verschlungene Pfade führt der Weg von der Hölle bis in den Weltraum.

Aus Haaren und Zigaretten werden Gesichter

Hat es sich gelohnt? Darüber urteilen nicht allein die üblichen Spezialisten mit ihrem kanonisierten Expertenwissen. Die Filmreihe will zeigen, wie Luthers Idee, wonach jeder nur seinem Gewissen verantwortlich ist, seit der Reformation kontinuierlich weitergetragen wurde. Doch für was nutzen wir diese Freiheit heute? Auf diese Frage antworten junge Menschen, digital Natives, die in den 80er Jahren geboren wurden. Die Italienerin Regina Catrambone rettet mit einem selbst finanzierten Boot Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Und die amerikanische Bio-Artistin Heather Dewey-Hagborg macht auf gespenstische Weise sichtbar, wie sie aus der genetischen Spur an Haaren und Zigarettenstummeln das komplette Gesicht desjenigen per 3-D-Drucker rekonstruiert, der seine Kippe irgendwo achtlos in den Mülleimer warf.

Künstler, Menschenrechtler und alternative Unternehmer treten im Film als Luthers Erben auf. Sie verkörpern jenes „moderne Ich“, das mit dessen Aufstand begann. Gott spielt für sie meist keine Rolle mehr. Auf kreative und pragmatische Weise führt aber jeder von ihnen auf seine Weise vor Augen, wie man persönliche Freiheit nutzt, um innere Widerstände zu überwinden und die Welt im Kleinen zu verändern. Mit ihren Schwierigkeiten, Nöten und Problemen treten diese Protagonisten der sogenannten Generation Y in einen lebendigen Dialog mit Größen der Kultur- und Geistesgeschichte. Schlaglichter auf die Biografien von Leibniz, Lessing, Kepler, Einstein und Freud erinnern daran, wie Wissenschaftler und Künstler jeweils an Luthers Projekt anknüpfen. Gewöhnungsbedürftig sind allein jene nachinszenierten Spielszenen, in denen Schauspieler sich Perücken aufsetzen und falsche Bärte ankleben. Der „Luther-Code“ wird dabei nicht vollständig entziffert. Und zuweilen menschelt es doch ziemlich arg. Trotzdem führt die ambitionierte Dokureihe vor, wie man da Historienfernsehen entstaubt. Manfred Riepe

„Der Luther-Code“, Arte, Teile eins bis drei, Samstag, um 20 Uhr 15, Teile vier bis sechs, Sonntag, 20 Uhr 15

Manfred Riepe

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