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Sender vor dem Aus: Vertreibung aus dem Paradies

Wie sich der christliche Radiosender aus Berlin gegen den drohenden Lizenzverlust wehrt

Thorsten Wittke könnte zufrieden sein. Immer wieder erreichen den Chefredakteur von Radio Paradiso Anrufe von Menschen, die seinen Sender eher zufällig einschalten und erst nach einiger Zeit feststellen, dass es sich um ein christliches Programm handelt. „Diese Hörer erzählen mir dann, sie hätten mit Kirche zwar nichts am Hut, aber die Werte, die wir vermitteln, mit denen könnten sie durchaus etwas anfangen“, sagt Wittke. Ein Sender, der nicht nach Kirche klinge, aber ein christliches Radioprogramm sei, genau damit erfülle Radio Paradiso seinen Programmauftrag. Und gerade deshalb kann Wittke nicht verstehen, dass Radio Paradiso nur noch bis November auf Sendung bleiben kann.

Dem christlichen Sender – es ist das einzige derartige UKW-Programm in Deutschland, das sich allein aus Werbeeinnahmen finanziert – droht nach 14 Sendejahren das Aus. Nach den gesetzlichen Bestimmungen müssen die Sendelizenzen alle sieben Jahre erneuert werden, doch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) lehnt bei Radio Paradiso die nötige Verlängerung ab und will die Frequenz an den Sender Oldiestar übergeben. Ausschlaggebend dafür ist vor allem, dass der Anteil der Wortbeiträge von Radio Paradiso nach einer Studie über die Radioprofile der Berliner Sender im Jahr 2008 von drei Stunden auf etwas mehr als eine zurückgegangen war. Das christliche Profil des Senders gehe verloren, wurde moniert. Auch eine in der vergangenen Woche von der MABB veröffentlichte neuere Studie über die Entwicklung in Brandenburg, die für Radio Paradiso erheblich besser ausfiel, macht für die Medienanstalt keine Neubewertung erforderlich. „Uns waren die Ergebnisse dieser Studie bei der Entscheidung gegen eine Verlängerung der Lizenz für Radio Paradiso bekannt“, sagte MABB-Direktor Hans Hege dem Tagesspiegel. Bei der Entscheidung gehe es zudem nicht um eine Sanktion für die Vergangenheit, sondern darum, für die nächsten sieben Jahre eine Prognose abzugeben, mit welchem Sender die Programmvielfalt am besten gesteigert werden könne. Und hierzu sage die Brandenburger Erhebung bei Oldiestar auch eine Menge aus.

Über die endgültige Entscheidung und deren abschließende Formulierung wird der Medienrat auf seiner Sitzung am 22. Juni beraten und diskutieren, „nicht zuletzt, weil Radio Paradiso bereits angekündigt hat, gegen eine Nichtverlängerung juristisch vorzugehen“, sagt MABB-Chef Hans Hege. Tatsächlich kommt es eher selten vor, dass ein Sender – wie zum Beispiel Jfk 98,2 – aus inhaltlichen Gründen ohne Lizenz dasteht, zumeist scheitert es schlicht am Geld.

Noch fährt Radio Paradiso den Sendebetrieb, als ob nichts gewesen wäre. Weder wurde das Programm um eines besseren Eindrucks willen verändert, noch werden die Hörer zu Protestaktionen gegen den Lizenzentzug aufgerufen, auch auf der Senderhomepage sucht man solche Aufrufe vergebens, sagt Geschäftsführer Matthias Gülzow.

An Protesten gegen das drohende Aus mangelt es freilich nicht. Berlins Landesbischof Markus Dröge forderte die MABB auf, ihre Entscheidung zu überdenken, auch aus der Politik wurde dies gefordert. Kulturstaatssekretär André Schmitz von der SPD wies darauf hin, dass Radio Paradiso weit über das christliche Spektrum hinaus Hörer gewonnen habe. Insgesamt werden 730 000 Menschen dem weitesten Hörerkreis zugerechnet. Zuletzt hatte sich der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestages, Volker Kauder, im Tagesspiegel für den Fortbestand des Senders eingesetzt. Der medienpolitische Sprecher der Berliner SPD-Fraktion Frank Zimmermann kann die Entscheidung der MABB hingegen nachvollziehen. Er warnte die Politik am Dienstag davor, Erwartungen zu wecken, die sie nicht erfüllen kann.

Hauptgesellschafter von Radio Paradiso sind die Evangelische Darlehensgenossenschaft und das zur Berliner Baptistengemeinde gehörende Immanuel- Krankenhaus am Kleinen Wannsee, wo auch Radio Paradiso seinen idyllischen Sitz hat. Die ehemalige Siemens- Villa, die sich die Krankenhaus-Verwaltung und das Radiohaus Berlin teilen, beherbergte im letzten Jahrhundert noch die Rheuma-Klinik. Statt 12-Bett-Zimmern sind nun im Untergeschoss die Studios und Redaktionsräume von Radio Paradiso, Jazzradio und Jam FM untergebracht. Am großen Redaktionstisch sitzen die Berlin-Reporter, daneben wird an einem Gewinnspiel gebastelt, Susanne Trotzki bereitet die nächste Moderation für die Vormittagssendung vor. Das Musikprogramm des Wohlfühlsenders ist das genaue Gegenteil von Motor FM mit seinem rockigen Independent-Sound. Bei Radio Paradiso bestimmen Chris de Burgh, Paul McCartney, die Bee Gees, Herbert Grönemeyer, aber auch das deutsche ESC-Fräuleinwunder Lena die Soft-Pop-Musikfarbe.

Ein Verkündigungsradio ist der Sender jedenfalls nicht, für den Morgensegen um 5 Uhr 30 müssen die Hörer sogar reichlich früh aufstehen. Nur am Sonntag steht die Religion im Vordergrund, wenn Pfarrerin Johanna Friese die Sonntagsandacht hält oder am Abend „Mehr als Ja und Amen mit Günter Mahler“ auf dem Programm steht. Eine Besonderheit während der Woche sind die „Gedanken zum Auftanken“, kleine erbauliche Momente, die jede Stunde ins Programm gerückt werden.

Für Chefredakteur Wittke zeigt sich der Anspruch eines christlich geprägten Senders aber nicht nur darin, was gesendet wird, sondern genauso in dem, was nicht „on air“ stattfindet: kostenpflichtige Call-in-Sendungen zum Beispiel oder Formate, in denen die Hörer vorgeführt werden. Das gilt auch für die Gespräche, die Diplom-Psychologe Wittke mit Hörern während der Morning-Show führt. Auf die Begebenheiten wird in der Sendung zwar eingegangen. Um jede Form von Voyeurismus zu vermeiden, werden die Gespräche selbst aber nicht ausgestrahlt.

In den Anfangsjahren hatte Radio Paradiso durch seine Mischkonstruktion finanzielle Probleme, da bei einem spendenfinanzierten Sender die Werbewirtschaft nicht mitmachen wollte, aber ein werbefinanzierter Sender keine Spendengelder erhält. Dass sich der Sender inzwischen ausschließlich aus Werbeerlösen finanziert, hat sich bewährt. Sowohl im Programm als auch auf der Website wird der Sender mit seinen 26 Mitarbeitern von den Werbetreibenden, bei denen es sich häufiger als bei anderen Sendern eben auch um karitative oder soziale Einrichtungen handelt, angenommen.

Für Chefredakteur Wittke kommt eines jedenfalls nicht infrage: Aufgeben. Der begeisterte Läufer hat zwar seine Teilnahme am Marathonlauf in New York im November abgesagt, aber als Basketballspieler weiß er auch, dass ein Spiel bis zur Schlusssirene gewendet werden kann. Ganz so lange wollen jedoch nicht alle warten: Eine Moderatorin und ein Vermarkter haben die Wannsee-Villa bereits verlassen.

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