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Wann ist es Erotik, wann Pornografie? Diese Frage stellt sich Manfred Rauch, der Jugendschutzbeauftragte von Beate Uhse TV, täglich. Wegen des ständigen Gestöhnes der „Frechen Früchtchen“ und anderer Darsteller sitzt er mittlerweile im Einzelbüro.

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Senderjubiläum: Zum Stöhnen

Zehn Jahre Beate Uhse TV: Jugendschützer Manfred Rauch prüft Deutschlands ersten Erotiksender auf pornografische Inhalte.

Irgendwann fällt auch das letzte Kleidungsstück. Ein Kichern, ein mitleidiges „Oooooh“ der anderen Mädchen, und die blonde Sharon steht oben und unten ohne da. Sharon ist Anfang zwanzig und recht attraktiv, auch ihre Freundinnen sind unbekleidet – und ein bisschen tollpatschig sind sie auch, denn egal, was sie so tun, ob sie nun backen oder basteln – „am Ende stehen sie alle nackig da“, sagt Manfred Rauch.

Er kennt sie alle: Die „frechen Früchtchen“, wie die ungeschickten Mädels heißen, aber auch die „Voodoo-Puppen“, „Thunderpussy“ und die „Süßen Stuten“ natürlich, Teil I bis VIII. Auch ein Jubiläum in diesen Tagen: Seit dem 1. März 2001 gibt es Beate Uhse TV, Deutschlands ersten Fernsehsender mit erotischem Inhalt, verschlüsselt und von 20 Uhr 15 bis 5 Uhr 45 Uhr via Bezahlsender Sky auf Sendung, 570 Minuten Programm täglich, 570 Minuten Nacktheit und gepflegte Ferkelei. Und Manfred Rauch hat jede Minute davon schon mal gesehen. Dem Beate-Uhse-Konzern in Flensburg macht unterdessen das Internet zu schaffen. Die Umsätze der Shops sind rückläufig, für 2010 hatte das Unternehmen einen zweistelligen Millionen-Verlust angekündigt.

Rauch sitzt in seinem kleinen Büro am Tempelhofer Ufer in Berlin, vor sich den Bildschirm und darauf die Früchtchen. Früher hat er bei den anderen in der Redaktion gesessen, im Großraumbüro, aber dann haben sich die Kollegen beschwert. „Wegen dem ständigen Gestöhne“, sagt er. Manfred Rauch, Glatze, gutmütiges Lachen, ist Jugendschützer, genauer: Jugendschutzbeauftragter bei Beate Uhse TV, dem Fernsehsender zum gleichnamigen Dessous-Shop. Jugendschutzbeauftragte werden von den Sendern eingestellt, um sie zu beraten – als Mitarbeiter, nicht als Kontrolleure. Sie schauen sich das Programm an und sagen, was wahrscheinlich durchgehen wird und was eher nicht, denn die meisten Inhalte werden vor ihrer Ausstrahlung von der zuständigen Kontrollbehörde FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) geprüft. Entspricht eine Sendung nicht den Vorgaben des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages aus dem Jahr 2002, wird ihre Ausstrahlung verweigert – und der Sender muss sie nachbearbeiten oder, im schlimmsten Fall, komplett aus dem Programm nehmen. Leute wie Manfred Rauch sind da, damit es dazu gar nicht erst kommt. Sie kennen das Gesetz und wissen, worauf die FSF bei den Filmen schaut.

Bei Rauch ist das so ein bisschen abstrus. Er ist Jugendschützer, arbeitet aber fürs Erwachsenenfernsehen, und wen er da eigentlich vor was schützen muss, ist niemandem so wirklich klar. Jugendliche, dafür sorgen andere Maßnahmen, dürfen den Sender offiziell ohnehin nicht sehen. Beate Uhse TV wird über Sky ausgestrahlt, es ist erst ab 18 zugelassen und zweifach gesichert, eine Geheimnummer fürs Bezahlfernsehen und eine weitere für den Jugendschutz. Aber trotzdem hat Rauch alle Hände voll zu tun. Das Problem: Im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag steht, dass Pornografie im deutschen Fernsehen überhaupt verboten ist. Was nicht da steht, ist, was Pornografie eigentlich ist.

Nun ist Beate Uhse ein Pornosender, „Softporno“, wirft Rauch ein – also eigentlich gar keine richtige Pornografie. „Das ist etwas kompliziert“, sagt er. Nackte Brüste, ein bisschen Gestöhne, ein Penis ab und an. Jeden Tag beschäftigt Rauch sich mit der Frage, die nie so ganz zu beantworten ist: Wann ist es Erotik und wann Pornografie?

Weil es keine klare Definition gibt, greift die FSF auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1969 zurück, als „pornografisch“ im Gesetz noch „unzüchtig“ hieß. Erotik sei dann unzüchtig, heißt es dort etwa, wenn dargestellte Sexualität „ohne jeden zwischenmenschlichen Beziehungszusammenhang“ stattfinde. Und unzüchtig sei es auch, wenn ein Mensch „auf die Rolle des jederzeit austauschbaren Lustobjektes reduziert“ werde. Fünf Kriterien sind es insgesamt, die neben der etwas altbackenen Formulierung vor allem eines verbindet: Sie sind alle sehr schwammig.

Deshalb ist jeder Film ein kleiner Kampf, zwischen der Kontrollbehörde auf der einen Seite, Rauch und dem Sender auf der anderen. Manfred Rauch ist ein Pragmatiker, kein Moralist. Seine Aufgabe: Er soll die Filme so bearbeiten, dass sie es gerade noch durch die FSF schaffen. Anders gesagt: „Dass sie die Grenze zur Pornografie nicht überschreiten – aber doch eben möglichst nahe drankommen.“ Jeder Film, jede Talkshow, jeder Trailer muss vor der Ausstrahlung durch Rauchs Hände gehen. Er schneidet heikle Szenen heraus, schreibt Drehbücher der eigenen Produktionen um und korrigiert die Synchronisationsfassungen der ausländischen Filme. Er hat Philologie studiert, Anglistik und Germanistik, eigentlich wollte er zum Goethe-Institut in die Kulturarbeit.

Es hat ihn eher zufällig in die Medien verschlagen, erst zu einem Heimatfilmsender und von dort aus zu Beate Uhse TV. Seit 2001, also von Anfang an, ist auch Rauch dabei. Zwar erschöpfen sich die Texte der Drehbücher und Synchronisationen seitenweise in „Oh ja!“, „Mhm“ und „Jetzt!“ Aber anspruchsvoll ist die Überarbeitung durchaus.

Weil die Darsteller auch eine außersexuelle Beziehung haben sollen, muss Rauch diese über den Text in den Film mogeln. „Gonzo“ heißen die Filmchen, die eine derart rudimentäre Rahmenhandlung aufweisen, dass sie nicht durch die FSF kämen. Es geht um puren Sex, einfach, schlicht, oft primitiv. „Aber wenigstens ehrlich“, sagt Rauch. Verlogen findet er, was er selbst machen muss: So tun, als ginge es um etwas anderes.

Er lässt einen Stapel Blätter auf den Schreibtisch fallen, die Synchronisation eines amerikanischen Films, „Anklage: Sex“ heißt er in der deutsche Fassung. Es geht um eine Pornodarstellerin, die vor Gericht steht und Ausschnitte ihre Filme als Beweismittel vorführt, während die Geschworenen ihrerseits auf den Bänken aktiv werden. Ein Plot, der nicht mal ernsthaft vorgibt, Handlung zu sein – im deutschen Fernsehen ginge das nicht. Also muss Rauch eine neue Story basteln. Die Bilder bleiben die gleichen, doch plötzlich geht es ums Recht auf Meinungsfreiheit und enttäuschte Liebe. Viel Handwerk ist dabei, sagt Rauch – aber auch ein bisschen Kunst.

Er ersetzt „Ich war sowieso in der Stadt“ durch „Ich hatte Sehnsucht nach dir“ und macht so aus einer Gelegenheitsnummer einen Liebesakt. Er fügt „Komm, lass uns nach Hause gehen“ ein und macht aus einer Zufallsbekanntschaft ein Ehepaar. Er schreibt „jung und naiv“ statt „total pleite“. Er stilisiert zwei Sex-Gespielinnen zu lesbischen Aktivistinnen, die im Internet eine Fundraising-Show anbieten, um Geld zu sammeln. Und er rollt die Augen dabei. „Das ist alles sehr absurd“, sagt er, und meint nicht die Filme, sondern das, was er draus machen muss.

Manchmal meinen es die Autoren auch ein bisschen zu gut mit der außersexuellen Beziehung und diktieren den Schauspielern schwülstige Liebesschwüre in den Akt hinein. Rauch streicht die Zeilen dann. „Keiner plappert doch ständig beim Sex“, sagt er. Er ist ein trockener Typ, ein Realist. Er weiß genau, wie haarsträubend die Geschichten und wie dämlich die Dialoge oft sind, die er schreibt. Aber so seien eben die Kriterien, sagt er und schüttelt resigniert den Kopf: „Veraltet. Und ziemlich lächerlich.“

Sie wissen es alle, er weiß es, und natürlich wissen es auch die Leute von der FSF. Manchmal klingen die Beurteilungen und Inhaltszusammenfassungen der Gutachter genauso süffisant wie die Geschichten geistlos sind. Manchmal werden die Filme auch mehrmals hin- und hergeschickt, dazu ein ausführlicher Briefverkehr zu jeder strittigen Szene, der den schlüpfrigen Inhalt in bürokratische Wortungetüme verpackt: „implizite Erotisierung eines Machtgefälles“ heißt es im Gutachten etwa über eine Polizistin, die ihre Gefangene ein wenig zu genau untersucht.

Über die Jahre haben sie gemeinsame Nenner ausgehandelt. Stöhnen ist erlaubt, aber nicht zu laut, und bitte nicht von zu starken rhythmischen Geräuschen begleitet. Eine Erektion ist hin und wieder auch erlaubt, aber sie muss handlungsrelevant und darf nicht fokussiert im Bild zu sehen sein.

Manchmal gehen die Meinungen weit auseinander. Manchmal findet die Behörde, dass diese Erektion nun aber wirklich nicht entscheidend für den Spannungsbogen sei, und wenn Manfred Rauch das doch findet, dann muss er vor den Gutachtern erscheinen und ein Plädoyer für die Erregung halten.

Er hat sich eine freundliche Distanz zu den Filmen aufgebaut. Es ist seine Arbeit, sagt er, er nimmt sie ernst, aber mit Humor. Nur, wenn der Tag besonders hart und anstrengend war – dann muss er sich zu Hause erst mal eine Stunde vor das Arte-Programm setzen zur Entspannung.

Ein harter Arbeitstag ist es etwa, wenn er den ganzen Tag im Büro sitzt und sich mit der FSF einen Papierkrieg darum liefert, ob ein Fellatio mit der Colaflasche gezeigt werden darf oder nicht. Er macht seine Arbeit gern, aber es ärgert ihn, dass er um jede Erektion kämpfen muss. „Wer die Geheimnummer eingibt, weiß doch genau, was ihn erwartet.“ Bei anderen Sendern rufen manchmal empörte Leute an und beschweren sich, dass eine Frau zu früh am Tag zu nackt zu sehen gewesen sei. Wenn bei Manfred Rauch einer anruft, beschwert er sich, dass zu viel zensiert worden sei. Manche Zuschauer kennen die Filme im Original und werden dann abends auf dem Sofa fuchsig bis böse, wenn die schärfsten Szenen draußen sind.

Rauch lehnt sich in seinem Stuhl zurück und deutet auf den Bildschirm, wo die Früchtchen sich gegenseitig bekleckern und mal wieder frech, aber ziemlich harmlos sind. So sehe das Programm bei Beate Uhse TV aus: bunt und soft. Er versteht nicht, warum es da so ein Theater geben muss. Es gehe ja gar nicht darum, harte Pornografie zu zeigen, sagt er und klingt ein bisschen erschöpft dabei. „Ich würde mich nur gern nicht um jedes Stöhnen streiten müssen.“

Carina Braun

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