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Experten: Mehmet Scholl, Reinhold Beckmann, Gerhard Delling, Béla Réthy, Oliver Kahn, Katrin Müller-Hohenstein, Sabine Töpperwien, Matthias Opdenhövel (von oben li.).Foto: dpa

© dpa

Sport-TV: Mit Olli am Strand

Von Usedom, aus Polen und der Ukraine: Wie ARD und ZDF die Fußball-EM ins Fernsehen bringen. Dabei sei diese EM „die bisher politischste“, vergleichbar nur mit der WM 1978 im Junta-Land Argentinien, sagt ARD-Teamchef Schönenborn..

28 Millionen, das ist die Rekordmarke, die es zu knacken gilt. So viele Fernsehzuschauer verfolgten in Deutschland das Finale der Fußball-Europameisterschaft 2008. Die Löw-Elf verlor gegen die Spanier. Das war bitter, doch beim anstehenden Turnier in Polen und in der Ukraine kann es just wieder zu dieser Paarung kommen. Das ZDF überträgt das Endspiel, Béla Réthy kommentiert, auf einen deutschen Sieg vor neuer Rekordkulisse in deutschen Haushalten wird gehofft. Und auf fantastischen Fußball. Réthy nannte bei der gemeinsamen EM-Pressekonferenz von ARD und ZDF am Dienstag in der HSV-Arena „die Europameisterschaft eine verdichtete WM“. ARD-Experte Mehmet Scholl sekundierte mit der Analyse, bei diesem Turnier würden schon die Eröffnungsspiele der 16 Teilnehmer in den vier Gruppen eine Qualität versprechen, die es bei einem Weltturnier erst vom Viertelfinale an gebe.

Die Erwartungen beider öffentlich-rechtlicher Sender sind hoch, sehr hoch, der personelle, finanzielle und technische Aufwand vom 8. Juni bis zum 1. Juli nicht minder. Nach Aussagen von Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur und ARD-Teamchef, und ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz werden beide Sender jeweils 300 Mitarbeiter einsetzen. Die Kosten je Sender würden sich auf zehn Millionen Euro belaufen. Schönenborn unterstrich, dass 2012 in Polen und der Ukraine auf dem finanziellen Niveau der EM 2008 in der Schweiz und Österreich produziert werde. Diese Etatdisziplin führten die Verantwortlichen auf eine in dieser Intensität noch nicht praktizierte Kooperation zurück. So wird die ARD für die Technik in Polen auch bei ZDF-Übertragungen verantwortlich sein, das ZDF umgekehrt in der Ukraine.

Bei der Zusammenarbeit setzen die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme bei den 31 Partien in acht Stadien auf unterschiedliche Konzepte. Das Erste wird seine Berichterstattung immer auf den Spielort konzentrieren. Wenn also Steffen Simon oder Gerd Gottlob im Stadion kommentieren, wird die Analyse vom Experten Mehmet Scholl in der Moderation von Gerhard Delling oder Reinhold Beckmann so nahe wie möglich am Spielfeldrand erfolgen. Das ZDF dagegen wird die Fachsimpelei zwischen Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn am „ZDF-Fußballstrand“ an der Seebrücke in Heringsdorf stattfinden lassen.

Ähnlich wie bei der EM 2008, als rund tausend Gäste im „Fußballstadion“ am Bodensee in Bregenz mitfiebern durften, wird auf Usedom an den zehn Sendetagen des Zweiten eine Mischung aus ernsthafter Analyse, Begeisterung und Emotion angestrebt. Fußball ist auch Unterhaltung, selbst bei einer Europameisterschaft. Für Berliner und Brandenburger ist der „Fußballstrand“ als (Tages-)Ausflug gut erreichbar, Tickets kosten zehn Euro. Auch das ZDF setzt bei seiner Mannschaft auf bewährte Köpfe. Neben Müller-Hohenstein, Kahn und Réthy werden beispielsweise Thomas Wark kommentieren und Michael Steinbrecher sich als Reporter aus dem Quartier der deutschen Mannschaft in Danzig melden. Am Rande der Pressekonferenz wurde auch bekannt, dass das ZDF die Zusammenarbeit mit dem Experten Oliver Kahn über das EM-Turnier hinaus verlängert, wenigstens für die drei Jahre, in denen vom August 2012 die Mainzer die Champions League übertragen werden.

Fußball ist nie mehr nur Sport, Fußball ist auch politisch; insbesondere wenn ein europäischer Wettbewerb nicht nur in Polen, sondern auch in der Ukraine stattfindet, einem Land, in dem es, wie Schönenborn sagt, „Menschenrechtsverletzungen gibt“. Diese EM sei „die bisher politischste“, vergleichbar nur mit der WM 1978 im Junta-Land Argentinien. Klar, ARD und ZDF werden während der EM im Regelprogramm der Magazine und Reportagen die Gastgeberländer intensiv vorstellen, was nottut, denn Polen und die Ukraine sind für die große Mehrheit der Deutschen der nahe, fremde Osten.

Schon im Vorfeld des Turniers sollen politische, kulturelle, zugleich zwischenmenschliche Aspekte in die Berichtsformate einfließen. Schönenborn berichtete, dass in der Ukraine die Bewegungsfreiheit der Reporter und Korrespondenten größer geworden sei. Immer aber sei darauf zu achten, dass die Gesprächspartner in Kiew oder in Donezk nicht gefährdet würden. Die Verantwortlichen von ARD und ZDF waren sehr um die Botschaft bemüht, mit der EM nicht ein Jubel-Trubel-Programm zu veranstalten. Trotzdem scheint es unabdingbar, dass ein Sportevent dieser Dimension zugleich zum musikalischen Höhepunkt werden soll. Das Zweite hat vier Musiker aus dem ukrainischen Ternopil beauftragt, den „ZDF-Fußballsommerhit 2012“ einzuspielen. Das Erste ist auf die Idee gekommen, die Spiele der deutschen Mannschaft von der Münchner Hip-Hop-Band „Blumentopf“ kommentieren zu lassen. Das ARD-Radio wird den TV-Kollegen beim Einsatz in nichts nachstehen. Alle 31 Spiele werden live und in voller Länge übertragen.

Von einer Zusammenarbeit der ARD mit Monica Lierhaus während der Fußball-EM wurde auf der Präsentation nichts bekannt. Die ehemalige Sport-Moderatorin der ARD hat sich just an jenem Tag, an dem im Hamburg die medialen Protagonisten der nächsten Fußball-EM vorgestellt wurden, mit einem vorab veröffentlichten Interview mit Bundestrainer Joachim Löw in der „Bild“-Zeitung in Erinnerung gerufen. Die 41-Jährige hat damit erstmals seit ihrer schweren Erkrankung wieder als Sportreporterin gearbeitet. Mit Löw sprach sie für die am Mittwoch erscheinende „Sport Bild“ auch über die EM. Der Cheftrainer zeigte sich begeistert: „Im Interview ist sie charmant und hartnäckig wie immer gewesen.“ Die beiden hätten sich in Berlin zu einem 45-minütigen Gespräch getroffen.

„Das Interview hat mir einfach richtig Spaß gemacht“, sagte die ehemalige „Sportschau“-Moderatorin. Vor zwei Jahren habe sie niemals gedacht, dass sie wieder mit Löw ein Gespräch führen würde. „Das ist eine unheimliche Motivation für mich weiterzuarbeiten.“ Schon vor einigen Monaten hatte Lierhaus angekündigt, dass es ihr großer Wunsch sei, wieder als Sportjournalistin zu arbeiten.

Lierhaus hatte sich Anfang 2009 einer Hirnoperation unterziehen müssen und danach monatelang im Koma gelegen. Zwei Jahre später war sie erstmals wieder vor Kameras getreten. Bei der Verleihung der Goldenen Kamera – die vom Axel-Springer-Verlag ausgerichtet wird, in dem auch die „Sport Bild“ erscheint – machte Lierhaus ihrem Lebensgefährten vor Millionen Zuschauern einen Heiratsantrag. Seit Mai 2011 präsentiert sie die Wochengewinner der ARD-Fernsehlotterie. Ein „Bild“-Interview ist mit einem Fernsehauftritt bei einem Länderspiel aber nicht zu vergleichen. Die nächste Fußball-EM wird Monica Lierhaus auf jeden Fall als Zuschauerin erleben.

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