zum Hauptinhalt

Medien: Sprint durch Karriere und Welt

Die Knie kaputt hauen an der Volksbühne? Da ging Claudia Michelsen zum Film nach Los Angeles

Jedes Mal, wenn Claudia Michelsen einen Film abgedreht hat, beginnt sie wieder von vorn. Immer auf dieselbe Weise. Sie spaziert eine Stunde um den See oder macht Yoga. Am liebsten geht sie in die Sauna. Dort, in der Hitze, verdampfen ihre alten Rollen. Hier setzt sie alles auf Anfang. Sie sagt: „Was vorbei ist, ist vorbei.“ Sie sitzt im langen Mantel im Garten des Literaturhauscafés in der Fasanenstraße. und reibt sich die Hände. Jetzt ist es kurz nach zehn. Gerade hat sie ihre beiden Töchter in die Schule gefahren. Sie trinkt Cappuccino und raucht eine Zigarette. Das kleine Stück Freiheit am Tag, das sie genießt.

„Manche Dinge aus der Vergangenheit kriegt man nicht los“, sagt sie. Letztes Jahr hat Claudia Michelsen zum ersten Mal in Dresden gedreht. Der Film „12 heißt: Ich liebe dich“ läuft am 16. April in der ARD. „Es war wunderbar in der alten Heimat“, erinnert sie sich, „ganz früh am Elbufer entlangzufahren und die Stadt in einem anderen Licht zu sehen. Ein Traum.“

In Dresden wurde sie 1969 geboren. Ihr Vater, der Komponist Udo Zimmermann, und ihre Mutter, eine Zahnärztin, trennten sich, als sie sechs Wochen alt war. In einer Wohnung am Altmarkt, unweit der Kreuzkirche, wurde sie ohne Westfernsehen groß mit tschechischen Märchen- und alten Ufa-Filmen in Schwarz-Weiß. Es war eine Zeit, in der, wie sie sagt, „man gar nicht richtig versaut werden konnte“.

Es war auch die Zeit, in der das Leben noch eng war, die Träume aber wuchsen. Ihr Stiefvater, „der Michelsen“, wie sie ihn liebevoll nennt, war bei der Handelsflotte. Mit dem Schiff schipperte er um die ganze Welt. Die Welt – das war ein ziemlich großer Begriff für ein junges Mädchen aus der DDR. Claudia Michelsen packte das Fernweh. Sie wollte Funkerin werden. „Ich fand das abenteuerlich. Mit einem Funkgerät mit allen Menschen sprechen zu können. In einer Sprache, die jeder versteht.“

Sie begann schon früh, ins Theater zu gehen. Dort erlebte sie dessen Blütezeit und eine neue Form von Sprache. „Theater hatte damals eine andere Funktion“, sagt sie, „es gab eine stille Verbindung zwischen den Schauspielern und dem Publikum – gerade auch, wenn es um politische Themen ging.“ Überfüllt mit jungen Leuten glichen die Vorstellungen einem Rockkonzert. Besetzt mit den damaligen Stars: Dagmar Manzel, Cornelia Schmaus, Sylvester Groth. Sie gerät noch heute ins Schwärmen, wenn sie davon spricht.

Als Teenager fing sie an, im Kulturpalast als Garderobiere zu arbeiten. Sie assistierte dem Tontechniker. Sie besuchte fast jeden Tag eine Aufführung.

Ihre Idee von Welt bekam plötzlich einen Namen: Theater. Und an dieser Welt wollte sie teilhaben. Eigentlich als Opernregisseurin, was wohl an ihrem Vater lag, den sie mit 15 das erste Mal traf. Aber als die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin erstmals 16-Jährige zur Aufnahme zuließ, bewarb sie sich zusammen mit ihrer Freundin Christine Hoppe, der Tochter des Schauspielers Rolf Hoppe. Beide wurden genommen.

Claudia Michelsen ist seit 21 Jahren Schauspielerin. „Das war normal“, sagt sie. Der Satz ist kurz und ohne Stolz. Gelassen fügt sie hinzu: „Wir wussten doch alle immer schon früh, was wir werden wollten.“ Es ist wie mit einer Speisekarte: Wo wenig Auswahl ist, fallen die Entscheidungen schneller. Sie verließ Dresden und ihr Elternhaus, als sie noch nicht volljährig war und schon selbstständig sein musste. Sie spielte starke Frauenrollen und war dabei fast noch pubertierend. So etwas lässt einen früh reifen. Sie sagt: „Man fühlte sich erwachsener, als man war.“

Wenn Karriere Bewegung ist, dann ist die von Claudia Michelsen ein 100-Meter-Sprint. An der Schauspielschule fing die zarte Blume an zu wachsen. „Das war für mich wie Dünger“, sagt sie. Sie wuchs sogar über sich hinaus. Noch während ihres Studiums spielte sie an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Mit 19 debütierte sie dort als Ophelia. Wo andere sich mit dreißig noch hinträumten, war sie längst schon gewesen. In dieser Zeit hat ein erfahrener Schauspielkollege ihr einmal einen Rat gegeben: „Claudia, pass auf, dass du immer gut in der zweiten Reihe bleibst.“ Damals hat sie die Worte nicht gleich verstanden. Sie dachte: „Ach Quatsch, man muss in die erste Reihe! Da kann man doch viel mehr bewegen.“ Mittlerweile weiß sie, was damit gemeint war. Nicht auffallen, sondern gut arbeiten. Präsent sein, und sich trotzdem zurückziehen. Oder aber: Immer bei sich bleiben. Genau das ist auch ihre Art, sich mit dem Beruf auseinanderzusetzen. „Wenn man ihn lange ausüben will“, sagt sie, „muss man das auch im Hintergrund können.“

Claudia Michelsen dreht mit Götz George („Maria an Callas“), Tobias Moretti („42 plus“), Heino Ferch („Der Tunnel“), Devid Striesow („12 heißt: Ich liebe dich“, Klaus J. Behrendt („Kanzleramt“). Sie spielt die erste Geige, aber hinter dem Vorhang. Auf Galas ist sie so gut wie nie zu sehen, genauso wenig wie in den Illustrierten. Sie hadert mit der Vorstellung davon, dass man selbst das Produkt ist, das man verkaufen muss. „Darum“, sagt sie, „ist es mir nie gegangen.“

Diese Veränderung kam 1989. Die Wende hatte wie schlechtes Wetter die Theatersäle leer gefegt. Der einstige Theatergänger brauchte seinen politischen Hunger nicht mehr zu stillen, er hatte anderes zu tun. „Auf einmal sollten wir reines Entertainment machen“, „erzählt sie, „die Inhalte und die alten gewohnten Widerstände waren weg, das war schon hart.“ Sie blieb trotzdem an der Volksbühne. Sie wurde das Gesicht dieses Theaters – und das für Jean-Luc Godard. Der hatte sie 1991 auf einem Foto entdeckt, als er für seinen Film „Allemagne neuf zero“ deutsche Schauspielerinnen suchte. Er brauchte zwei Minuten, um sich für sie zu entscheiden. Sie faszinierte ihn. Scheinbar passte hier nichts zusammen: Die große Nase mit dem leichten Hügel, der schmale Mund, die grünen Augen. Eine Raubkatze auf dem Sprung. Claudia Michelsen braucht wie James Dean nur eine Augenbraue hoch ziehen – so einem Gesicht mangelt es nicht an Ausdruck. Es bleibt immer interessant.

Mitte der 90er Jahre verließ sie die Volksbühne. Sie war müde, sich bei Frank Castorf immer „die Knie kaputt zu hauen“. Sie machte sich selbstständig und wechselte zur Berliner Schaubühne. Danach ist sie in keinem Theater mehr aufgetreten. Sie war 25 und hatte noch nichts von der Welt gesehen. Sie ging nach Amerika, der Liebe zum Regisseur Josef Rusnak wegen. Parallel arbeitete sie in Deutschland für Kino und Fernsehen weiter. Sechs Jahre verbrachte sie in Los Angeles, eine „Bewusstseinserweiterung“, wie sie sagt. Auch, weil niemand dort je von der „Pupsvolksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz“ gehört hatte. Das holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück: Die Welt, die sie bisher kannte, war eben doch sehr klein.

Wenn es jemanden im deutschen Fernsehen gibt, der nie schlechte Kritiken bekommt, dann ist das Claudia Michelsen. Egal, welche Rolle in welchem Film, sie kommt immer gut weg. Man könnte das als Talent bezeichnen: Sie bewahrt die nötige Distanz. Sie drängt einem die Figuren nicht auf, sie behalten ein Geheimnis. Die Mörderin, die Mutter, die Geliebte. Die vielen Briefe, die sie bekommt, beantwortet sie selbst. Früher waren auch Liebesbriefe darunter.

Für ihre Rolle in „12 heißt: Ich liebe dich“ hat sie im Januar bereits einen Preis gewonnen – als beste Schauspielerin beim „International Festival of Audiovisual Programs“ in Biarritz. In dem Film von Connie Walther spielt sie Bettina – eine junge Frau, die wegen verbotener Westkontakte 1984 in ein Stasi-Gefängnis in Dresden kommt und sich dort in ihren Vernehmer verliebt. Von der Auszeichnung erfuhr sie an einem Samstagabend am Telefon. Da saß sie gerade mit ihrer Familie auf dem Sofa in Charlottenburg und schaute „Wetten, dass..?“.

Der Preis, der aussieht wie eine Figur „aus zwei Tuben“, steht jetzt bei ihr im Schrank.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false