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Volker Herres

© ARD

Stabwechsel im Ersten: "Mich macht Fernsehen immer glücklich"

Volker Herres wird neuer ARD-Programmchef. Ein Gespräch über Tonnenideologen und Reich-Ranicki.

Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens – was ist das für ein Job?

Ein hochinteressanter Job, in der ARD vielleicht sogar der spannendste. Sie haben die Aufgabe, mit neun Landesrundfunkanstalten ein erfolgreiches nationales Vollprogramm zu machen.

Was daran ist reizvoll, was qualvoll?

Wir machen Fernsehen mit dem Vorsatz, das beste Fernsehen in allen Genres zu bieten. Das Schwierige dabei ist, neun Sender in eine gemeinsame Richtung zu bewegen.

Lässt sich im besten Ersten Deutschen Fernsehen noch irgendwas verbessern?

Zum Glück wenig. Bekannt sind unsere Probleme um 18 Uhr 50 im Vorabendprogramm, die wir 2009 mit einem neuen fiktionalen Angebot, mit der Serie „Made in Germany“ lösen wollen. Optimierungsbedarf gibt es am Montagabend nach der „Tagesschau“. Das ist die zuschauerschwächste Strecke über die ARD-Woche gesehen, das gilt leider auch für die Dokumentation um 21 Uhr. Und dann der Schönheitsfehler am Mittwoch: der Sendebeginn der „Tagesthemen“ um 23 Uhr nach „Hart aber fair“.

Für ein Programm, das sich so viel auf seine Information zugute hält, sind die „Tagesthemen“ am Mittwoch um 23 Uhr mehr als ein Schönheitsfehler.

Wir können auf die Korrektur nicht warten, bis Godot kommt, das ist wahr. Wir sind uns einig, dass der Mittwoch geändert werden muss, wir sind uns nicht einig über das Wie.

Klingt wie das „Wort zum Mittwoch“...

Abwarten. Ich werde vom ersten Tag meiner neuen Aufgabe an an der Lösung arbeiten.

Welche ARD-Serie ist intelligenter als die US-Serie „Dr. House“ bei RTL?

Wir haben mit Produktionen wie „Mord mit Aussicht“ und „Türkisch für Anfänger“ sehr intelligente und sehr unterhaltsame Serien. Leider haben sie nicht den erwünschten Zuschauerzuspruch, gleichwohl setzen wir im Ersten beide preisgekrönten Formate fort. Und natürlich machen wir ein Programm mit dem Ziel, möglichst stark im Markt zu sein. Und wir haben – siehe Dienstag – Serien im Programm, deren Erfolg gewaltig ist.

Möglicherweise hat sich die ARD ein Serienpublikum kreiert, das gar nicht in der Lage und willens ist, ein Produkt wie „Dr. House“ zu akzeptieren.

Wir haben ein anderes Publikum als RTL, wir machen ein Programm für alle Segmente der Gesellschaft und nicht für eine Zielgruppe. Wenn etwas gut läuft, dann nicht dran fummeln, das ist mein Motto.

Harald Schmidt lief nicht so toll, dann hat die ARD Oliver Pocher geholt. Ein Wagnis, das fortgesetzt werden sollte?

Harald Schmidt ist eine der ganz großen Figuren im Ersten, und so lange er Fernsehen machen möchte, würde ich mich freuen, wenn er das im Ersten tut. Schmidt soll sich bei uns wohlfühlen.

Sie sind nicht der Mann, der Schmidt mal sagt, dass er sich anstrengen soll?

Er strengt sich an. Dass bei einer Serie die eine Sendung mal stärker ist als die andere, ist normal. Aber ich gehöre nicht zu denen, die sagen, Harald Schmidt sei auf einem absteigenden Ast. Er ist einer der Begnadetsten auf seinem Gebiet.

Der CDU-Gewaltige Wolfgang Schäuble sieht einen Bedeutungsverlust bei den politischen Talkshows. Hat er da nicht vollkommen recht?

Nein, wir haben mit „Anne Will“ und „Hart aber fair“ mittlerweile sogar zwei politische Talkshows im Programm. Beide funktionieren, beide werden vom Publikum angenommen. Zusammen erreichen wir so Woche für Woche rund sieben Millionen Menschen mit politischem Talk. Was sich in den politischen Talkshows widerspiegelt, das ist die politische Konjunktur. In Zeiten der Großen Koalition wurden Konflikte teils nicht mehr so öffentlich ausgetragen, dann ist die ganze politische Szenerie langweiliger. Aber das ändert sich ja gerade. Warten Sie nur auf das Wahljahr 2009: Da wird die erste Reihe der Politik in den Talkshows wieder vermehrt Platz nehmen. Wie wollen sie denn Wahlen gewinnen als Spitzenkandidat, wenn sie sich nicht mit ihren Überzeugungen und ihrer Persönlichkeit einem breiten Publikum vorstellen können?

Wahljahr 2009: Muss man da die politischen Magazine nicht wieder von 30 auf 45 Minuten verlängern?

Nein, das muss man nicht. Ich bin kein Freund der Tonnenideologie. Masse ist keine Klasse, und Länge an sich ist noch kein Gewinn. Auch die Länge eines Zeitungsartikels sagt nichts über seine Qualität.

Die Jugendoffensive der Öffentlich-Rechtlichen kommt nicht vom Fleck. Welche Attacke planen Sie?

Die ganze Debatte wird immer sehr undifferenziert geführt. Die Gesellschaft wird a) immer älter und b) gilt für den Fernsehkonsum: Es gibt keine Gruppe, die so viel fernsieht wie die ältere Generation. Wenn Sie mit unserem informationsorientierten Vollprogramm jugendliches Publikum erreichen wollen, dann tun Sie sich in der Tat schwer. Das junge Publikum schätzt bei uns Sport, vor allem Fußball und auch Boxen. Es sieht aber auch fiktionale Angebote, vor allem „Tatort“, „Lindenstraße“, aber auch die „Tagesschau“. Besondere Aufmerksamkeit werden wir in den kommenden Jahren darauf legen müssen, die mittleren Jahrgänge, die 30- bis 50-Jährigen eng an uns zu binden.

Macht Fernsehen glücklich?

Mich hat es immer glücklich gemacht.

Warum macht es Marcel Reich-Ranicki nicht glücklich?

Das ist ein 88-jähriger Mann, der auf einem harten Stuhl mehrere Stunden lang dieser Gala zum Deutschen Fernsehpreis beiwohnen durfte. Dann musste er Dinge sehen, die nicht seine sind. Marcel Reich-Ranicki darf diese sehr harte Kritik äußern – gerecht ist sie nicht.

Hat der Wert des Deutschen Fernsehpreises nicht enorm gelitten?

Jeder Preis ist eine Nabelschau der Branche, in der er vergeben wird. Aber ich teile nicht den Ansatz von Leuten, die Qualität nur bestimmten Segmenten zubilligen: Klassische Musik, große Malerei, große Dokumentation, das ist dann Qualität, und alles, was Massenkultur ist, kann keine Qualität sein. Das ist nicht mein Qualitätsbegriff. Ich halte das für eine kulturgeschichtliche Verirrung. Qualität gibt es in jeder Form, eine exzellente Fußballübertragung ist Qualität. Ich kann Qualität nur genrebezogen definieren. Früher war Fernsehen besser? Welch ein Irrtum.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

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