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Medien: Standardtänze und Standardmenschen

Mit „Let’s dance“, das heute endet, und „Deutschland sucht den Superstar“ feierte RTL in diesem Jahr zwei große Erfolge. Aber die Rankingshows, auf die das deutsche Fernsehen fixiert ist, machen blind für Individualität / Von Barbara Sichtermann

Woher kommt sie eigentlich, die Leidenschaft für die Rangliste, für die Tabelle? Für Oben/Unten/Mittel und eenemeenemu, raus bist du? Das Spiel vom Gewinner und Verlierer, auch Wettbewerb genannt, hat seine ernsten Vorbilder in Krieg und Jagd, es ist so alt wie die Menschheit und war natürlich auch im Fernsehen immer schon geschätzte Programmsparte. Von „1 : 0 für Sie“ über „Was bin ich?“ und „Wetten, dass…?“ bis zu „Deutschland sucht den Superstar“ haben die Rate- und Gameshows so viele Varianten hervorgebracht wie kaum ein anderes TV-Genre. Jüngste Blüte ist die Castingshow mit ihren Ablegern, wobei die Frage nicht mehr nur lautet: „Wer bin ich?“, sondern „Was kann ich?“

Der Grundgedanke der meisten Gameshows inclusive „Wer wird Millionär?“ ist die Einbeziehung der Zuschauer, der Nonprofessionals in die Fernsehunterhaltung. Leute von der Straße sollen raten und gewinnen, sollen bei „Big Brother“ fernsehtauglich wohnen, bei „Supermodel“ laufstegreif catwalken, bei „Let’s dance“ turniermäßig schwofen. An sich ist das eine nette Idee, aber Nettigkeit reicht nicht, Spannung muss dazukommen. Also geht es immer darum, einen Wettbewerbsrahmen zu schaffen, der die Mitmacher nach Gewinnern und Verlierern sortiert; eine Tabelle muss her, an der sich ablesen lässt, wer spitze ist und wer im Keller. Dieses Muster ist vom Sport bekannt, durch den Fußball allgegenwärtig, und so fragt sich niemand, ob es auch überall hinpasst, wo es aufgepfropft wird.

Schon bei „Big Brother“ blieben die Kriterien dunkel, nach denen der eine und die andere rausgewählt wurden – Sympathie und Antipathie lassen sich nicht objektivieren, per Abstimmung aber mit einer Zahl koppeln, die dann für eine Tabelle sorgt und so das beruhigende Gefühl von ordentlicher Objektivität erzeugt. Die Leidenschaft für die Tabelle entstammt nicht nur atavistischen Kampfgelüsten, sondern auch und wohl vor allem einem Bedürfnis nach Ordnung. Die Oben-Unten-Struktur, auch Hierarchie genannt, ist ein primitives Ordnungsgerüst und eigentlich seit der Neuzeit nicht mehr konkurrenzlos. Man denkt längst immer öfter in Termini von Partnerschaftlichkeit und Egalität. Die sich verschärfende Relevanz der Tabelle in die Fernsehunterhaltung sollte zu denken geben.

Denn der Akzent in den Shows liegt immer schwerer auf dem Ranking. Ältere Konzepte wie „Wetten, dass...?“ lassen den Einzelfall gelten, neuere nur den ersten Platz. Aber gerade bei der an Laien gerichteten Frage: „Was kann ich?“ ist der Sinn des Vergleichs begrenzt. Bei „Let’s dance“ hat man es spüren können. Im Grunde brauchten die Amateure, die sich da ins Zeug legten, jeweils ihre eigene Bewertungsskala. „Wir geben wirklich hundert Prozent, und mehr geht nicht“, sagte Roberto von Sandy und Roberto, und es ist kein Zufall, dass er eine Zahl wählte, um seinem Engagement Ausdruck zu verleihen. Auch die Juroren halten Kellen mit Bewertungsziffern hoch. So läuft es überall, wenn Sieger und Verlierer ermittelt werden, es wäre aber ganz gut, wenn die Preisrichter, Mitspieler und Show-Designer sich im Klaren wären über das, was sie tun.

Jeder Vergleich im Geiste der Tabelle nimmt eine Quantifizierung vor, das heißt, er setzt eine gemeinsame Qualität voraus. Vergleiche ich Sandy und Wolke jenseits verbaler Beschreibungen, gebe ich also (zum Beispiel) Sandy acht Punkte und Wolke sieben, so habe ich die Individualität der Darbietung vernachlässigt und mich auf quantifizierbare Faktoren zurückgezogen. Man kennt das Dilemma aus der Schule: Mathearbeiten zu benoten, fällt relativ leicht. Aber wie sieht es mit dem Aufsatz aus? Wie soll man eine poetische Ader oder das, was zwischen den Zeilen steht, numerisch bewerten? Einstein sagte dazu: „Nicht alles, was gezählt werden kann, zählt, und nicht alles, was zählt, kann gezählt werden.“ Ranking macht Spaß, es sollte aber dabei nie vergessen werden, dass die Note, dass die Tabelle immer dasjenige wegschwindelt, was sich dem Vergleich entzieht, und das könnte das Wichtigste sein.

Beim Fußball sind die Dinge sonnenklar: ein Tor ist ein Tor und ein Spielstand ein Spielstand. Über die ästhetischen Valeurs eines Matches redet man nebenbei. Rankingshows haben es nicht so leicht. Die absurdeste Variante war im vorletzten Jahr der Versuch, „Deutschlands Beste“ zu ermitteln. Er führte zu dem erstaunlichen Vergleich zwischen Bach, Goethe, Adenauer und Dieter Bohlen (und noch vielen anderen). Hier blieb überhaupt keine gemeinsame Qualität übrig, an der eine Punktezumessung sinnvoll hätte festgemacht werden können. Dass man es dennoch einfach tat, zeigt, dass Ranking als solches zu einer Art Besessenheit geworden ist, die ihren Sinn in sich selbst findet.

Was das für ein Sinn sein könnte? Na, raus mit der Vielfalt von Qualitäten, der Individualität, der Unvergleichbarkeit, rein mit dem Spaß am Zählen, Hochjubeln und Fertigmachen und dem schönen Ordnungsgefühl, das die Tabelle verheißt. Es ist wahrscheinlich nicht zu weit hergeholt, die viel gescholtene Globalisierung mit ihrer Verabsolutierung des Konkurrenzprinzips als Pate dieser Entwicklung auszumachen. Der Neoliberalismus feiert die Kraft, die auf dem Felde der Ökonomie für eine klare Tabelle sorgt, als eine Art Naturgewalt, gegen die kein Einspruch möglich ist. Derselbe Masochismus wandert als Gefühlsfarbe ins Fernsehen und entfacht dort eine sich steigernde Begeisterung für Rankingshows.

Das könnte eine Fehlentwicklung sein. Lebt doch die Unterhaltung im Fernsehen, wenn sie lebt, von Qualitäten, von Ideen und Menschen, deren Geist sich nicht messen lässt und sich dem Vergleich entzieht. Je unbesorgter die Fernsehunterhaltung ihre Seele ans Ranking verkauft, desto weniger wird sie zählen.

„Let’s dance - das große Finale“: RTL, 20 Uhr 15

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