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Stefan Raab im Interview: „Ich bin erfolgreich, weil ich keine Angst habe“

Stefan Raab hat im Leben einiges gelernt, er produziert seine Lieder im Alleingang, dreht und schneidet die Videos dazu selbst. Daher seine Erkenntnis: Expertentum ist hinderlich, Frechheit siegt – und ein gebrochenes Steißbein schmerzt länger als ein Jahr.

Stefan Raab, 46, gelernter Metzger, Jingle-Produzent, Star-Caster, Turmspringer, Amateurboxer, Wok-WM-Erfinder etc. moderiert seit 1999 bei Pro 7 mehrmals pro Woche die Late-Night-Show „TV total“. Diesen Sonntag startet seine neue Polit-Talkshow „Absolute Mehrheit“. Raab lebt und arbeitet in Köln

Herr Raab, die ARD erwägt gerade ernsthaft, ihre politischen Talkshows zu reduzieren …

… dann hat unsere Aktion ja schon gezündet.

Es gibt zu viele. Jeden Tag sitzen in den Studios der Republik dieselben Personen und kommentieren Themen wie „Rücksichtslos und asozial – verkommen wir zur Rüpelrepublik“, „Deutscher Hass – wie tief ist der Neonazi-Sumpf?“, „Droht uns im Alter die Armut?“. Und jetzt kommen Sie?
Genau. Doch diese Gleichförmigkeit ist nicht Schuld der Politiker. Es wird nun mal nur alle vier Jahre gewählt, wodurch neue Personen auf wichtige Positionen rücken. Sie wollen ja nicht den Hinterbänkler in der Runde haben, sondern zumindest mal einen stellvertretenden Parteivorsitzenden, einen Minister oder Fraktionsvorsitzenden.

Um die gibt es nun bei der ersten Sendung gleich Streit: Ein Minister hat abgesagt.
Streit gibt es allenfalls zwischen zwei Referenten, nämlich zwischen dem von Herrn Altmaier und dem von Herrn Beck.

Hatten Sie sonntagabends nichts Wichtigeres vor?
Nur da hatte ich noch Zeit.

Der Abend gehört bei vielen Menschen der Familie.
Machen Sie sich um mein Privatleben keine Sorgen. Bevor ich aber sonntagabends zu Hause sitze und mir Günther Jauch ansehe, mache ich das doch lieber selber. Allerdings etwas anders als die politischen Talkshows, die Sie kennen.

In denen haben die Politprofis drei Botschaften, die sie loswerden wollen. Der Rest: engagierte, aber unbedarfte Bürger. Todlangweilig.
Das Problem ist, dass alle Talkshows nach demselben System agieren. Es werden Fragen gestellt und Antworten gegeben, aber keine Erkenntnisse bewertet. Das kann eigentlich nur der Zuschauer. Und diese Chance geben wir ihm.

Wie läuft das ab?
Nach jedem Thema, das wir diskutieren, findet eine Abstimmung statt. Derjenige, der die schlechteste Performance abgeliefert hat und die wenigsten Prozente bekommt, fliegt aus der Wertung. Er darf zwar weiter mitdiskutieren, so demokratisch sind wir schon noch, aber er ist nicht mehr Kandidat für die absolute Mehrheit.

Sie wenden also die Idee des Wettkampfs auf die politische Bühne an? Und da, glauben Sie, macht Guido Westerwelle mit?
Auch beim Bundesvision Song Contest hatten wir anfangs große Mühe, die Stars zur Teilnahme zu bewegen. Weil sie ja wussten, dass von ihnen ein Sieg erwartet wird. Warum sollte Westerwelle nicht auch den Jackpot knacken wollen?

In Ihrer Sendung kriegt der Sieger 100 000 Euro.
Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Wahlkampfkostenerstattung.

Was ist eine Meinung wert, die bezahlt wird?
Meinungen haben einen geringen Wert, so lange sie nicht von einer größeren Mehrheit gedeckt werden. Wir veranstalten einen Wettbewerb um die Gunst dieser Mehrheit. Niemand wird sich die Blöße des Verlierers geben wollen. Jemand, der nach der ersten Debatte auf Platz vier liegt, könnte sich danach gehörig ins Zeug legen. Entweder emotional, weil ein Profipolitiker nicht plötzlich seine Meinung ändern wird, oder durch Sympathie, Eloquenz oder Humor.

Cicero, römischer Senator und brillanter Redner, hat den Senat mit seiner Wortmächtigkeit dominiert. Politik jedoch hat er wie jeder andere gemacht, indem er Bündnisse mit den für ihn nützlichen Kräften der Republik eingegangen ist.
Wenn Sie aus Köln kommen, wissen Sie, dass das Schmieden von Bündnissen eine hohe soziokulturelle Bedeutung hat. Das macht aber unseren Ansatz nicht überflüssig. Jedes Mal, wenn ich eine politische Talkshow verfolge, frage ich mich, welchen der Standpunkte ich am besten finde und was die anderen Zuschauer am besten finden. Bei „Hart aber fair“ werden zu diesem Zweck immer ein paar Fax-Mitteilungen vorgelesen. Herr Soundso aus Ibbenbüren sagt: „Isch hab’ auch Nebenbeschäftigung und hab da nie drüber geredet.“ Das ist selektiv. Das Televoting gibt mir hingegen eine klare Vorstellung von einem Stimmungsbild.

"Ich habe keine Angst, die Gefahr einer Niederlage einzugehen."

Ihr Vertrauen in die Telepublik ist grenzenlos?
Mich interessiert brennend, wie viele Menschen derselben Meinung sind wie ich. Nach diesem Prinzip erfinde ich meine Sendungen.

Das müssen Sie erklären.
Ich denke einfach darüber nach, was ich gerne sehen würde.

Man hat eher den Eindruck, dass Sie sich fragen: Was würde ich gerne erleben?
Ich kann glücklicherweise beides gleichzeitig haben. Bei „Absolute Mehrheit“ bin ich allerdings nur Moderator. Wenn ich da anfangen würde, meine Meinung zu verbreiten, würde am Ende ich die 100 000 Euro gewinnen, und das will ja keiner.

Sie haben eine Reihe von TV-Großereignissen kreiert. Wok-Rennen im Eiskanal, Stock-Car-Rennen, Turmspringen und Eis-Fußball. „Schlag den Raab“ ist seit 2008 in Länder wie Frankreich, Serbien, Kroatien, Schweden und China verkauft worden. Wagt es jemand, eine Ihrer Ideen auszuschlagen?
Ich denke so lange über ein Konzept nach, bis es zu gut ist, um abgelehnt zu werden.

In der Politik geht es um Empathie. Sie zeigen aber bei „Schlag den Raab“ wenig Mitgefühl, wenn Sie Schwächere vor einem millionenfachen Fernsehpublikum besiegen.
Sie müssen das anders sehen. Ich gebe den vermeintlich Schwächeren, die nie die Chance hätten, an einem Abend eine halbe Million zu verdienen, die Möglichkeit dazu. Das ist für mich erst mal soziale Gerechtigkeit. Meine Show könnte natürlich auch „Raab schenkt“ heißen. Doch wer würde das sehen wollen? Man muss schon Leistung bringen.

Wann wissen Sie, dass Ihre eigene Leistung stimmt? Müssen Sie erst ausrasten?
Sie meinen, dass ich bei „Schlag den Raab“ einen Monitor zerschlage oder meinen Kompagnon Elton anbrülle? Das ist eine emotionale Überreaktion, vor der bin auch ich nicht gefeit. Ich würde mich freuen, wenn es mehr solcher Momente im Fernsehen gäbe. Deshalb kommen Politiker wie Peer Steinbrück ganz gut bei den Leuten an. Ich erinnere mich an die Diskussion über seinen Dienstwagen, der angeblich zu groß war. Wie er losgelegt hat: „Pass ma auf, ich sitze in der Woche 80 Stunden im Auto, ich habe keinen Bock in so einem pieseligen Golf auf der Rückbank zu sitzen. Ich muss darin arbeiten, und deshalb brauche ich einen Wagen der Platz hat, gut gefedert und leise ist und in dem die Klimaanlage funktioniert.“ Das ist menschlich.

Menschlich ist auch, einen Misserfolg zu fürchten.
Ich habe Erfolg, weil ich keine Angst habe, die Gefahr einer Niederlage einzugehen. Das ist, woran viele in diesem Geschäft scheitern. Man muss diese Angst ausschalten, sonst geht man an jede neue Idee so gehemmt heran, dass nichts Gutes aus ihr werden kann. Mein Prinzip lautet: Eine Niederlage ist nur so lange eine, bis sie vom nächsten Sieg dekontaminiert wird. Und wenn Sie selbst in der Niederlage nicht aufgeben, dann kriegen Sie „Props“ dafür, wie wir Rapper sagen. Man muss nicht der Beste sein, man sollte sich allerdings Mühe geben.

In beinahe jedem Artikel über Sie wird Ihr brutaler Ehrgeiz erwähnt.
Natürlich bin ich ehrgeizig. In meinem Bewertungssystem ist das Wort nicht negativ belegt. Ich empfinde es als Lob.

Mal ehrlich, wie wichtig ist es Ihnen, als einer der großen Entertainer des Landes zu gelten? Wollen Sie Jauch, Gottschalk oder Lanz übertrumpfen?
Ich habe in diesen Kategorien nie gedacht. In der RTL-„Nachtshow“ sollte vor langer Zeit mal Thomas Koschwitz die Urlaubsvertretung von Gottschalk übernehmen. Er war dann auch in der Sendung, um das vorzubereiten. Dort sollte er sich zu Jauch und Gottschalk aufs Sofa setzen. Die haben ihn richtig auflaufen lassen, indem sie sich erhoben, um ihn zu begrüßen, und dann so taten, als wollten sie mit ihm zusammen wieder Platz nehmen. Plötzlich saß er alleine da, die Belehrung folgte unverzüglich: Erste Regel, man setzt sich niemals vor den Gästen. Das fand ich arrogant. In meiner Generation spüre ich diese Konkurrenz nicht, ich betrachte mich als Alternative zu anderen.

Zu Beginn Ihrer Karriere 1993 haben Sie potenzielle Förderer eher verschreckt. Hatten Sie das Gefühl, zu gut zu sein, um verhindert werden zu können?
Ich habe nie vorgehabt zu werden, was ich jetzt bin. Es war Zufall. Mit 27 hatte ich mein erstes Ziel erreicht. Ich war damals Musikproduzent, hatte ein eigenes kleines Studio und machte Musik für Werbespots und Filme. Ich kam gut damit klar.

Der Musiksender Viva wurde auf Sie aufmerksam?
Viva war damals ein ganz neuer Sender, dessen Inserat hatte ich in einem Kölner Stadtmagazin entdeckt. Am selben Abend noch habe ich handschriftlich einen Brief verfasst. So, hier, bin Musikproduzent, würde gerne Jingles für Sie machen und leg Ihnen ’ne CD dabei. Und wenn Sie noch Bedarf haben, würde ich den Posten des Chefmoderators bekleiden. War natürlich ein Witz. Bis dahin hatte ich das noch nie gemacht. Die fanden das lustig. Auf der CD-Rückseite war ein Foto von mir drauf, auf dem ich deutlich besser aussah als in Wirklichkeit. Denn ich hatte bei dem Fotoshooting nicht den Mumm besessen, dem Stylisten zu sagen, nee, das ist mir too much. Auf Grund des Fotos wurde ich eingeladen. Der Programmchef bat mich, eine Probemoderation zu machen. Ich sagte, ich sei eigentlich wegen der Jingles hier. Da gab er mir den Auftrag für elf Jingles. Dem Chef zuliebe bin ich dann doch zum Casting gegangen. Da sollte ich Texte vom Teleprompter ablesen. Das fand ich so doof, dass ich mich beim Ablesen der Texte über die Autoren lustig gemacht habe. Eine Woche später bekam ich einen Anruf mit dem Angebot, dass ich mir eine Show ausdenken solle. Das kam mir entgegen. Ich fand immer schon gut, wenn es hieß: Mach, was du willst.

"Mich treibt die Neugier."

Sie sind dabei schonungslos gegen sich selbst. Von der Boxweltmeisterin Regina Halmich ließen Sie sich die Nase brechen. Mit Rüdiger Nehberg krochen Sie durch den Sumpf. Und dann sprangen Sie aus 15 Metern Höhe in einen Pool.
Der Trainer sagte, da könnte nichts passieren. Dann brach ich mir das Steißbein und hatte eineinhalb Jahre Spaß damit. Mich treibt die Neugier. Standen Sie mal auf einem 10-Meter-Turm?

Man kann sich den Schiss vorstellen, den Sie hatten.
Es ist einfach großartig, sagen zu können, ich habe die Gesetze der Natur vielleicht nicht besiegt, aber mich gut mit ihnen arrangiert.

Ist Ansporn für Sie, dass Kameras dabei sind?
Nein. In meiner Freizeit mache ich durchaus auch interessante Sachen, die niemals die Öffentlichkeit erreichen. Die mache ich nur für mich.

Sie geben sich jetzt aber große Mühe, Ihre Hobbys zu verheimlichen.
Golfspielen interessiert mich nicht.

Verstanden.
Trotzdem habe ich Golf mal ausprobiert, um hinterher mitreden zu können. Ich bin nirgends Spezialist, sondern breit aufgestellt. Ist doch gut. Ich finde Expertentum sogar eher hinderlich.

Wollen Sie mit Ihrer Omnipotenz beeindrucken?
Mein Geltungsdrang ist weniger ausgeprägt, als viele denken. In der Musik ist es so, dass ich kein Instrument besonders gut beherrsche. Ich könnte auf der Gitarre kein Solo hinlegen. Ich bin auch kein Virtuose an Piano, Bass oder Schlagzeug. Trotzdem kann ich die Instrumente spielen, das habe ich mir in Jugendjahren draufgeschafft. Heute versetzt mich das in die komfortable Situation, bei einem Konzert von Udo Lindenberg mitzutrommeln. Sagen Sie mir jetzt nicht, das sei nicht großartig! Udo Lindenberg ist mein Idol!

Welche Bedeutung hat Musik für Sie behalten?
Eine große. Musik ist meine Leidenschaft. Deshalb mache ich bei meinen Produktionen alles selbst, schreibe die Songs, spiele die Instrumente einzeln ein, mische sie selbst ab. Ich beschäftige nicht fünf Leute, denen ich alle zwei Stunden nur neue Anweisungen geben bräuchte.

Warum nicht, die beherrschen die Technik doch auch, im Zweifel sogar besser?
Es macht Spaß. Außerdem kann ich nicht ständig meine Gedankengänge für andere nachvollziehbar machen. Gerade jetzt habe ich seit langer Zeit mal wieder einen Song fertig gestellt, zusammen mit den Höhnern, einen Song über Köln. Es ist für mich als Interpret das erste seriöse Lied meines Lebens.

Nicht Ihr Ernst. Wieder ein Hit?
Die Befriedigung setzt bei mir erst ein, wenn außer mir noch jemand den Song gut findet. Wenn nicht, bin ich zwar immer noch überzeugt von meinem Werk, aber es fehlt etwas. Gar nicht so schlecht, das reicht mir als Urteil auch schon.

Hits werden heute im Fernsehen gemacht. Ihr Medienimperium ist diesbezüglich wirkungsvoll, wie die Erfolgsgeschichten von Bürger Lars Dietrich, Guildo Horn, Max Mutzke und Lena zeigen.
Es entstehen auch etliche Hits im Internet, mit denen das Fernsehen gar nichts zu tun hat.

Sind Sie im Netz auf der Suche nach neuen Songs?
Ja, oft. Ich mag dieses Undergroundmarketing und nutze es für meinen Köln-Song. Für die Nummer habe ich zum ersten Mal selbst ein Video gedreht und geschnitten. Die Programme dafür habe ich mir auf den Computer gezogen.

Wann machen Sie das denn auch noch?

Man muss nur gut organisiert sein. In diesem Fall hatte ich zwei Tage vor einer „Schlag den Raab“-Show frei. In dieser Zeit bin ich mit Stativ und Kamera für Aufnahmen durch die Stadt gefahren. Den Song habe ich mir auf meinem Smartphone vorgespielt, um die Lippenbewegungen vor der Kamera zu synchronisieren.

(Raab zieht sein IPhone aus der Hosentasche, auf dem er das fertige Video abspielt. Man sieht ihn auf dem Dach des Studiokomplexes, in dem sich auch sein Büro befindet. Der Refrain wird der Reihe nach von Jan Delay, Udo Lindenberg, Seeed, Campino und Lukas Podolski gesungen, worüber sich Raab diebisch freut. Er lautet: „Ävver et Hätz bliev he in Kölle“.)

Ich bin nach London geflogen, um Podolski zu filmen, und nachHamburg zu Udo Lindenberg. . Glauben Sie mir, das hatte einen hohen Freizeitwert.

Müsste es für Sie als Entertainer nicht reizvoll sein, auf Tournee zu gehen?

Das würde ich gerne machen. Nichts macht mehr Spaß, als in dem Sound einer Bigband zu stehen. Es gibt auch ein Konzept, aber terminlich ist es momentan leider nicht drin.

Wie wichtig sind Ihnen bei der Erfindung einer neuen Sendung die Details? Wollen Sie auch da alles selbst machen?
Ich rede gerne über Details. Die Vorschläge, wie das Bühnenbild für „Absolute Mehrheit“ aussehen könnte, fand ich zunächst ausbaufähig. Also habe ich skizziert, wie ich es mir vorstelle. Manchmal male ich auch im Logo rum. (Raab zückt abermals sein Smartphone)

Wie sind Sie denn auf den Adler als Dekoration gekommen?

Adler sind doch grundsätzlich gerne Wappentiere.

Sie treiben Ihre Mitarbeiter in den …
… nein, nein, ich nehme ihnen viel Arbeit ab und sage ihnen konkret, wie ich es mir vorstelle. Das spart viel Zeit bei Diskussionen.

Es gab für dieses Gespräch zwei Optionen. Ein Interview oder ein Porträt. Sie wollten, dass ein Interview entsteht. Warum? Weil es mehr Spaß macht oder weil Sie es besser kontrollieren können?
Kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich finde es besser, wenn man sich auf seine wörtliche Rede verlassen kann. Sie möchten lieber einen Eindruck vermitteln. Um mich richtig kennenzulernen, brauchten Sie allerdings mehr Zeit. Andererseits steht alles, was man über mich wissen muss, längst im Internet.

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