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Medien: Strafrecht im Fernsehtrend: Offene Richter-Skala

Sieht aus wie ein Gerichtssaal. Anklagebank, Staatsanwalt, bibbernde Zeugen, all das.

Sieht aus wie ein Gerichtssaal. Anklagebank, Staatsanwalt, bibbernde Zeugen, all das. Wären da nicht diese Kameras, die Beleuchtung, die umtriebigen Aufnahmeassistenten. Und Angeklagte, die einigermaßen flüssig reden. Normalerweise kriegen sie nämlich vor Gericht häufig nicht die Zähne auseinander. Dr. Ruth Herz muss es ja wissen. 25 Jahre lang ist sie Jugendrichterin beim Kölner Amtsgericht gewesen. Nun hat sie sich zwei Jahre beurlauben lassen und macht den gleichen Job bei RTL. Morgen um 16 Uhr startet der Kölner Sender seine neue wochentägliche Gerichts-Show "Das Jugendgericht".

Irgendetwas muss den Zuschauer daran reizen, echten Richter beim Verhandeln unechter Fälle zuzusehen. Die beiden derzeit existierenden Gerichts-Shows erfreuen ihre Sender jedenfalls mit erklecklichen Quoten. Das ZDF verhandelt am 12. September den 1000. Fall beim "Streit um Drei". Sat 1 hat gerade den Vertrag mit "Richterin Barbara Salesch" um weitere zwei Jahre verlängert und hebt im November eine zweite Gerichts-Show ins Programm. Da ist also noch Platz auf der nach oben offenen Richter-Skala des deutschen Fernsehens.

Gisela Marx, Produzentin der Kölner Firma "filmpool", hat sowohl "Richterin Barbara Salesch" als auch "Das Jugendgericht" entwickelt. Mit dem Format hofft sie, den Nachmittag zumindest ein wenig von den trashigen Talkshows zu reinigen. Das wäre bitter nötig für das Seelenheil des deutschen Fernsehzuschauers. Allerdings geht es auch vor Gericht schon mal zünftig zur Sache. Weil die Laiendarsteller frei von der Leber weg schimpfen dürfen, nähert sich der Brüllfaktor des Öfteren dem Lautstärkepegel der Daily Talks an. Bei den Gerichts-Shows jedoch bietet eine Autorität, die Richterin oder der Richter nämlich, am Ende eine Lösung an. Für den Zuschauer, glaubt Sat 1-Unterhaltungschef Dirk Rosenzweig, ist es besonders reizvoll, anhand dieser Entscheidung das eigene Urteil zu überprüfen: "Jeder Zuschauer möchte gern mal den Entscheidenden spielen."

Das macht, die Quoten beweisen es, bei Strafgerichtsprozessen entschieden mehr Spaß. Richterin Salesch hatte bei Sat 1 zunächst mit Schiedsgerichts-Verfahren angefangen. Im Gegensatz zu Fällen des Strafgerichts dürfen dabei echte Prozesse mitgefilmt werden. Zwar erschütterte ein Nachbarsstreit vor ihrem Gericht die deutsche Liedkultur, weil Stefan Raab sein "Maschendrahtzaun"-Ständchen ableitete. Doch Einschaltquoten von rund 23 Prozent bei der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Zuschauer erreichte Richterin Salesch erst mit dem Übergang zu - notgedrungen fiktiven - Strafgerichtsfällen. Tom Sänger, Ressortleiter Daytime bei RTL, sieht nun mit dem "Jugendgericht" ein neues Subgenre etabliert. 40 Fälle sind bislang produziert worden, zwei pro Sendung werden verhandelt: Von Diebstahl über Brandstiftung bis zu Vergewaltigungen.

Weil Ruth Herz nicht nur Richterin, sondern auch - als ehemalige Gastprofessorin in Toronto und Jerusalem - Wissenschaftlerin ist, möchte sie ihre neue Tätigkeit gleich noch zu Forschungszwecken nutzen. Thema: Das Zusammenwirken von Medien und Justiz.

Erik Heier

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