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In der Kritik: Heribert Prantl, bekannter Autor der „Süddeutschen Zeitung“.Foto:picture alliance

© picture alliance / ZB

Streit um Küchen-Szene: Kein Schreibverbot für Prantl bei der SZ

Edelfeder Heribert Prantl beschrieb für ein Porträt eine Szene, die er selbst gar nicht erlebt hatte - und sorgte damit für Entrüstung in der Branche. Nach einer Entschuldigung auf der Seite Drei der „Süddeutschen Zeitung“ stellen sich Fragen zum Wesen der Reportage.

Fast könnte die kleine Spalte übersehen werden, die die „Süddeutsche Zeitung“ am Dienstag auf ihrer Seite Drei druckte. Eine 17 Zeilen lange Entschuldigung „In eigener Sache“, eine Entschuldigung für einen Text, den Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik und Mitglied der Chefredaktion, am 10. Juli auf der gleichen Seite veröffentlichte. Prantl hat mit dem Stück die Debatte über den Anspruch von Reportagen neu entfacht.

Unter dem Titel „Der Verfassungsschützer“ hatte er den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, porträtiert. Prantl beschrieb eine Szene in Voßkuhles Küche, die er selbst gar nicht erlebt hatte. „Bei dieser Schilderung konnte der Eindruck entstehen, Prantl sei selbst Gast im Hause Voßkuhle gewesen. Das war nicht der Fall. Der Autor hat sich die Szene vielmehr von Teilnehmern der Küchenrunde schildern lassen, ohne dies ausdrücklich kenntlich zu machen“, schrieb die „SZ“ nun. Und weiter: „Die Redaktion bedauert diesen Fehler.“

Am vergangenen Donnerstag hatte Voßkuhle dem Tagesspiegel mitteilen lassen, dass Prantl niemals in seiner Küche gewesen sei. Danach war Prantl, einer der wichtigsten und bekanntesten Leitartikler und Autoren der „SZ“, massiv in die Kritik geraten. Am Montag unterbrach er seinen Urlaub, um sich in der Redaktionskonferenz der „Süddeutschen“ zu entschuldigen. „Heribert Prantl hat einen gravierenden Fehler gemacht, diesen eingeräumt und sich dafür entschuldigt“, sagte Wolfgang Krach, stellvertretender „SZ“-Chefredakteur. „Die Szene war ja nicht falsch. Prantl hätte in einem einzigen Satz erwähnen müssen, dass ihm die Küchen-Szene von mehreren Menschen, die vor Ort waren, authentisch geschildert wurde.“

Prantl soll weiter für die Seite Drei schreiben

Für Prantl werde der Fall keine Konsequenzen haben. Er soll weiterhin Reportagen für die „SZ“-Seite-Drei verfassen. Ressortleiter Alexander Gorkow soll angeblich gesagt haben, Prantl nicht mehr drucken zu wollen. „Bei uns erteilt kein Ressortleiter einem Autor ein Schreibverbot“, betonte Krach. Einen Kodex oder einen Hinweis an alle Redakteure, wie Reportagen zu verfassen seien, werde es nach dem Vorfall aber nicht geben. „Es gehört zu den Grundregeln, dass ein Journalist niemals den Eindruck erwecken sollte, bei einem Ereignis dabei gewesen zu sein, wenn er nicht auch tatsächlich dabei gewesen ist.“

Diese Grundregel wird allerdings nicht immer eingehalten. Vor einem Jahr hatte „Spiegel“-Redakteur René Pfister den Henri-Nannen-Preis in der Kategorie Reportage für ein Horst-Seehofer-Porträt gewonnen, in dem er eine Szene aus dem Modellbahnkeller Seehofers schilderte – Pfister hatte den Keller niemals gesehen. Die Jury erkannte den Preis wieder ab.

Prantl hat in seinem Text nicht das Wort „ich“ verwendet, sondern war auf „man“ ausgewichen – was den Eindruck erweckte, er sei dabei gewesen. Hätte nicht gerade ein erfahrener Autor wie er wissen müssen, dass ein Hinweis darauf, dass ihm die Szene nur geschildert wurde, notwendig gewesen wäre? „Wir alle machen Fehler, und es ist wichtig, offen damit umzugehen. Ich bin sicher, dass der aktuelle Fall unsere gesamte Redaktion noch einmal hinreichend dafür sensibilisiert hat, wie solche Szenen in Reportagen zu schildern sind“, sagte Krach.

Leider werde immer wieder dieser Fehler beobachtet, dass Vorgänge szenisch rekonstruiert werden, ohne eindeutig kenntlich zu machen, dass das Geschehen nicht selbst beobachtet wurde, sondern nur aus Berichten von Dritten bekannt ist, sagte Ariel Hauptmeier, „Geo“-Redakteur, einer der Gründer des 2007 ins Leben gerufenen „Reporter-Forums“. Das Forum will die Kultur des journalistischen Erzählens fördern. Hauptmeier rate in seinen Reportage-Seminaren immer, szenische Rekonstruktionen viel häufiger einzusetzen. „Allerdings nie, nie, nie, und diesen Fehler hat jetzt ja auch Herr Prantl gemacht, ohne glasklar zu sagen: Hier war der Reporter nicht dabei, Anwesende haben es ihm erzählt.“

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