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Krise im Krisenstab: Bremen wird von Öko-Terroristen bedroht, die Kommissare Lürsen (Sabine Postel, links stehend) und Stedefreund (Oliver Mommsen, r.) sind bei ihren Ermittlungen dem BKA unterstellt.

© Radio Bremen/ARD

"Tatort" aus Bremen: Erst die Arbeit, dann der Sex

Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet: Im Bremer „Tatort“ müssen verblendete Öko-Terroristen gefasst werden.

Die „Tatort“-Episode „Der hundertste Affe“ aus Bremen hat alles, was ein spannender und zugleich aufrüttelnder Thriller braucht. Ein terroristischer Anschlag auf die Hansestadt wird angedroht, ein Ultimatum gestellt. Ein Wissenschaftler soll öffentlich einen Skandal zugeben. Es geht um 57 Menschen, die in Mali an Pestiziden gestorben sind, weil diese in großen Mengen versprüht werden. Nur so kann der genmanipulierte Mais gedeihen.

In Deutschland wird derzeit über die Zulassung von Glyphosat diskutiert. Die Pestizide in diesem „Tatort“ stammen ebenso wie das Saatgut von einer Bremer Firma, die damit satte Profite einstreicht. Gibt der Biochemiker Urs Renders (Manfred Zapatka) nicht zu, dass er längst ein Saatgut entwickelt hat, das ohne Dünger und Gifte auskommt und dabei noch ertragreicher ist, sollen dieses Mal Menschen in Bremen sterben. Die Polizei mit den Kommissaren Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) nimmt die Drohung ernst, ein Krisenstab wird eingerichtet, das BKA hinzugezogen, publicity-geile Lokalpolitiker in die Schranken gewiesen. Dann gibt es den ersten Todesfall.

Relevanz und Brisanz des Themas sind hoch, Autor Christian Jeltsch konnte bei seiner Arbeit auf Informationen zugreifen, die ein Whistleblower aus der Pharmabranche veröffentlicht hat. Das Szenario, dass Jeltsch und Regisseur Florian Baxmeyer – es ist sein elfter „Tatort“ für Radio Bremen – entwerfen, ist drastisch, aber glaubhaft: 17 Bremer sterben durch Pestizid-verseuchtes Wasser, darunter Kinder, die an einem Springbrunnen Abkühlung gesucht haben. Die Medien berichten, stellen den Verantwortlichen peinliche Fragen, diese wiegeln erwartungsgemäß ab. So weit, so zutreffend.

"Wir haben es verbockt"

Niemand wird abstreiten, dass unsere Gesellschaft angreifbar ist. Die Wasserversorgung gehört zur kritischen Infrastruktur. Ohne ausreichende Versorgung mit genießbarem Wasser ist der Notstand nicht weit. Doch Notstand herrscht auch beim erfolgreichsten ARD-Krimiprodukt, dem „Tatort“.

Da werden in Bremen mitten im heißen Sommer die Wasserpumpen abgestellt, doch der Verkehrsstau von aus der Stadt flüchtenden Menschen bleibt aus, stattdessen herrscht auf den Straßen Ruhe wie während eines Fußball-EM-Spiels mit deutscher Beteiligung. In einer anderen Szene werden Unruhen in der Bevölkerung bei der Zuteilung von Wasser gezeigt. Nicht einmal zwei Dutzend Statisten rangeln da um die Wassertanks. Jeder Sommerschlussverkauf sieht dramatischer aus.

„Wir haben es verbockt“, sagt Inga Lürsen in ihrer trocken norddeutschen Art – man muss ihr recht geben, allerdings nicht wegen möglicher Ermittlungspannen, sondern weil dieser „Tatort“ im zweiten Teil so unnötig nachlässt. Was äußerst schwungvoll wie die US-Actionserie „24“ beginnt, verliert seine Kraft und hat am Ende den Vorabend-Charme von „Mord mit Aussicht“. Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet, hätte man früher gesagt. Oder wollten Jeltsch und Baxmeyer zeigen, was mit ausreichend Mitteln möglich gewesen wäre?

Das erinnert doch stark an „Die Brücke“

So muss auf andere Weise nachgeholfen werden. Zusammen mit dem Leiter des Krisenstabes, Helmut Lorenz (Barnaby Metschurat), kommt BKA-Frau Linda Selb (Luise Wolfram) zum Team – wobei sie gerne allein arbeitet. „Sex erst später, wenn alles vorbei ist“, eröffnet sie Kommissar Stedefreund beim zweiten Aufeinandertreffen.

Das erinnert doch stark an „Die Brücke“ mit Asperger-Ermittlerin Saga Norén. Ob in Bremen mehr als ein One-Night-Stand herauskommt, zeigt sich im Oktober, denn beim nächsten „Tatort“ von der Weser ist Luise Wolfram wieder mit von der Partie.

An den finanziellen Voraussetzungen wird dies freilich nichts ändern, nicht nur bei Radio Bremen. Tatsächlich mussten beim deutschen TV-Vorzeigekrimi auch schon andernorts Drehbücher nachbearbeitet werden, um den Kostenrahmen nicht zu sprengen. Fast hätte dies die Jubiläumsfolge getroffen. Die Fanseite „Tatort“-Fundus hat errechnet, dass bereits mit dieser Episode das Jubiläum der 1000. Folge erreicht worden wäre – wenn man die 13 Episoden hinzuzählt, die in den 80er-Jahren ausschließlich in Österreich ausgestrahlt wurden. Mit etwas mehr finanziellem Engangement wäre „Der hundertste Affe“ sicherlich ein guter Grund zum Feiern geworden, so ist es ein immer noch starker „Tatort“ mit einigen unnötigen Schwächen.

„Tatort: Der hundertste Affe“, ARD, Pfingstmontag, 20 Uhr 15

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