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Und das im katholischen Münster! Um seinem schwulen Erbonkel zu gefallen, gibt Professor Boerne (Jan Josef Liefers, l.) Kommissar Thiel (Axel Prahl) als Ehemann aus.

© WDR/Martin Valentin Menke

"Tatort" aus Münster: "Homo-Ehe" auf westfälisch

Im Münster-„Tatort“ sind Jan Josef Liefers und Axel Prahl ein gleichgeschlechtliches Paar. Mit dem Thema "Homo-Ehe" trifft dieser Krimi zumindest den Nerv der Zeit.

„Ihr streitet euch wie ein altes Ehepaar“, sagt Gustav von Elst irgendwann im Verlaufe des neuen Münster-„Tatort“ mit dem gewöhnungsbedürftigen Titel „Erkläre Chimäre“. Elst (Christian Kohlund) ist der potenzielle Erbonkel des Gerichtsmediziners Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), der sich einmal mehr ein Wortgefecht mit Kriminalkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) geliefert hat. Das Besondere an dieser Auseinandersetzung ist jedoch, dass Boerne seinem homosexuellen Verwandten aus Amerika vorgeschwindelt hat, er sei ebenfalls schwul und habe inzwischen seinen Frank geheiratet.

Wie hoch aktuell das Thema Homo-Ehe mit der Abstimmung in Irland und den Beratungen im Bundestag gerade sind, konnten die „Tatort“-Macher freilich nicht wissen. Das Motiv für den Schwindel bei Boerne ist dafür klar: Er erhofft sich so größere Chancen auf einen Erbteil. Auch Thiel hat Gründe, bei der Scharade mitzumachen. Dem Kommissar ist peinlich, dass der Mediziner ihm mit einem Luftröhrenschnitt das Leben gerettet hat, nachdem er sich an einem Häppchen verschluckte. Dass auf dem Kugelschreiber, den Boerne bei der Not-Op benutzte, die Aufschrift „Luftkurort Davos“ steht, macht es nicht besser.

"Münster-Tatort" hält den Rekord

Der „Tatort“ aus Münster, inzwischen im 14. Jahr angekommen, spaltet die Fernsehnation. Für den einen Teil stellt der Ulk der Krimikomödie schlicht keinen „Tatort“ dar. Der offenbar größere Teil jedoch ist nach wie vor begeistert vom hohen Unterhaltungswert dieses Ensembles. Die Zahlen sprechen für sich. Die Folge „Mord ist die beste Medizin“ wurde im Herbst 2014 von mehr als 13 Millionen Zuschauern gesehen. Damit stellte der WDR-„Tatort“ aus Münster seinen eigenen Rekord ein.

Entwickelt wurde dieses Konstrukt von den beiden Autoren Stefan Cantz und Jan Hinter, die nun auch für die neue Folge zuständig sind. Ihr Ansatz für „Erkläre Chimäre“: „Wir haben uns bemüht, eine schräge Geschichte zu erzählen, bei der unser Ermittlerteam absolut im Vordergrund steht“, sagen sie. Der Kriminalfall diene hingegen dazu, die Marotten und Eigenheiten der Figuren ins rechte Licht zu rücken. Anders gesagt: Die Anti-Münster-Fraktion dürfte sich bei dieser hanebüchenen Geschichte einmal mehr die Haare raufen. Und das nicht ganz zu Unrecht.

Etwas Anlaufzeit

Es dauert einige Zeit, bis überhaupt klar wird, wer das Opfer in diesem Krimi ist. Geht es um den obdachlosen Mann, der mit seinem Einkaufswagen voller Pfandflaschen über die Straße gehen wollte und dabei offenbar in voller Absicht überfahren wurde? Oder beginnt der Fall erst, nachdem die Leiche eines jungen Mannes im Kühlraum einer Gaststätte außerhalb Münster entdeckt wurde? Dem Mann wurde der Hals aufgeschnitten, um einen verschluckten Gegenstand zu entfernen.

Genauso unklar bleibt lange, was hinter diesen Verbrechen stecken könnte, obwohl dies die Angelegenheit prinzipiell eher interessanter macht. Immerhin haben es die beiden Autoren und Regisseur Kaspar Heidelbach – für ihn ist es mittlerweile der fünfte „Tatort“ aus Münster – vermieden, die Spuren mit zu vielen Brotkrumen zu versehen. Wie bereits in einem anderen „Tatort“ spielen dafür edle Tropfen eine wichtige Rolle. So führen die Ermittlungen auch zum exquisiten Weinhaus von Isolde und Ewald Schosser, gespielt von Sunnyi Melles und Uwe Preuss. Vor allem der drogensüchtige Sohn der Schossers (Francois Goeske) bietet sich geradezu als Verdächtiger an.

Aufgewertete Assistentin

Im Vordergrund stehen jedoch die spritzigen Dialoge, für die der „Tatort“ aus Münster so geschätzt wird. Doch genauso wichtig sind die schauspielerischen Leistungen des Ensembles. Einen angesäuselten Jan Josef Liefers hat es schon öfters gegeben, ein Axel Prahl mit Reibeisenstimme hingegen ist neu.

Die Rolle von Friederike Kempter wurde zudem aufgewertet, ihre Assistentin Nadeshda Krusenstern wurde zur Kommissarin befördert – „längst überfällig“, wie nicht nur ihr vorgesetzter Kollege Thiel meint. Boernes Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) hat längst gelernt, sich gegen ihren versnobten Chef durchzusetzen. Zudem haben die Autoren Thiels Vater (Claus D. Clausnitzer) und Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Grossmann) geschickt in den Plot eingebaut. Gustav von Elst als Boernes Patenonkel passt wiederum so gut in diese „Tatort“-Familie, dass weitere Auftritte nur folgerichtig erscheinen.

Der Titel der Folge passt übrigens nicht ganz, wie Boerne erklärt. Denn tatsächlich geht es nicht um die Chimäre aus der griechischen Mythologie, die aus verschiedenen Wesen zusammengesetzt ist. „In der Medizin beschreibt der Begriff Chimärismus jene Situation, in der der Körper eines Menschen aus den Zellen zweier genetisch verschiedener Wesen besteht. Und damit meine ich nicht Mama und Papa“, sagt der Professor. Der Sinn dieser Erklärung erschließt sich freilich erst nach Lösung des Falls.

„Tatort: Erkläre Chimäre“, ARD,

Sonntag, 20 Uhr 15

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