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Tatort Berlin

© privat

Tatort: "In Berlin können Leichen unbemerkt U-Bahn fahren"

Die "Tatort"-Kommissare Dominic Raacke und Boris Aljinovic über Berlin, Anonymität, Flirten und frühe Morgenstunden.

Herr Raacke, Ihr Kommissar Till Ritter ist bekannt dafür, gerne zu flirten. Ist die U-Bahn dafür ein guter Ort?



Raacke: Ja, klar. Wenn ich in der U-Bahn fahre, schaue ich immer, welches Buch eine Frau liest. Das sagt ja viel aus über eine Person. Angesprochen habe ich aber noch keine.

Dieser „Tatort“ spielt in der U-Bahn. Trotzdem hat Ritter kaum Kontakt zu Frauen – liegt es daran, dass die Drehbuchautorin Ihre Ex-Frau Natja Brunckhorst ist und Ihnen keine Liaison gegönnt hat?

Raacke: Nein, ich glaube, sie wollte Boris und seinem Felix Stark mal einen Flirt vermitteln. Das war auch höchste Zeit – und jetzt ist es sogar ein französisches Au-Pair-Mädchen geworden.

Herr Aljinovic, Sie sprechen dabei Französisch mit einem starken deutschen Akzent – dabei haben Sie die Sprache doch studiert. Mussten Sie extra so tun, als ob Sie’s nicht könnten?


Aljinovic: Ich habe in der Schule acht Jahre Französisch gelernt, am Ende hat mich meine Lehrerin aber mit den Worten verabschiedet, dass ich sehr sympathisch sei, aber Französisch wohl nicht meine Sprache ist. An der Uni war ich zwar tatsächlich für Französisch eingeschrieben – aber nur, um die vergünstigte Fahrkarte für Studenten zu bekommen.

Fahren Sie immer noch privat mit U- und S-Bahn?


Aljinovic: Ich habe meinen Führerschein erst mit 30 gemacht. Damals habe ich mich mit BVG und Fahrrad bewegt, und das ist bis heute so geblieben. Das Auto ist nur als Leihwagen dazugekommen. Ich besitze kein Auto, weil das Problem des Parkens in der Stadt so groß ist. Ich wüsste nicht, wohin mit dem Ding.

Raacke: In Berlin bin ich schon lange nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Wenn ich hier bin, werde ich meistens von einem Chauffeur gefahren. Es wäre auch eine Zumutung, zu den oft sehr abgelegenen Drehorten mit der U-Bahn fahren zu müssen. Außerdem macht man so etwas als Hauptdarsteller auch nicht. In München, wo ich wohne, benutze ich aber oft und gerne die öffentlichen Verkehrsmittel.

Man lernt die Stadt ganz anders kennen.

Raacke: Ja, ich mag dieses Rein- und Rausschwappen der Menschen in die Waggons, das ist wie Ebbe und Flut. Wenn es morgens und abends ganz voll und eng ist, wenn die heimkehrenden Nachtschwärmer auf die Angestellten treffen, die zur Arbeit fahren. Je nach Viertel steigen völlig verschiedene Menschen ein. Das ist ein ganz anderes Erlebnis als Herumlaufen.

Aljionovic: Zu jeder richtigen Stadt gehört eine U-Bahn. Wenn es keine gibt, dann bin ich immer sehr verwundert.

Jede Stadt hat ihren eigenen U-Bahn-Geruch?


Raacke: Ja, Paris beispielsweise riecht nach Gummi, in New York kreischt die Bahn so laut, dass ich bei meiner ersten Fahrt dachte, es wäre was kaputtgegangen.

Und in München?

Raacke: Da wird in den U-Bahnhöfen sogar Musik gespielt. Was ich dort besonders toll finde, sind die neuen Züge, die nur aus einem einzigen, langen Abteil bestehen, in dem man von einem Ende bis ans andere durchgucken kann. Eine einzige, lange Röhre. Da wird einem noch einmal dieser Menschentransport unter der Erde besonders bewusst.

Die gibt es in Berlin auch.

Aljinovic: Der Vorteil ist die Sicherheit durch die größere Öffentlichkeit. Ich erinnere mich da noch an früher, als ich mit meiner leichten Punk-Frisur alleine im Wagen saß und drei Hooligans eingestiegen sind. Bevor’s Ärger gab, bin ich lieber schnell wieder raus.

Haben Sie eine solche Situation in der Bahn schon einmal erlebt, wo man denkt, da müsste man jetzt eingreifen?


Aljinovic: In so einer Situation war ich lange nicht mehr. Neben mir ist nur jemand kollabiert, da war sofort Hilfe da.

Im „Tatort“ fährt eine Leiche stundenlang mit der U-Bahn durch die Stadt, ohne dass es jemand merkt. Ist so etwas realistisch?


Raacke: Nein, aber es ist Berlin zuzutrauen. Deshalb ist die Szene ein Kompliment an die Stadt, von einer in Berlin geborenen Drehbuchautorin, die in Münchner lebt. Weil es bedeutet, dass Berlin so geil groß ist, dass da sogar Leichen unbemerkt in der U-Bahn fahren können. In New York würde man so eine Frage erst gar nicht stellen.

Aber ist es nicht gleichzeitig ein Symbol für die Anonymität der Großstadt, in der sich keiner so recht um den anderen kümmert?

Aljinovic: Ja, aber es ist weniger eine Kritik als eine poetische Überhöhung, die Mythologisierung der Stadt. Es wird damit gespielt, dass es möglich ist, dass da einer sitzt und es keiner merkt. In dieser „Tatort“-Folge fallen viele Charaktere aus ihrem Kontext heraus.

„Oben und Unten“ ist der Titel des „Tatorts“ – Sie aber wohnen im gut situierten Wilmersdorf, Herr Aljinovic, Sie im reichen München, Herr Raacke. Bekommen Sie überhaupt etwas vom „Unten“ der Gesellschaft mit?


Raacke: Nicht konkret. Berührungspunkte gibt es da, wo sich die Menschen vermischen, beim U-Bahn-Fahren, wenn man einkaufen geht oder im Fußballstadion.

Aljinovic.: Kommt drauf an, wie weit runter man „unten“ definiert. Ängste im unteren Mittelstand sind mir durchaus aus meinem Bekanntenkreis bekannt. Von Leuten, die zwar nicht unten sind, aber Angst haben, nach unten zu kommen. Freunde aus der Schulzeit mit kleinen Betrieben, die sich in der Krise fürchten.

Der Sänger Peter Fox singt in seinem Lied „Schwarz zu Blau“: „Berlin, du kannst so hässlich sein …“ Die passende Hymne für Ihren „Tatort“.

Raacke: Echt ein geiles Lied, ich bin totaler Fan davon. Ich höre immer Deutschlandradio Kultur, und da wurde das Album von Peter Fox empfohlen, woraufhin ich mir das Lied auf Youtube angesehen habe. Da habe ich dem Regisseur gesagt, das wäre doch der Song für unseren „Tatort“. Eigentlich hätten wir den Film damit sogar aufmachen müssen, aber ich bin froh, dass es überhaupt drin ist.

Wann haben Sie zuletzt selbst erlebt, das Berlin in den frühen Morgenstunden von „Schwarz zu Blau“ wurde?


Aljinovic: Puh, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich damals, als ich noch im „Dschungel“ war. Ein legendärer Club, den gibt’s heute gar nicht mehr.

Raacke: Das ist bei mir sicher schon zehn Jahre her. Bei meinen Anfangzeiten im „Tatort“ habe ich nach den Dreharbeiten Party gemacht und sah dann auch so aus.

Aber hat Peter Fox denn recht: Ist Berlin eine hässliche Stadt?

Raacke: Berlin ist wirklich keine schöne Stadt, das kann man einfach mal sagen. Es ist sogar eine ganz schön hässliche Stadt. Wenn man auf Paris oder New York guckt, dann sieht das besser aus.

Aljinovic: Natürlich ist es eine hässliche Stadt, aber wenn man beispielsweise vom Fernsehturm runterschaut, ist es wieder wunderschön und fantastisch hier.

Das Gespräch führten Johannes Gernert und Sonja Pohlmann.

„Tatort: Oben und Unten“, 20 Uhr 15, ARD

Mit der „Tatort“-Folge „Oben und Unten“ feiern die Berliner Kommissare Dominic Raacke alias Till Ritter und Boris Aljinovic alias Felix Stark ein Jubiläum: Es ist ihr 20. gemeinsamer Fall.

Seit 2001 stehen die beiden Schauspieler gemeinsam für den RBB-„Tatort“ vor der Kamera und bilden in ihren Rollen als Macho-Typ Ritter und alleinerziehender Vater Stark ein eingespieltes Duo. Raacke ist bereits seit 1999 „Tatort“-Kommissar, Aljinovic kam zwei Jahre später dazu.

Privat lebt nur Aljinovic in Berlin; Raacke wohnt in München. Erst kürzlich wurden die beiden für die Folge „Bilder Glaube“ mit dem Deutschen Hörfilmpreis ausgezeichnet. sop

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