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Tatort

© dpa

Tatort: Leipzig, mon amour

Dies ist nicht irgendein "Tatort" - es ist ein Jubiläum. Die 700. Folge der Krimiserie führt ein früheres Ehepaar als neues Ermittlerpaar zusammen.

Der Neue nimmt den Zug. Er bringt nur einen Koffer mit aus seinem alten Leben. Er fährt auch nicht im Taxi, er weiß genau, wie ein Leipziger durchs Dasein kommt: in der Straßenbahn. Ein wenig müde sieht er aus, scharfe Linien im Gesicht. Ist auch schon etwas länger her, dass Martin Wuttke seinen aufhaltsamen Aufstieg begann, als Arturo Ui am Berliner Ensemble, noch in Heiner Müllers Regie. Und dann immer weiter. Ein Ausnahme(theater)schauspieler. Aber auch für ihn gilt ab heute: Jeder wird mal Kommissar. Und kaum sitzt er im Leipziger Hauptverkehrsmittel, meldet sich das Handy. Hauptkommissar Andreas Keppler hat seinen ersten Fall in Sachsen. Mord, was sonst?

Dies ist nicht irgendein „Tatort“, es ist der 700. „Tatort“. Und der erste aus Leipzig ohne Kommissar Ehrlicher, ohne Peter Sodann. Sodann, der Virtuose der Satzpause, der Verhaltenheit, war der erste und lange Zeit einzige ostdeutsche „Tatort“-Kommissar, er begleitete seit Anfang der Neunziger den Umbruch im Osten. Sodann ging nicht ganz freiwillig. Aber nachdem er bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 als Spitzenkandidat für PDS/ Die Linke antreten wollte, muss dem MDR aufgefallen sein, dass der Mann längst im Ruhestandsalter ist.

Wuttke hat da noch Zeit, und Simone Thomalla („Unser Lehrer Dr. Specht“, „Kinderärztin Leah“, „Mona M.“) erst recht. Sie spielt Kepplers Co-Kommissarin und Ex-Ehefrau. Jawohl, Ex-Ehefrau. Vielleicht war der MDR der Ansicht, dass es höchste Zeit wird für eine erotische Revolution im Leipziger Hauptkommissariat, schließlich hatte dieser Ehrlicher nur seine Ewigkeitsfreundin aus dem Waschcafé (Annekathrin Bürger). Mit etwas Wehmut erinnern wir uns der Zeiten, als die Kommissare ihr Privatleben noch für sich behalten durften.

Warum muss man beim Anblick von Chefermittlerin Eva Saalfeld bloß immer an ein Fotomodell auf Abwegen denken? Keine Nachfrage ohne Rest-Koketterie, ohne gezielten Augenaufschlag, ohne gespitzten Mund. Dieser Typus Kommissarin – alles an ihr scheint sehr allgemein zu sein, ihre Schönheit eingeschlossen – ist zweifellos, sagen wir: neu. Aber vielleicht nicht erfolglos?

Außerdem ist Simone Thomalla als Leipziger Kommissarin durchaus authentisch, denn hier wurde sie 1965 geboren. Sodann hingegen war nur aus Halle und Wuttke ist aus Gelsenkirchen. Aber Sodann sprach ein wunderbares Restsächsisch – es gibt überaus hörenswerte Rückzugsformen davon –, während Simone Thomalla sich auch diesbezüglich bei keiner Eigenart erwischen lässt. Sie hat auch eine gute Entschuldigung: Sie ist in Potsdam aufgewachsen. Hätte etwa der Gelsenkirchner Sächsisch lernen sollen? Nein, nicht nötig, denn in diesem Leipziger „Tatort“ kommt ohnehin kein einziger Sachse vor, so weit kann es die Angst vor der Quote bringen. Straßenbahnen und morgendliche Stadtansichten tragen die ganze Beweislast des Ortes.

Andreas Keppler und Eva Saalfeld stehen bei ihrem ersten Fall vor einem ermordeten mutmaßlichen Kinderschänder. Jedenfalls sagen das der Verein „Todesstrafe für Kinderschänder“ sowie ein einschlägiges Gutachten. Ansonsten passt nichts zusammen, und das bleibt auch so, was dem neuen, etwas introvertierten Hauptkommissar Gelegenheit gibt, seinem Hang zu (um-)weltabgewandten Grübelein nachzugeben und seine mangelnden Umgangsformen zu demonstrieren. Denn wer in Gedanken ist, kann nicht zugleich seine neuen Kollegen grüßen. Allerdings ist in „Todesstrafe“ nicht wirklich etwas zu ergrübeln, doch Frauen können eine Lehre fürs Leben mitnehmen: Lass dich nie von deinem Anwalt überreden, deinen Mann als Kinderschänder anzuzeigen, nur damit du ihn leichter loswirst und den Anwalt heiraten kannst. Vielleicht will der nachher gar nicht mehr.

Der 700. „Tatort“ ist eher „irgendeiner“ geworden (Buch: Mario Giordano/Andreas Schlüter, Regie: Patrick Winczewski). Aber Wuttke, das ist schon klar, ist nicht irgendein Kommissar: Ein halber Blick, die Andeutung eines Lächelns können bildschirmsprengend sein. Erstaunlich, dass Kino und Fernsehen diesen Minimalismus bisher nie ganz für sich entdeckt haben. Und dazu diese GroßeGesten-große-Blicke-Frau. Wir ahnen, dass das seit zehn Jahren getrennte, einstige Ehepaar noch immer nicht ganz ohne Empfindung füreinander ist. Für den Fall, dass sonst nichts passiert in Leipzig.

„Tatort: Todesstrafe“, 20 Uhr 15, ARD

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