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Terror in den Medien: „Angst ist die stärkste Droge“

Die Attacken in Norwegen bestimmen die Nachrichten. Medienforscher Jürgen Grimm über voreilige Spekulationen, irrende Terrorexperten und warum der Tod von Amy Winehouse für manche Internetnutzer wichtiger war als fast hundert getötete Jugendliche.

Als am Freitag in Oslo die Bombe explodierte, spekulierten viele Medien schnell über einen islamistischen Hintergrund – fälschlicherweise, wie sich herausgestellt hat. Läuft die Nachrichtenmaschine inzwischen zu schnell heiß?

Das Nachrichtengeschehen hat sich durch das Internet und soziale Netzwerke wie Twitter im Vergleich zu früher extrem beschleunigt. Und offenbar verleitet diese Beschleunigung manche Medien dazu, nicht die richtige Sorgfalt walten zu lassen. Natürlich ist es Aufgabe der Medien, bei Ereignissen wie in Oslo nach Zusammenhängen zu fragen, um Ereignisse einordnen zu können. Aber was vorschnelle falsche Bewertungen auslösen können, hat zuletzt die Ehec-Krise gezeigt, wo zunächst die spanische Gurke als Träger des Keims ausgemacht und daraufhin die gesamte spanische Agrarindustrie in die Krise gestürzt wurde, bis sich herausstellte, dass es doch nicht die Gurke war.

Aber in unklaren Situationen ist es doch gerade Aufgabe der Journalisten, Hintergründe zu recherchieren.

Sicher, Medien dürfen spekulieren, aber sie müssen diese Spekulation ganz deutlich als solche kenntlich machen und mit entsprechender Sorgfalt bei der Hintergrundberichterstattung die Ursachen für das Ereignis kritisch analysieren.

Vielleicht erzeugt die beschleunigte Nachrichtenmaschine einen gewissen Druck, Ergebnisse liefern zu müssen. Die Terrorexperten in ARD und ZDF, Rainald Becker und Elmar Theveßen, hielten lange an ihren Vermutungen fest, dass in Oslo islamistische Terroristen am Werk waren.

Der Umgang mit sogenannten Experten in den Medien ist ein Problem. Die sind nämlich ebenso wenig allwissend wie der Papst und so irrtumsfähig wie jeder andere Mensch auch. Und trotzdem werden sie gerade in unklaren Nachrichtenlagen bemüht, denn Journalisten wollen offenbar nicht alleine die Last der Spekulation auf ihren schmalen Schultern tragen und delegieren die Verantwortung an gleichfalls unwissende Experten. Dass es dann zu falschen Aussagen kommt, wie am Freitag, darf also nicht verwundern. Das Gute am beschleunigten Nachrichtengeschehen ist, dass falsche Aussagen schnell wieder korrigiert sind. Aber generell wünsche ich mir im Journalismus einen kritischeren Umgang mit Experten.

Hat sich auch die Art und Weise verändert, wie die Nutzer Nachrichten aufnehmen?

Ja, früher gab es eine deutlichere Trennung zwischen dem Konsum von Nachrichten, die für die eigene politische Meinungsbildung wichtig waren und Nachrichten, die eher mit der alltäglichen Lebenswelt verknüpft sind. Wir erleben nun aber seit geraumer Zeit den Trend, dass dieser Alltagsbereich an Bedeutung für die Mediennutzer gewinnt. Im Fernsehen wird dies befördert durch immer mehr Reality-TV mit Lebensberatungs- und Coachingformaten. Eine Schieflage entsteht dann, wenn Probleme im politischen Bereich ausschließlich am Maßstab des Alltagslebens gemessen werden. Die Sexualmoral eines Politikers wie Strauss-Kahn sagt über dessen politische Fähigkeiten gar nichts aus. Dazu kommen die sozialen Netzwerke, in denen sich die Nutzer ihre eigene Nachrichtenwelt schaffen. Erst wenn hier etwas gepostet wird, scheint es für viele Nutzer einen nachrichtenrelevanten Wert zu haben.

Zumindest in sozialen Netzwerken wie Facebook hat am Samstag die Nachricht vom Tod der Sängerin Amy Winehouse mehr Reaktionen ausgelöst, als die fast hundert getöteten Menschen in Norwegen und tausende verhungerte Menschen in Somalia.

Den Nutzern geht es da ähnlich wie den Anbietern der Nachrichten: Sie müssen mit begrenzten Ressourcen zurechtkommen. Während die Journalisten nur einen begrenzten Zugriff auf Fakten haben, haben die Nutzer nur begrenzte Fähigkeiten, Nachrichten zu verarbeiten, Empathie zu investieren und Angst zu entwickeln.

Und das fällt bei Amy Winehouse leichter?

Zumindest für den ersten Moment. Zum einen hatten die Menschen durch die Medien das Gefühl, Winehouse wie eine entfernte Bekannte zu kennen, während die Opfer in Norwegen und in Afrika vergleichsweise anonym bleiben.

Und zum Zweiten?

Der eigene Alltag ist das zentrale Relevanzsystem überhaupt, wenn es um Nachrichtenwahrnehmung geht. Und es fällt vielen Nutzern leichter, Winehouse auf die eigene Lebenswirklichkeit herunterzubrechen, denn insbesondere für junge Menschen war sie im positiven wie im negativen Sinn eine Identifikationsfigur. Einerseits als jemand, der sich nicht an bestimmte Regeln halten will, was viele junge Menschen sicher von sich selbst kennen. Andererseits zeigt sie, was passiert, wenn Grenzen gefährlich weit ausgedehnt werden. In ihrem Fall führte das offensichtlich in den Tod.

Entstehen durch die wechselnden Alltagsbezüge auch die extremen Wellenbewegungen in den Nachrichten? Ehec ist kaum noch Thema, obwohl es weiterhin Ansteckungen gibt.

Ja, denn weder Nutzer noch Medien können sich mit der gleichen Intensität den Themen widmen und müssen deshalb die Nachrichten gewichten. Die Nachrichten folgen einer Ökonomie der Einfühlung, die sich an Bedrohung, Nähebeziehung und Mitleidsempfinden orientiert. Die Einfühlung lässt nach, wenn der Neuigkeitswert sinkt oder das Problem gelöst ist oder eine neue Problemlage unsere Empathie und Angstfähigkeit beansprucht. Ich bin sicher, dass die Ereignisse in Oslo in den nächsten Tagen die Nachrichten weiter bestimmen werden, denn hier treffen Angst und Empathie zusammen und das ist die stärkste emotionale Droge, die es für die Kommunikation geben kann.

Inwiefern?

Wir können uns gut einfühlen in so eine Ferienlagersituation auf der Insel, Eltern haben Kinder, die in einer ähnlichen Situation sein könnten und das ist natürlich ganz stark empathiefördernd. Es kommt die Bedrohung des Amoklaufs dazu und es wird die Frage gestellt: Besteht diese Gefahr auch hierzulande? Dann spätestens wird das Thema auch relevant für den Alltag der Menschen in Deutschland und Amy Winehouse ist vergessen.

Das Gespräch führte Sonja Pohlmann.

Jürgen Grimm ist Professor für Medienwirkungsforschung in den Bereichen Nachrichten und Unterhaltung an der Universität Wien.

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