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Der beschädigte BVB-Mannschaftsbus am Ort des Geschehens - links oben die zerborstenen Scheiben.

© AFP/Patrik Stollarz

Terror, Mord, Folter, Bomben: Wann über die Herkunft von Tätern berichtet werden darf

Reine Neugier kann die Nennung der Herkunft von Straftätern oder Verdächtigen nicht rechtfertigen. Doch der Presserat hat jetzt in seinen Leitlinien Beispiele genannt, in durchaus die Herkunft genannt werden kann.

In welchen Fällen soll über die Herkunft von Straftätern und Verdächtigen berichtet werden, mit diesem Thema beschäftigt sich der Deutsche Presserat verschärft seit den Vorkommnissen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln. Nach der Überarbeitung des Pressekodex, insbesondere der Richtlinie 12.1, im März, hat der Presserat nun am Mittwoch Leitsätze veröffentlicht, die die Regeln für die Kriminalberichterstattung ergänzen. „Wir haben Kritik und Anregungen zu diesem Thema aus vielen Redaktionen aufgenommen und umgesetzt. Die Leitsätze sollen Entscheidungshilfen für die Anwendung der Regeln im Redaktionsalltag geben“, sagt Manfred Protze, Sprecher des Deutschen Presserats.

In der Richtlinie heißt es grundsätzlich: "Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte." Für die Redaktionen gebe es zwar kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen, heißt es nun in der Erläuterung. Sie verpflichten die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt. "Reine Neugier – egal ob angenommen oder tatsächlich vorhanden, egal, ob individuell oder kollektiv – ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungsentscheidungen."

Der Anschlag auf den BVB-Bus als Beispiel

In den jetzt veröffentlichen Leitsätzen werden diverse Beispiele genannt, die für ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Zugehörigkeit von
Tätern oder Tatverdächtigen zu einer Gruppe oder Minderheit sprechen können. Das kann unter anderem eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension
außergewöhnliche Straftat sein. Als Beispiele werden Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Sprengstoffanschlag (z.B. auf den BVB-Mannschaftsbus) genannt. Aber auch die Silvesternacht wird als Beispiel angeführt, in diesem Fall für eine Straftat, die aus einer größeren Gruppe heraus begangen wird, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.

Die Herkunft zu nennen, kann aber auch zulässig sein, wenn eine Redaktion den Handel mit bestimmten Drogen an bestimmten Plätzen durch Täger einer bestimmte Gruppe thematisiert, schreibt der Presserat weiter, ohne ein konkretes Beispiel zu nennen. Oder wenn ein Straftäter oder Tatverdächtiger die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt. Als Beispiel nennt die Selbstkontrolleinrichtung der Presse hier: "Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan-Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen, Solidaritätszwang usw.)"

Die Redaktionen entscheiden

„Redaktionen haben stets zu entscheiden, ob die Erwähnung der Herkunft von Straftätern unter Berücksichtigung möglicher diskriminierender Nebenwirkungen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Für diese Entscheidung geben die Leitsätze konkrete Anhaltspunkte. Sie stellen auch klar, dass das am Gemeinwohl orientierte Öffentliche Interesse nicht mit Interessen anderer Art zu verwechseln ist. Gruppeninteressen oder reine Neugier sind jedenfalls kein geeigneter presseethischer Maßstab beim Diskriminierungsschutz.“
„Diese Leitlinien sind nicht in Stein gemeißelt. Wir werden die darin gegebenen Erläuterungen im Lichte praktischer redaktioneller Erfahrungen gegebenenfalls weiter entwickeln", sagte Protze weiter. Unverändert bleibe es aber Ziel des Presserats: Das Risiko diskriminierender Nebenwirkungen in der Berichterstattung so weit wie möglich zu begrenzen ohne den Anspruch der Öffentlichkeit auf wahrheitsgemäße und sachgerechte Unterrichtung zu schmälern.

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