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Medien: "The Clinic": Scherzen über Pinochet

Neulich in der Metro von Santiago. Ein Mann liest Zeitung und kichert dabei vor sich hin.

Neulich in der Metro von Santiago. Ein Mann liest Zeitung und kichert dabei vor sich hin. Sein Nachbar wird aufmerksam, schaut ihm über die Schulter, beginnt zu grinsen und fragt ungläubig: "Sagen Sie, kann man die kaufen?"

Wer das Blatt mit dem Schriftzug "The Clinic" zum ersten Mal sieht, traut seinen Augen nicht: "En Agosto cagó Augusto - im August hat Augusto verschissen", verkündet der fette Titel neben einem Konterfei von Ex-Diktator Augusto Pinochet. Und so etwas Freches kann man in Chile kaufen? Jawohl, und zwar mittlerweile an allen Kiosken des Landes, wie "Clinic"-Chefredakteur Patricio Fernández berichtet. Und immer mehr Leute kaufen das Blatt: 35 000 waren es zuletzt, Tendenz rasant steigend.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Vor knapp zwei Jahren, Pinochet war gerade in London verhaftet worden, kamen ein paar Freunde bei einer Flasche Wein zusammen. Fernández erzählt: "Wir mussten derart über die absurden Verrenkungen lachen, mit denen die chilenische Presse die Nachricht behandelte, dass wir beschlossen: Wir machen einfach mal was." Ihren Frust über das scheinheilige Gejammere von der "verletzten Souveränität" und der "Entführung unseres Senators" kleideten die Literaten in ein satirisches Pamphlet, das sie unter Freunden verteilten: "The Clinic" war geboren. Der Titel spielt auf die Londoner Klinik an, die Pinochet zum Verhängnis wurde.

Das mit Sarkasmen und bissigen Seitenhieben gespickte Blättchen, das den "guten Geschmack" systematisch unter der Gürtellinie traf, fand Anklang und Verbreitung. Vor einem Jahr dann wagte die zusammengewürfelte Truppe um den Kunsthistoriker Patricio Fernández, 30, den Sprung an die Kioske. Seither gehen jeden zweiten Donnerstag Lachsalven durchs Land, und Politiker und Prominente beten, von der 16-seitigen schwarz-weißen Publikation verschont zu bleiben. Die Chancen sind gering, denn alle kriegen ihr Fett weg: Minister und Fernsehstars, Richter und Fußballer, Generäle und Priester. Pinochet bleibt freilich der Liebling der Satire: "Hombre Muerto Caminando" (Dead Man Walking) titelte man etwa, als der greise General aus gesundheitlichen Gründen freigelassen wurde und in Santiago aus dem Rollstuhl aufsprang.

Das Blatt finanziert sich inzwischen selbst, erste Anzeigenkunden haben die vorrangig junge, studentisch-intellektuelle Leserschaft entdeckt. "Den verdanken wir ebenso der Misere der hiesigen Presse", sagt Chefredakteur Fernández. Sein Blatt bietet, was man in anderen Publikationen und Kanälen vergeblich sucht: spritzige Beiträge, politische Respektlosigkeit, beißende Satire. In der von zwei konservativen Pressekonzernen beherrschten Zeitungsszene findet Kritik hingegen nur statt, wenn sie politisch ins Konzept passt.

Dass Fernandez so ruhig sitzen und reden kann in der winzigen Redaktion im Stadtteil Providencia, grenzt eigentlich an ein Wunder. In Chile sind unbequeme Journalisten schon für viel weniger vor Gericht und in Haft gekommen, gestattet doch ein Sonder-Paragraf des "Staatssicherheitsgesetzes" allen Amtsträgern, kritische Veröffentlichungen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt als Verleumdung zu ahnden. Mit dem Satireblatt wollte sich bislang noch keiner anlegen, von ein paar beleidigenden anonymen Anrufen abgesehen. Nur einmal, da wurde Fernández bei einer Hochzeitsfeier von einem aufgebrachten Berater des rechten Präsidentschaftskandidaten tätlich angegriffen. Der Fausthieb war das beste, was ihm passieren konnte: Die Medien griffen die Skandalmeldung auf, und in der Woche darauf verdoppelte "The Clinic" ihre Auflage.

Malte Sieber

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