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Bildersturz 2.0. Die Mubarak-Karikatur des Ägypters Amr Selim verweist auf die Rolle von Facebook während der Revolution.

© FES

Tunesiens berühmtester Blogger: „Wir haben schon gewonnen“

Soziale Netzwerke wie Facebook trieben und treiben die Rebellion in den arabischen Ländern an. Tunesiens berühmtester Internetaktivist, der Blogger Slim Amamou, über die neue Medienfreiheit.

Die gelockten Haare trägt er wieder lang. Er, Slim Amamou, Internet-Aktivist und Blogger aus Tunesien. Der berühmt wurde, als er es aus dem Gefängnis direkt in die Interimsregierung in Tunis schaffte. Als Staatssekretär für Jugend und Sport mit Kurzhaarfrisur aus Kabinettssitzungen twitterte. Und nach nur vier Monaten wieder schmiss. Er wollte frei sprechen können, sagte der Vorkämpfer für Meinungsfreiheit, der nicht nur in Tunesien, sondern in allen Ländern des arabischen Frühlings bekannt ist. Nun ehrte ihn die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin mit dem Menschenrechtspreis.

„Es geht sehr viel besser“, sagte der 34-Jährige Amamou im Gespräch mit dem Tagesspiegel über die Medienfreiheit in seinem Land. Neue audiovisuelle Medien hätten sich entwickelt. Aber man brauche mehr, da die Journalisten der klassischen Medien selbst vom System korrumpiert waren. Nachdem die Tunesier im Januar 2011 als Erste den Aufstand in Nordafrika probten und Dauerpräsident Zine al Abidine Ben Ali davonjagten, wurde die Zensur im Internet gelockert. Dann, auf Druck des Militärs, begann die Regierung wieder, Webseiten zu zensieren. Da gab Amamou sein Amt auf. „Heute ist die Zensur weitestgehend aufgehoben“, sagte er. Das Agence Tunisienne d'Internet (ATI), die oberste Zensurbehörde, habe Berufung gegen alle Zensurbestrebungen eingelegt und einen Wandel zu einer Behörde vollzogen, die nun die Freiheit des Internets verteidige. Problematisch sieht Amamou die Zensur, die teilweise auf Betreiben des Militärtribunals durchgesetzt oder von fundamentalistischen Rechtsanwälten angestrebt wird, etwa die staatliche Überwachung pornografischer Webseiten. „Das ist völlig unzulässig.“ Schon das alte Regime hätte Pornografie als Vorwand genutzt, um die Opposition zu kontrollieren.

Der intellektuelle Freigeist mit Hornbrille und rotem Wollpullover fordert „freien Zugang zu Informationen und den Schutz der Quellen als Bürgerrecht“. Die „taz“ schrieb über ihn, Tunesien brauche kein Wikileaks, es habe Slim Amamou. Er leistet demokratische Basisarbeit in einem Land, das die Strukturen einer 23-jährigen Diktatur aufzulösen versucht.

Der Staatssekretär a.D. kann die Rolle des Internets nicht genug rühmen, das kollektive Aufbegehren. Er möchte auch jene geehrt wissen, die dabei ihr Leben ließen. Wie der Blogger Khaled Said, Symbolfigur für den Aufstand der Ägypter. Die Facebook-Seite „We are all Khaled Said“ war eine wichtige Organisationsplattform. Auch Said wurde posthum von der Friedrich-Ebert-Stiftung geehrt. Polizisten hatten den 28-Jährigen am 6. Juni 2010 in Alexandria zu Tode geprügelt, weil er ein Video veröffentlicht hatte, das zeigt, wie die Polizisten konfiszierte Drogen untereinander aufteilen.

Zahraa Kassem, 33, Saids Schwester, die erst nach dem Tod von seinem Engagement erfuhr und den Preis für ihren getöteten Bruder in Berlin entgegennahm, sagte über die aktuelle Lage der Medien in Ägypten: „Im Moment geht es wieder abwärts. Es gibt Verbote, Zensuren, die Talkshows im Fernsehen scheinen gesteuert und Journalisten werden verhaftet und gefoltert.“ Im September 2011 wurde etwa die Redaktion des Fernsehsenders Al Dschasira in Kairo durchsucht und danach geschlossen. Die Repressionen der Militärjunta werden als Rückkehr in die Ära Mubaraks gewertet.

Vor neun Monaten begann die Reformwelle in Tunesien und zog weiter nach Ägypten, andere Länder wie Jemen oder Syrien sind noch mitten in der Revolte. „Wir haben schon gewonnen. Es fragt sich nur, wie viel“, meinte Amamou. Für Oktober ist die Wahl eines Verfassungsrates in Tunesien angesetzt. „Der Protest ist noch im Gange. Die Menschen werden nicht mehr ihren Mund halten“, sagte Kassem.

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