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TV-Dokumentation: Friedenstaube auf dem Roten Platz

25 Jahre nach der spektakulären Landung in Moskau äußert sich Kremlflieger Mathias Rust im ARD-Film. Einen Pressetermin in Berlin sagt er indes kurzfristig ab.

Um 4 Uhr 51 traf die E-Mail ein. Mathias Rust, der Kremlflieger von 1987, sagte am Dienstagfrüh kurzerhand einen von langer Hand vorbereiteten Pressetermin in Berlin ohne Angabe von Gründen ab. Bei der Präsentation des ARD-Films „Der Kremlflieger – Mathias Rust und die Landung auf dem Roten Platz“, den das Erste am 21. Mai ausstrahlt, war der inzwischen 43-jährige „Friedensflieger“ als Hauptgast angekündigt worden. 25 Jahre nach seinem Hasardeur-Flug zum Roten Platz wollte er über die Ereignisse des Jahres 1987 und sein jetziges Leben sprechen. Doch im Umgang mit der Presse war Rust bereits damals deutlich unsicherer als beim Navigieren seiner einmotorigen Maschine am 28. Mai 1987. Im Sichtflug hatte der damals 19-Jährige mit seiner geliehenen Cessna die 1000 Kilometer von Finnlands Hauptstadt Helsinki nach Moskau gesteuert und die Maschine auf einer Brücke unweit des Roten Platzes gelandet. Den Platz selbst hatte er zwar mehrfach überflogen. Um die Menschen darauf nicht zu gefährden, war er entgegen mancher Mythen aber nicht dort gelandet. An der Tatsache, dass er mit der Landung das kommunistische Riesenreich ausgerechnet am „Tag des sowjetischen Grenzsoldaten“ zutiefst blamiert hat, änderte das jedoch nichts. Das von ihm beabsichtigte Treffen mit Gorbatschow kam nicht zustande, der weilte zu der Zeit gerade bei Erich Honecker in Ost-Berlin.

An Filmemacherin Gabriele Denecke hat es sicherlich nicht gelegen, dass Rust den Pressetermin ausfallen ließ. Denn in der filmischen Rückschau wird Rust eine erheblich größere historische Bedeutung beigemessen als bislang. So sei Rust zwar ein kleines, aber möglicherweise bedeutsames Rädchen für den Erfolg von Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestrojka gewesen. Die Landung Rusts kostete 2000 sowjetische Militärs ihre Posten, auch Verteidigungsminister Sokolow musste gehen. Ohne die Auswechslung der Hardliner wäre es für Gorbatschow erheblich schwieriger geworden, die politische Doktrin zu ändern. Am Ende hat Mathias Rust sogar dazu beitragen, dass der Kalte Krieg früher endete, suggeriert der ARD-Film.

„Wenn ich gewusst hätte, was sich daraus entwickelt, ich würde es nicht noch mal wagen“, sagte hingegen Mathias Rust heute. Immerhin wurde er vom Obersten Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen er 432 Tage abgesessen hat. Geblieben ist Rusts überaus korrektes Erscheinungsbild: Randlose Brille, unauffälliger Kurzhaarschnitt, gelbes Poloshirt, ein Revoluzzer war Rust nie.

Die Vorgeschichte zum legendären Kremlflug begann im Oktober 1986: Die Abrüstungsgespräche von US-Präsident Ronald Reagan und dem russischen Staatschef und Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow in Reykjavik waren ergebnislos zu Ende gegangen. Rust, ein Fan der Science-Fiction-

Heftromane um Perry Rhodan, sah sich nun selbst gefordert, etwas für den Weltfrieden zu tun und plante seinen Flug, der eine Brücke von West nach Ost schlagen sollte. Seine Eltern in Wedel bei Hamburg indes blieben ahnungslos, bis sie am Tag nach der Landung aus der „Tagesschau“ von der Tat des selbst ernannten Weltenretters erfuhren.

Im Film, einer Koproduktion von Hessischem Rundfunk, Saarländischem Rundfunk und der Gebrüder-Beetz-Filmproduktion, kommen neben Rust Zeitzeugen zu Wort, darunter der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, Gorbatschow-Berater Valentin Falin, der deutsche Botschafter in Moskau Andreas Meyer-Landrut und der in Berlin lebende Autor Wladimir Kaminer.

Der gebürtige Russe Kaminer leistete 1987 seinen Wehrdienst im zweiten Ring der Luftraumverteidigung von Moskau. „Wir hatten damals mit allem gerechnet, aber nicht mit Mathias Rust“, sagte Kaminer am Dienstag. „Das war die ungewöhnlichste Friedenstaube, die man sich vorstellen kann.“ Später hat Kaminer Rust sogar persönlich kennengelernt, als er in dessen Heimatstadt Wedel zu einer Buchlesung war. Dabei erwähnte Kaminer auch seine „Begegnung“ mit dem Flieger auf dem Radargerät. Nach der Lesung kam Rust auf Kaminer mit den Worten zu: „Hallo Wladimir, ich bin Mathias“, und erzählte ihm von seinen Erfolgen als professioneller Pokerspieler in Tallinn. Diese Phase liegt inzwischen ebenfalls hinter ihm, dem Vernehmen nach pendelt Rust inzwischen als Finanzberater zwischen Hamburg und Singapur.

Die Frage, wie es Rust überhaupt gelingen konnte, mit seiner Maschine nach Moskau zu gelangen, kann auch dieser Film nicht beantworten. Der damalige stellvertretende Leiter der Luftraumüberwachung erklärte etwa, dass es bei einem Riesenreich wie der UdSSR nicht möglich gewesen sei, die komplette Grenze zu überwachen. Tatsächlich dauerte es eine Stunde, bis erste Abfangjäger den Kremlflieger erreichten, dann aber wieder abdrehten. Zudem sei an diesem Tag eine Frachtmaschine abgestürzt, so dass die Aufmerksamkeit zusätzlich beeinträchtigt gewesen sei. Luftüberwacher Wladimir Kaminer hat noch eine andere Erklärung: „An kleinen Maschinen hat es damals im Luftraum keinen Mangel gegeben. Viele Kolchos-Chefs haben sich auf diese Weise befördern lassen. Allerdings war darunter keiner, der so zielstrebig auf Moskau zugehalten hat.“

Dass Rust die Pressevorführung verpasste, hat Filmemacherin Gabriele Denecke nicht wirklich überrascht. Auch bei ihrem Interview blieb es bis zuletzt spannend, ob er den Termin einhält. Ein Spinner ist Rust für Denecke gleichwohl nicht: „Er ist sicherlich ein auffälliger Mensch, aber einer, den man ernst nehmen sollte.“

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