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TV-Dokumentation: Posieren für Grünenthal

In der Dokumentation „NoBody’s Perfect“ begleitet Regisseur Niko von Glasow Contergan-Geschädigte.

Ein schönes Souvenir lässt das Filmteam am Tor der Grünenthal AG zurück, vielleicht für den Geschäftsführer, der nicht zu sprechen war. Das Großfoto zeigt Niko von Glasow, den Regisseur des herausragenden Dokumentarfilms „NoBody’s Perfect“, den die ARD am Dienstag zeigt, als heiter posierenden Akt mit seinem kleinen Sohn. Das Bild wäre lustig zu nennen, würden dem Mann nicht die Hände fast an der Schulter hängen. So sehen heute viele Opfer des Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan (Thalidomit) aus, das der Aachener Pharmaproduzent Ende der fünfziger Jahre auf den Markt brachte, bis es 1962 wegen der von ihm verursachten embryonalen Schäden zurückgezogen werden musste. Anderen fehlten bei der Geburt beide Arme ganz, Dritten wuchsen keine Beine, so dass sie lebenslang auf einen Rollstuhl angewiesen bleiben.

Es war Glasows Idee, mit elf Contergan-Geschädigten Verbindung aufzunehmen, damit sie gemeinsam mit ihm für einen provozierenden Akt-Kalender oder einen Bildband posieren. Man kennt sich, so dass gar nicht erst Verlegenheit aufkommt: der Astrophysiker, der Gärtner, der Schauspieler, der Jurist, der Journalist, die Sportlerin.

Nicht alle Behinderten mögen so gut wie diese zwölf vorangekommen sein. Nun gilt es, eine mentale Sperre zu durchbrechen: sich in der Öffentlichkeit zu seinem Körper zu bekennen. Darin liegt vor allem eine Herausforderung für die „Normalen“, die den Anblick von Behinderten scheuen, und erst recht für den Aachener Pharmaproduzenten.

Sein Hauptziel hat Glasow erreicht: Er schuf Szenen, die Menschen wie ihn am Leben beteiligen, die ihnen Respekt verschaffen und ihren Humor vermitteln. Die Contergan-Opfer haben viel mehr Schwierigkeiten überwunden als wir, die wir ihnen auf der Straße, im Café oder am Strand erschrockene Blicke zuwerfen. Niko von Glasow, der für seinen Film (Kamera: Ania Dabrowska, Mathias Dombrink) 2009 den Deutschen Filmpreis erhielt, löst mit seiner Regie ein Lebensgefühl aus, um das diese Menschen alle, denen es äußerlich besser geht, nur beneiden können. „Ich lebe, und das ist schön“, bringt es einer auf den Punkt. Vergessen ist das Schlimme dennoch nicht: der Weiterverkauf des schädlichen Mittels, als die Folgen schon bekannt waren, das Schweigen des Herstellers zu seiner Schuld an Leben und Gesundheit Tausender, die Verdrängung in den Geburtskliniken, wo man die Babys oft so lange wie möglich vor den Müttern versteckte. Im Umgang mit den Contergan-Opfern zeigte sich noch lange eine heuchlerische Doppelmoral, aber das selbstbewusste Auftreten vieler von ihnen, die auf Bedauern und Mitleid keinen Wert legen, zeugt heute auch von einer Courage, die nicht vor Unternehmenstüren kapituliert. In welcher Kammer der Grünenthal AG mag Glasows Aktfoto seinen Platz gefunden haben? Hans-Jörg Rother

„NoBody’s Perfect“, 22 Uhr 45, ARD

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