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Erst Geisel, dann Filmautor: der Brite Mark Henderson. Foto: Arte

© AndrŽs Gomez Salazar/Renegade

TV-Dokumentation: Wiedersehen mit dem Entführer

Der Brite Mark Henderson wurde in Kolumbien entführt. Nun ist er seinem Entführer erneut begegnet und hat darüber für Arte die Dokumentation "Gekidnapped" gedreht. Er zeigt darin, wie sich die für Unbeteiligte schwer verständliche Nähe zwischen Opfer und Verbrecher entwickeln kann.

Am zwölften Tag ihrer Entführung lernte die in Kolumbien gekidnappte Touristengruppe zwei neue Bewacher kennen, Antonio und Camilla. Der Brite Mark Henderson schrieb in sein Tagebuch: „Sie sehen nicht wie Killer aus, sind intelligenter.“ Es keimt Hoffnung auf, das Guerillero-Paar ist freundlich und bringt den Geiseln sogar frische Ananas ins Dschungellager mit. „Es war das Köstlichste, was ich jemals gegessen habe“, notierte die ebenfalls entführte Reini aus Deutschland. Es beginnt eine besondere Beziehung, die über die 101 Tage dauernde Geiselhaft im Jahr 2003 hinausreicht. Monate später melden sich Antonio und Camilla per E-Mail. Man bleibt in Kontakt. Sechs Jahre später reisen Mark und Reini in Begleitung von zwei Israelis, die ebenfalls entführt worden waren, nach Kolumbien. „Weil er da draußen ist, weiß ich, dass ich ihn treffen muss“, sagt Henderson. Und tatsächlich begegnen sich Täter und Opfer am Ende des Dokumentarfilms „Gekidnapped“ wieder.

Entführungen von Touristen gehören zur Nachrichtenroutine. Aber was erleben die Opfer wirklich? Wie verarbeiten sie nach ihrer Freilassung die Zeit der Unfreiheit? Aus Sicht der Geisel stellt sich die Frage andersherum: Wie könne er anderen die Ungewissheit erklären, die Machtlosigkeit, die Todesangst?, schrieb Henderson, ein englischer Fernsehproduzent, während der Entführung. „Gekidnapped“ ist ein eindrucksvoller Erklärungsversuch, streng subjektiv und dennoch differenziert, spannend, intelligent. Die für Unbeteiligte schwer verständliche Nähe, die sich zwischen Geiseln und Entführern entwickeln kann, wird ein Stück weit nachvollziehbar.

Henderson selbst ist Autor des Films. Ehe es zur Begegnung mit Antonio und Camilla kommt, dokumentiert er seine Reise mit den drei anderen Ex-Geiseln an verschiedene Orte ihrer damaligen Odyssee durch den kolumbianischen Dschungel. Er rekonstruiert die verschiedenen Phasen der Entführung, auch den Streit unter den Geiseln. Der Film behandelt nebenbei auch einen speziellen deutschen Aspekt. Die Geisel Reinhilt („Reini“) Weigel, die Henderson besonders nahe stand, machte Schlagzeilen, weil sie sich bei ihrem ersten Interview nach der Freilassung mit einem Gewehr in der Hand gemeinsam mit ihren Entführern fotografieren ließ. „Idiotisch“ nennt sie das Foto heute, es brachte sie auf die Titelseite der Boulevardmedien. Im Mai vergangenen Jahres verlor sie zudem einen Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Sie muss nun die Kosten für den Hubschraubereinsatz selbst tragen, über 12 000 Euro. Thomas Gehringer

„Gekidnapped“, Arte, 22 Uhr 10

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