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Manege frei. Thomas Gottschalk ist der Typ für die Arena, ein Umarmer der Massen. Ab 15. September ist er bei RTL als Juror zu sehen, der die Kandidaten erst umarmt, dann rauswirft.

© Armin Smailovic/Focus

TV-Entertainer: Thomas Gottschalk: 62, blond, sucht ...

"Wetten dass..?" war sein Format. Seit seinem Abschied irrt Thomas Gottschalk durch die deutsche Fernsehlandschaft. Erst "Gottschalk Live", jetzt Castingshow. Er hat das Problem vieler Stars, die durch ihr Talent groß und dann von ihm aufgezehrt werden.

Und dann, kurz nach dem Abgang des Messerwerfers, kurz vor dem Auftritt des Hausschweins, schaut er, leicht nach vorne gebeugt, in ein bekanntes Gesicht, steht da seine Vergangenheit auf der Bühne, steht dort einer von früher. Einer aus Kulmbach. Franz Trojan.

Thomas Gottschalk kennt ihn. Seit 50 Jahren schon. Er überfliegt noch einmal einen der Zettel, die vor ihm auf dem Jury-Tisch liegen, und sagt, so zur Begrüßung: „RTL freut sich immer, wenn es zu jedem Kandidaten eine Geschichte zu erzählen gibt.“ Und deshalb, weil sich RTL darüber immer freut, erzählt Gottschalk nun bei der Aufzeichnung des „Supertalents“ diese Geschichte, die mehr seine ist, als die des Kandidaten. Erzählt, wie er früher, als Junge, in jener Straße, in der die Familie Trojan lebte, die Post ausgetragen hat. Tommy, der Briefbote. Gute alte Zeit. Gottschalk ist heute 62.

Franz Trojan, ehemaliger Drummer und Gründungsmitglied der Spider Murphy Gang, ist 1992 aus der Band ausgeschieden, danach abgerutscht. Obdachlos, Alkoholiker. Solides Einzelschicksal. Nun also soll er hier sein Comeback geben, singend am Schlagzeug. Trojan aber schwankt, stolpert. Dieter Bohlen, der Chefjuror, fragt, typischer Bohlen-Sound: „Sag mal, bist du betrunken?“ Das Publikum grölt. Geile Show, das hier.

Schließlich schafft es Trojan ans Schlagzeug, spielt, na klar, „Skandal im Sperrbezirk“. Er aber ist kein Sänger, es war nie seine Stimme, die durch dieses Lied getragen hat. Schnell wird er, so läuft das nun mal, auch von Gottschalk humorlos aus dem Scheinwerferlicht gebuzzert. Mit einer kurzen, aber unmissverständlichen Gameshow-Tröte des Scheiterns. Auf Wiedersehen. Und Thomas Gottschalk sagt, zum Abschied, noch: „Vielleicht war es heute keine gute Idee, dort wieder einzusteigen, wo du damals aufgehört hast.“

Video: Gottschalk geht zu RTL

Es klingt, als wäre das hier alles ein großes Missverständnis. Dieser Versuch Trojans, die Lieder von damals noch einmal zu spielen. Das Vergangene herüberzuretten. Aber ist es nicht eines, dem er, Gottschalk, selbst unterlegen ist?

Wenige Minuten später sitzt Franz Trojan vor dem Seiteneingang des Berliner Tempodroms. Er hat sich gerade eine Zigarette gedreht. In seinem Gesicht, das seine Geschichte nur schwer verbergen kann, liegt die Ohnmacht eines angezählten Boxers: „Ich wusste leider nicht, worauf ich mich da einlasse.“ Hektisches Inhalieren, glitzernder Schweiß auf der Stirn. Und eine Bitte: „Schreiben Sie, ich liebe den Thomas.“ Das ist ihm wichtig. Das musste erst mal geklärt werden. Denn: „Als wir uns vor der Show getroffen haben, da hat er mich umarmt, da war alles nett und lieb. Völlig lässig. Wie früher.“ Kurzes Innehalten. „Nur unten in der Sendung war alles anders.“ Trojan, das spürt man deutlich, wundert sich: „Ich wollte ihn fragen, warum er das hier macht. Was hat er hier verloren?“

Dann steigt Trojan in einen schwarzen Van, seine Managerin am Steuer. Bloß schnell weg. Zurück bleibt, neben ein paar Krümeln Tabak auf dem Bürgersteig, das große Fragezeichen.

Was hat er hier verloren? Warum sitzt Thomas Gottschalk, Deutschlands größter Entertainer seit Hans-Joachim Kulenkampff, nun an einer Gameshow-Tröte?

Noch 2010 hatte er in der „FAZ“ gesagt, „Das Supertalent“ sei eine „verschärfte Form von ,Wetten dass..?’“, um dann zu erklären, dass es auch in seiner Show, immer noch Familiensendung, einen „Giftschrank“ mit Wetten gebe, die man aus guten Gründen nicht spielen könne. Auch um die Menschen vor sich selbst zu schützen. Der Schlüssel zu diesem Schrank, dachte man damals, ist bei Thomas Gottschalk in guten Händen. Nun aber ist er Teil einer Show, in der die Kandidaten vorgeführt, abgelutscht und weggeschmissen werden. Der einstige Zirkusdirektor, ein stummer August unter der Kuppel im Tempodrom, warum tut er sich das an?

Das fragen sich auch jene, die schon dabei waren, als Gottschalk, das blonde Stück deutscher Fernsehgeschichte, in den 70ern seine Karriere beim Bayrischen Rundfunk begann. Jürgen Herrmann ist einer von ihnen. Als Moderator und Musikredakteur bei „Bayern 3“ teilte er sich mehr als zwei Jahre ein Büro mit Thomas Gottschalk. „Wir führten eine Büroehe, die ganz herrlich war“, sagt er, 68 heute, im Ruhestand, „wir waren Freunde.“ Herrmann, den sie da unten in Bayern, gebürtiger Berliner, nur Atze nennen, wohnt mit seiner Frau mittlerweile am Ammersee. Das Berlinisch aber schimmert noch immer durch, besonders wenn er ein bisschen außer sich gerät. „Als ich gehört habe, er geht zum Bohlen, da war ich entsetzt“, sagt Jürgen Herrmann. „Das ist doch nicht der Thomas, den ich kenne.“

Jung, freche Schnauze, schnelle Zunge, ein kritischer Geist

Der Thomas, den Jürgen Herrmann kennt, jung, freche Schnauze, schnelle Zunge, ein kritischer Geist, hätte dort nicht mitgemacht. „Thomas hat immer über den Bohlen gelästert. Und nun geht er genau diesen Weg, den er bei den anderen immer so kritisiert hat.“ Denkerpause. Versuch einer Erklärung: „Bei Thomas ist auch die Eitelkeit ein Faktor. Er meint ja, früher war er immer der Rock’n’Roller, und jetzt zeige ich es euch erst recht.“

Rock’n’Roll, das war bei Thomas Gottschalk weit mehr als nur die Musik, die er im Radio spielte. Es war eine Haltung. Dieses Leben im Jetzt, der offensive, angstfreie Auftritt, mit dem er, keine dreißig, dem altehrwürdigen Bayerischen Rundfunk den Staub aus den rheumatischen Gliedern klopfte, die Hörgewohnheiten des Publikums brach. An einem Tag eigenhändig eine Fronleichnamsprozession umleitete und sich, an einem anderen, aus einer Laune heraus, Heino in die Sendung holte.

Klar ist da auch, dass einer wie er, rockend und rollend, Natural Born Entertainer, sich nur widerwillig in den Gedankenkäfig lästiger Nebensächlichkeiten sperren ließ. „Die Arbeit war ihm nie angenehm, das hat er immer verachtet“, erinnert sich Herrmann, „er hat sich immer gesagt, ich habe mein Talent. Mit dem Rest will ich mich auch nicht belasten.“

Video: Thomas Gottschalk - Ein Stern in Berlin

Gottschalk konnte, ohne groß zu überlegen, das Richtige, das genau Passende sagen. Schlag. Und fertig. Je weniger geplant oder vorbereitet war, desto mehr Raum füllte er mit sich selbst. Im Grunde war er alleine das Programm. Im Radio, im Fernsehen. Überall. Und mit „Wetten, dass..?“ hatte Thomas Gottschalk deshalb das für ihn passende Format gefunden. Die perfekte Arena, in der er seine Stärken ausspielen konnte, während seine Schwächen nicht weiter störten. Dort war er ein Dompteur, der das Publikum zu organisieren verstand, der immer die besten Nummern hatte, Wetten und Stars. Viel mehr war es nicht, viel mehr sollte es aber auch gar nicht sein. „Der Thomas war ,Wetten, dass..?’“, sagt Jürgen Herrmann, „und eigentlich hätte er danach ganz aufhören sollen.“

Ein Rock’n’Roller verlässt die Bühne jedoch nicht freiwillig. Hat Franz Trojan, taumelnder Schlagzeuger, das nicht gerade erst unter Gottschalks Augen bewiesen?

Die Musik von Status Quo, AC/DC, Led Zeppelin, sie steckt auch in Gottschalks Kleidung, in den blonden Locken, in diesem ganzen Thomas-Gottschalk-Kostüm, mit dem er sich selbst zu konservieren scheint. Wobei Herrmann jetzt, mit dem Abstand der Jahrzehnte, sagt: „Wir waren ja eher Pseudo- Rock’n’Roller, irgendwann doch die Braven. Bürgerkinder mit der Gitarre in der Hand. Und deshalb wirkt das jetzt einfach lächerlich. Das ganze Outfit, die zerrissenen Jeans, die Cowboystiefel, das passt nicht mehr.“

Mit „Gottschalk Live“ wollte er es noch einmal allen beweisen. Den Kritikern, dem Publikum, vor allem aber sich selbst. Weil die gleißende Sonne Malibus, Gottschalks Wahlheimat, nichts ist gegen das Scheinwerferlicht. Umzug nach Berlin, Umzug in den Vorabend, von der Arena ins Wohnzimmer. Beweisen, dass er noch der Alte ist, dass er noch kein Alter ist.

Es sollte alles so sein wie früher, wie in den „Pop nach 8“-Zeiten auf „Bayern 3“. Nur er und das Publikum, gemeinsam unter seiner Decke. Es sollte keine Einspieler geben, keine Sidekicks, keinen Außenreporter. „Ich habe mich gewundert“, erzählt einer aus der damaligen Redaktion, „denn unter dem Strich wollte der Thomas eine 80er-Jahre-Radioshow machen. Leider hatten wir mittlerweile Ende 2011. Und wir sprachen über eine Fernsehshow.“ Als Vorbild dienten ihm zudem amerikanische Formate wie Jon Stewarts „Daily Show“ oder „The Colbert Report“, beide ironisch und meinungsstark. Er wollte „leichtes Feuilleton und gehobenen Boulevard“, das deutsche Fernsehen ganz allein neu erfinden.

In der Rolle des jugendlichen Schelms, wurde er zum Tommy der Nation

Bei seiner ersten Pressekonferenz im Humboldt Carré am Gendarmenmarkt, hellbrauner Tweed-Dreiteiler, Monokel um den Hals, Gottschalkgrinsen im Gesicht, begeisterte er die Journalisten mit der alten Spontaneität, gab er den Grandseigneur der Fernsehunterhaltung. Souverän, jovial und, echt jetzt, richtig lustig. Das kann ja wirklich was werden, dachten die Anwesenden. Es wurde dann aber, das weiß man ja heute, eher nichts. So gut wie bei der Pressekonferenz war er danach nicht wieder.

Was am Ende blieb, war eine, von Gottschalk so apostrophierte „Wohlfühl-Halbestunde“, in der sich niemand, am wenigsten er selbst, wohlfühlen konnte. Weil „Gottschalk Live“, nicht sein Format, seine Defizite offen legte. Das offensichtliche Desinteresse im Gespräch, an seinen Gästen. Und die fehlende Vorbereitung, die zu einer Vielzahl von Aussetzern führte. Wie etwa als er Bully Herbigs „Schuh des Manitu“ kurzerhand nach 1984 verlegte. Oder einfach Namen vergaß, durcheinander brachte. Anette Engelke, Katschenbeck. „Die Briefings mit Gottschalk“, erinnert sich eine enge Mitarbeiterin, „bestanden meist aus 30-sekündigen Audienzen, bei denen er nebenher noch telefonierte und dann, mittendrin, auf einmal in die Maske hetzte. Haare waren immer wichtiger als Information, als Austausch.“

In seinem Berliner Büro direkt neben dem Studio hing in dieser Zeit ein Gemälde, barock gerahmt in Gold. Ein Gottschalk-Porträt des Karikaturisten Bernhard Prinz. Es zeigt ihn, wie er sich am liebsten sieht, breit grinsend, überlebensgroß. Er trägt darauf den gleichen braunen Tweedanzug wie er ihn auch schon im Dezember trug, auch hier das Monokel um den Hals, und sitzt sich selbst auf der Schulter. Als Miniatur, mit bunter Narrenkappe. Gottschalk als sein eigener, großes Wortspiel natürlich, Schalk im Nacken.

In der Rolle des jugendlichen Schelms, ist er zum Tommy der Nation geworden. Ein Paradiesvogel, blonde Locken, farbenfrohe Klamotten, loses Mundwerk, der die deutschen Wohnzimmer mit wohldosierten Frechheiten füllte, ohne dabei jedoch wirklich jemandem zu nahe zu treten. Diese Barriere achtete Gottschalk, Juristensohn, Messdiener, selbst viel zu konservativ. Und war doch die Spur unangepasster als sein Publikum. Es wollte ihn genau so haben und ließ ihn gewähren. Ach, der Thomas. Ja, der Thomas.

Die Witze aber machen jetzt andere

„Er liebt es, in der Öffentlichkeit zu stehen“, sagt Holm Dressler am Telefon. „Den Kasperle zu geben.“ Dressler muss es wissen. Er war fünfzehn Jahre lang, von 1977 bis 1992, als Produzent verantwortlich für alle Gottschalk-Formate, der Schatten hinter dem Lichtlächler. Jetzt in einem Hotel in São Paulo sagt er über den Thomas: „Dieses Zirkuspferd-Ding ist bei ihm ja auch eine Triebhaltung.“

Das klingt jetzt erst mal verächtlicher, als es tatsächlich gemeint ist. Denn auch bei Holm Dressler trifft man wieder auf dieses Phänomen: Menschen, die Thomas Gottschalk näher kennen gelernt, mit ihm zusammengearbeitet haben, seine Freunde geworden sind, sprechen mit großer Zuneigung von ihm. Sie schwärmen für diesen Mann. Menschenfreund Gottschalk, das sagen sie. Sagt auch Dressler. Dann aber gibt er eine unfreiwillig-passende Einschätzung zum Gegenwarts-Gottschalk, dessen Wege er derzeit nur noch aus der Ferne verfolgt. „Gottschalk ist ratlos“, beginnt er, „nein, nicht ratlos, rastlos unterwegs.“

Glasklarer freudscher Moment. Wunderbarer Sigmund, wunderbares Unterbewusstsein.

Beim „Supertalent“ ist das an diesem Donnerstagabend noch einmal gut zu beobachten. Gottschalk sitzt dort im Tempodrom, schwarzes Jackett, dunkle zerrissene Jeans, die obligaten Cowboystiefel. Er scheint nicht zu wissen, wie er dorthin gekommen ist. Etwas deplatziert zwischen all dem Rummel, als wäre er hier nur versehentlich hineingeraten. Er fügt sich dem als Thomas-Gottschalk-Maschine, sagt genau das, was jeder von ihm erwartet: „Tanzstunden, das hieß bei uns früher immer noch Walzer und Foxtrott.“ Diese Gottschalksprüche. Markenzeichensprache. Ein bisschen Oberlehrerfremdeln mit der Jugend und ihrer Gegenwart, ein paar sofaerprobte Anzüglichkeiten. „Er war mit seinem Witz einmal eine Galionsfigur“, hatte Jürgen Herrmann noch gesagt: „Und jetzt fängt er an, dieses Denkmal, das er sich da aufgebaut hat, zu demontieren.“

Die Witze aber machen jetzt andere. Kurz vor Beginn der „Supertalent“-Aufzeichnung hampelt ein Einpeitscher, der sich nur als René vorgestellt hat, über die Bühne. „Ich sag Dieter, ihr sagt Bohlen.“ Publikumslockerung. „Apropos, alte Herrschaften“, schreit er, Trommelfeuer des Stehaufwitzes, „gleich kommt hier einer raus. Ihr kennt ihn. Gummibärchen, blonde Locken, Wetten, dass..?“ Das Publikum nickt schwach, sie wissen ja, dass Gottschalk gleich hier sitzen wird, am Jurytisch. „Genau, der Gottschalk“, sagt der René, „also wenn der jetzt gleich auf die Bühne kommt, dann nicht so laut klatschen. Der ist so viele Zuschauer gar nicht mehr gewöhnt. Nicht, dass er sich erschrickt.“ Riesige Häme, ein Kracher.

Irgendwann, viel später, nach dreieinhalb Stunden Exotenschau, spielt eine russische Pianistin auf einem Konzertflügel leise Klassik. Das Publikum wird ungeduldig, das ist jetzt zu sanft, zu wenig grell. Sie wird von Bohlen dröhnend unterbrochen. Thomas Gottschalk aber darf nun entscheiden, ob sie, die Pianistin, doch eine Runde weiterkommt. Er sagt: „Das war elegisch.“ Überlegt lange. Nachdenklicher Thomas. Und sagt dann schließlich, ermattet, Daumen runter: „Du bist zu schade für diese Veranstaltung.“

- Unser Autor Lucas Vogelsang arbeitete von November 2011 bis März 2012 in der Redaktion von „Gottschalk Live“.

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