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Michael Born, hier auf einem Bild von 1996, gilt als „Konrad Kujau des Fernsehens“. In seinen vermeintlichen „Dokumentarfilmen“ für „stern TV“, „Spiegel TV“ und andere hatte er unter anderem Szenen zu Kinderarbeit in Indien und zu einem Ku-Klux-Klan-Treffen gefälscht. Heute lebt der 58-Jährige in Griechenland.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

TV-Fälscher Born über Fake News: "Man nennt das auch Volksverdummung"

Michael Born saß mehrere Jahre im Gefängnis, weil er Fake News fürs Fernsehen produziert hat. Sein Vertrauen in die Sender hat seitdem nicht zugenommen.

Herr Born, mit ihren Dokumentarfilmen haben sie ohne Zweifel Mediengeschichte geschrieben, lange bevor das Wort Fake News in aller Munde war. Was denken Sie, wenn man Sie sogar als Vater der Fake News bezeichnet?

Das mit der Vaterschaft ist vielleicht etwas zu viel der Ehre. An Fake News haben schon einige Generationen vor mir gebastelt. Aber tatsächlich bietet die digitale Variante Möglichkeiten, die wir nicht zu träumen wagten. Vom Internet mal ganz zu schweigen. Sicher ist: Wir waren die letzten echten Handwerker. Mit den heutigen Möglichkeiten lässt sich praktisch alles machen. Journalistische Standards gibt es praktisch nicht mehr. Die Strafe, die ich bekam, machte Sinn. Das letztliche Resultat ist erschreckend

Inwiefern?

Der Richter stellte mit Bedauern fest, dass nur der freie Journalist für Fakes bestraft werden könne. Sender und festangestellte Redakteure aber nicht, denn zwischen Sender und Zuschauer findet keine Vermögensverfügung statt, und die ist Voraussetzung für den Betrugsparagrafen. Allerdings findet die Irrtumserregung zwischen Sender und Zuschauer sehr wohl statt. Dies aber alleine lässt keine Anklage zu. Im Klartext ein Freibrief für die Sender. Sie sind praktisch nur noch ihrer Quote verpflichtet, aber nicht mehr der Wahrheit.

Warum haben Sie über 30 gefälschte Filme in den 90er Jahren an TV-Magazine verkauft?

Es ging recht harmlos los. Hier mal eine Kleinigkeit getrickst, da mal was aus dem Archiv genommen. Die richtigen Fakes begannen, wenn wir politisch etwas erreichen wollten. Anti-Nazifilme wie den Ku-Klux-Klan-Film oder den Film über Bomben an der türkischen Küste zum Beispiel. Das waren auch die beiden Filme mit den größten Auswirkungen. Der Bombenfilm führte später zu erheblichen Konflikten zwischen Griechenland und der Türkei. Die Türken wollten einfach nicht glauben, dass wir solch einen Film alleine auf die Beine gestellt hatten und vermuteten den griechischen Geheimdienst dahinter.

Aber warum die Fälschungen?

Die Gründe waren simpel. Diese beiden Filme waren top recherchiert. Wir besuchten Neonazis in den USA, die gaben uns Namen und Adressen in Deutschland. Wir trafen und filmten diese Leute. Den Redakteuren wollte einfach nicht in den Kopf, dass diese Leute in Deutschland ohne Kutten herumspazierten. Um den Film zu versenden, verpassten wir ihnen welche. Wer diese Fälschung nicht erkannte, wollte sie nicht erkennen oder sein Bildungsstandard war umgekehrt proportional zu seiner Bezahlung. Mit dem Film über PKK-Bomben an der türkischen Küste sah die Sache anders aus. Selbst der Türkei-Experte der „Süddeutschen Zeitung“ war fest davon überzeugt, dass dieser Film authentisch war. Authentisch aber waren nur die Anschlagsziele, und das vor den Anschlägen. Der Rest war in Griechenland gestellt, weil wir alle wegen unserer Reportagen über das Kurdenproblem nicht mehr in die Türkei einreisen durften.

Mit seinen Fälschungen [...] hat er die Strukturen der medialen Manipulationen und deren Möglichkeiten aufgezeigt. So einer Person sollte über den Weg durch den Knast die Tür zum Bundesverdienstkreuz offen stehen.

schreibt NutzerIn graefekiez

Aber Humor war wohl auch im Spiel?

Ja, mit einigen Beiträgen haben wir uns einfach lustig gemacht über die Verantwortlichen in den Sendern. Wir wollten austesten, wie weit wir gehen können, bevor irgendjemand Halt ruft. Ich denke da an Filme wie die Krötenlecker. Es ging um Kröten als neue Droge, die Deutschland überschwemmt. Da sich Günther Jauch (damals Chefredakteur von „stern TV“) in seiner Moderation neben ein Terrarium mit zwei Kröten stellte, und die Welt von diesem neuen Drogenproblem informierte, haben wir beschlossen, die eigens dafür angeschaffte Sonorkröte „Günther“ zu taufen. Wir waren überzeugt, wir könnten ihnen auch eine bemannte russische Marslandung unterjubeln. Die Vorbereitungen liefen schon. Das ganze Ausmaß unserer Fälschungen brachte der Prozess nicht ans Tageslicht. Aber was er ans Licht brachte, war die Tatsache, dass die Sender es mit der Wahrheit auch nicht so genau nahmen. Aber, wie schon gesagt, das ist straffrei.

Was haben Sie nach Ihrer Haftentlassung getan?

Von den vier Jahren Haft habe ich nur zwei absitzen müssen. Schon als Freigänger habe ich wieder mit der Kamera gearbeitet, und, was habe ich gedreht? Wieder Fälschungen, aber diesmal für Quizshows. Unter anderem für „Wahr oder Falsch“ im Mittagsmagazin von ProSieben und für RTL 2 „X-Faktor Wahre Lügen“. Natürlich ist das auf Dauer langweilig, immer nur Ideen für Fakes zu entwickeln. Dann haben wir es einfach mal umgedreht gemacht. Wahre Geschichten als falsche verkauft.

"Ich kann garantiert ungefakten Ziegenkäse anbieten"

Und Sie leben heute in Griechenland.

2003 bin ich endgültig dorthin ausgewandert. Der letzte Hort der Anarchie in Europa. Das Maß an Freiheit, welches man hier genießt, übersteigt europäisches Mittelmaß. Sie können den Griechen alles nehmen, aber um Gottes Willen nicht ihre Freiheit. Hier drehe ich Werbefilme unter anderem für Lidl Griechenland und für die Tourismus-Industrie, schreibe Drehbücher und bin Bauer aus Leidenschaft. Garantiert nicht gefakten Ziegenkäse kann ich bieten.

Was würden Sie heutzutage zu Günther Jauch sagen?

Er soll um Himmels willen vernünftigen Wein auf seinem Gut produzieren und bloß die Finger von politischen Magazinen lassen. Frührente ist angesagt.

Wie beurteilen Sie die Gefahr durch Fake News heute, auch mit Blick auf die Bundestagswahl?

Schon heute ist aus Information Infotainment geworden. Und das betrifft nicht nur die privaten TV-Programme. Konnte man ja deutlich im amerikanischen Wahlkampf beobachten. Ich habe die Befürchtung, dass es in Deutschland nicht anders laufen wird. Nachrichten müssen amüsant sein, ist das Motto, und sie müssen einem bestimmten Zweck dienen. Sie müssen nur bewusst die verschiedenen Programme anschauen. Jeder Sender versucht die eigenen politischen Tendenzen, je nach Besitzer, dem Zuschauer zu „vermitteln“. Das geht zulasten der Wahrheit. Passt die nämlich nicht, dann wird sie passend gemacht. Man strickt sich eine Welt, die ins eigene Weltbild passt. Das ging ja schon los mit scripted reality. Man nennt das auch Volksverdummung.

Was fordern Sie im Hinblick auf Fake News?

Dass wir eine Fälschung auf 100 Meter vom Bildschirm aus erkennen können. Das ergibt sich auch aus unserer Geschichte. 1998 habe ich einmal probeweise Lesungen an der Universität in Trier gegeben und anhand von Material vermittelt, wie man eine Fälschung erkennen kann. Kameraführung etc.pp. Das ist durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen. Eine gute Idee wäre natürlich, den Weg umgekehrt zu beschreiten, und für Sender Beiträge zu prüfen. Ich befürchte allerdings, dass keine Sendeanstalt Wert darauf legt. Die stellen sich doch nicht selbst an die Wand.

Was schauen Sie, wenn Sie heutzutage fernsehen?

Was ich mir hauptsächlich anschaue, ist der Knopf zum Abschalten. Ich weiß warum. Und wenn doch Fernsehen, dann Elefanten, Krokodile und Naturdokus. Da ist mir dann auch egal, dass auch das nicht fälschungsfrei abgeht. Ein mir bekannter Naturfilmer erklärte mir mal, wie man eine Vogelkolonie dazu bringt, gleichzeitig für die Kamera abzuheben. Na, haben sie eine Idee? Mit Silvesterkrachern!

Das Interview führte Stefan Meyer.

Stefan Meyer

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