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TV-Film: Drehbuch des Schreckens

Der Arte-Film „Die Wannseekonferenz“ basiert auf den Originalprotokollen von 1942

Kenneth Branagh, der britische Schauspieler und Regisseur von Shakespeare-Verfilmungen, ist in Deutschland unter anderem als Kommissar Kurt Wallander in drei neueren Henning-Mankell-Krimis sowie als selbstverliebter Zauberlehrer Gilderoy Lockhart aus dem zweiten Harry-Potter-Film bekannt. Sein sonst so gewinnendes Lächelns gefriert allerdings in der Rolle, die er in der britisch-amerikanischen TV-Produktion „Die Wannseekonferenz“ verkörpert: Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Reichsprotektor für Böhmen und Mähren und Organisator des industriellen Genozids an Europas Juden.

Der Film „Die Wannseekonferenz“, den Arte an diesem Freitag ausstrahlt (Drehbuch Loring Mandel, Regie Frank Pierson), kombiniert die Konferenzprotokolle, die 1947 nach Kriegsende im Auswärtigen Amt gefunden wurden, mit den Ergebnissen jüngerer Forschungen. Demnach nutzte Heydrich die Konferenz am 20. Januar 1942 nicht nur dazu, die völlige Auslöschung der Juden in Europa zu beschließen. Zudem setzte Heydrich am Wannsee den alleinigen Führungsanspruch der SS unter anderem gegenüber der Reichskanzlei und der nationalsozialistischen Partei sowie der Ministerialbürokratie durch.

Die Wannseekonferenz war bereits 1984 mit Dietrich Mattausch als Reinhard Heydrich verfilmt worden. Der Film erhielt neben einem Adolf-Grimme-Preis mehrere internationale Auszeichnungen. Regisseur Heinz Schirk blieb strenger als Pierson bei den Protokollen, dennoch gibt es zwischen den beiden Filmen starke Ähnlichkeiten. Auch die Neuverfilmung von 2001 beginnt damit, wie Teppiche ausgerollt, Gläser geputzt und Platzkarten geschrieben werden.

Was dann folgte, sprengt jedoch den Rahmen jeder Vorstellungskraft. Die Wannseekonferenz, so sachlich, nüchtern, bürokratisch, wie sie Adolf Eichmann organisiert hat („Steno-Bänder für zwei Stunden sollten reichen“), ist eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte. Die von Heydrich geforderte „Evakuierung“ war nichts weniger als der industrielle Massenmord an den Juden. 2500 pro Stunde, 60 000 am Tag, über 20 Millionen im Jahr seien möglich, führte Eichmann aus. Dabei lässt der Film keinen Zweifel daran, dass alle 15 anwesenden NS-Entscheidungsträger die Vernichtung der Juden unterstützten. Der Produktion von BBC und HBO ist es dabei gelungen, dennoch die unterschiedlichen Charaktere hinter den Akteuren der Vernichtung herauszuarbeiten. Der fette Parteibonze Dr. Gerhard Klopfer (Ian Mc Neice), der im Auftrag von Martin Bormann an der Konferenz teilnimmt, interessiert sich in erster Linie für Bier und Nürnberger Würstchen. Der indigniert dreinblickende Ministerialbürokrat Friedrich Wilhelm Kritzinger (David Threlfall) beugt sich kleinlaut Heydrichs Drohungen, welche Konsequenzen eine Auflehnung gegen dessen Machtanspruch nach sich ziehen würde. Der SS-Mann Rudolf Lange (Barnaby Kay), der in Lettland für die Erschießung von 30 000 Juden verantwortlich ist, berichtet über die negativen Auswirkungen der Massenerschießungen auf die Moral der Truppe und sieht in den geplanten Vernichtungslagern eine Entlastung. Am gespenstischsten ist Wilhelm Stuckart (Colin Firth) vom Reichsinnenministerium. Er hat die Nürnberger Gesetze gegen die Juden entworfen und sorgt sich nun um die Stellung der Justiz.

Sie alle folgen Reinhard Heydrich. So richtig scheint es nicht zu passen, dass Heydrich durch Kenneth Branagh ein menschliches Antlitz bekommt. Das kann Branagh freilich nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil: Für seine schauspielerische Leistung erhielt er zu Recht einen Emmy Award. Kurt Sagatz

„Die Wannseekonferenz“, 20 Uhr 15, Arte

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