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Extrovertiert, introvertiert. Carla (Mia Kasalo) muss mit der Freundin alles bequatschen.

© ZDF und Britta Krehl

TV-Filme zur Pubertät: Wenn die Hormone Teilchenbeschleuniger spielen

Zwei Mal Teenager: ZDF-Serie „Das Pubertier“ und der ARD-Film „Der Sohn“. Manchmal wünscht man sich in die heile Pubertätswelt von „Hanni & Nanni“ zurück.

Wer nie so werden wollte wie seine Eltern und eigene Kinder kriegt, erschrickt eher früher als später furchtbar vor sich selbst. Auch dem coolsten Dad entfährt am Frühstückstisch irgendwann ein zünftiges „Iss ordentlich!“, wenn der Nachwuchs genervt im Müsli stochert, gern dicht gefolgt vom militärischen „Zack, Zack!“ der sonst so lässigen Mum, falls das Anziehen der Schuhe noch länger dauert als das Zähneputzen zuvor. Auch Jan Maybacher hätte es vor gar nicht langer Zeit weit von sich gewiesen, je einen Satz wie „Na warte, Fräulein“ durchs Eigenheim zu pöbeln, sobald die Tochter nicht spurt. Dass er es dennoch tut, ist allerdings kein Wunder. Carla ist kein gewöhnliches Mädchen. Nicht mehr. Sie ist „Das Pubertier“.

So heißt die Serie, in der das ZDF von Donnerstag an sehr humorvoll sondiert, was Pubertät aus Betroffenen aller Altersstufen machen kann. Sollte die Adaption von Jan Weilers Bestseller nur ein Fünkchen Wahrheit enthalten, müsste das Fazit nach den ersten zwei Folgen lauten: körperliche, seelische, soziale Wracks auf dem Sprung in die Psychiatrie. Schon der Einstieg gleicht mehr einem Schlachtfeld als der Mittelschicht. Jan, in seiner erzieherischen Inkompetenz wunderbar wankelmütig gespielt von Pasquale Aleardi, und seine Frau Sara, scheinresolut verkörpert von Chiara Schoras, packt schon beim Gedanken, die Tochter nur wecken zu müssen, das Grauen.

Makatsch und Liefers fest im Griff ihrer Filmtochter

Denn seit die Hormone im Teenager Teilchenbeschleuniger spielen, lebt die Vierzehnjährige in ihrer übellaunigen, für Erwachsene unverdaulichen Welt. Sie besteht aus Freundinnen, Smartphone, Jungs, Smartphone, Pennen, Smartphone und einigen Promille Daseinsbewältigung wie Essen oder Schule. Die Eltern dagegen? Störfaktoren! Dieses Extrem spielt die junge Mia Kasalo mit so liebenswerter Aggressivität, dass die TV-Fassung beinah an Leander Haußmanns gleichnamige Kinoversion heranreicht, in der sich Heike Makatsch und Jan Josef Liefers fest im Griff ihrer Filmtochter befinden.

Die Pubertät als heillos überdrehte, gern ulkige, durchaus glaubhafte Eskalationsspirale – das ist trotz doppelter Verfilmung neu. Bislang wurde dieser rätselhafteste aller Entwicklungszyklen auf Leinwand und Bildschirm vernachlässigt. Bis tief in die Siebzigerjahre kamen die Begleiterscheinungen anbrechender Geschlechtsreife kaum vor. Jugendliche waren entweder artig oder eben nicht, was abstrakt mit dem Alter, nie der Sexualität erklärt wurde. Erst die französische Coming-of-Age-Komödie „La Boum“ ließ Sophie Marceau 1980 ungeschützt im Hormoncocktail baden, während „Neues aus Uhlenbusch“ die Heranwachsenden im ZDF zumindest ansatzweise ernst nahm.

Ansonsten gibt es abgesehen von Ausnahmen wie Hannah Hollingers schöner Patchworkfamilienserie „Aus heiterem Himmel“ (1995-99) fiktional bis jetzt vor allem zwei Sorten Teenager: Den ulkigen Freak, wie ihn David Faustino ab 1987 seine halbe Jugend hindurch in der US-Sitcom „Eine schrecklich nette Familie“ prägte. Oder die introvertierte Zeitbombe, mit der Jonas Nay vor sechs Jahren in Kilian Riedhofs preisgekröntem „Homevideo“ zum deutschen Fernsehstar wurde.

Stefan (Nino Böhlau) versteckt sich in seiner eigenen Welt.
Stefan (Nino Böhlau) versteckt sich in seiner eigenen Welt.

© NDR/Marion von der Mehden

Darauf muss sein Kollege Nino Böhlau zwar noch ein wenig warten; den passenden Rollentypus jedoch spielt der erfahrene Nachwuchsdarsteller bereits heute. In Urs Eggers ARD-Film „Der Sohn“ am Mittwoch beschreibt er seine Alterskohorte nicht als lustiges Pubertier, sondern als schwer asthmatischen Sonderling, der sich daheim an Vergewaltigungspornografie aufgeilt und draußen am Straßenstrich. Die Existenz des Sechzehnjährigen ist derart zerrüttet, das Stefan aus Sicht der eigenen Helikopter-Mum (Mina Tander) sogar als Täter einer Frauenmordserie infrage kommt.

Die sendeplatzübliche Sozialkritik wird so melodramatisch in Pathos erstickt, dass man sich instinktiv in die heile Pubertätswelt von „Hanni & Nanni“ bis „Bibi & Tina“ wünscht. Oder besser noch: zu einem Film wie „Die Konfirmation“. Dank Beate Langmaacks schlüssigem Drehbuch drehte der Beitrag zur diesjährigen ARD-Themenwoche „Glauben“ die Täterrolle endlich mal um und machte den revoltierenden Sohn zum Opfer seiner krampfhaft modernen Eltern, die fast hysterisch darauf reagieren, als Ben gegen ihren Willen religiös wird.

So eine Verschiebung gibt es sonst nur gelegentlich mal im Kinderfernsehen. Sie trägt dann Titel wie „Mama ist unmöglich“. Und Papa auch. Nach dem Fund eines Schwangerschaftstests jedenfalls hat Jan Maybacher fälschlicherweise Carla in Verdacht und macht sich vor ihrem Freund zum Affen.

„Der Sohn“, ARD, am Mittwoch um 20 Uhr 15; „Das Pubertier“, ZDF, am Donnerstag um 20 Uhr 15

Jan Freitag

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