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Sawatzki

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TV-Krimi: Alle Lust will Ewigkeit

Das an diesem Sonntag laufende Sozialdrama "Der frühe Abschied" über überforderte junge Eltern gehörte zu den Besten aus 2008. Retortenkrimi – warum sich "Tatort"-Wiederholungen im Sommer lohnen.

Goethe beschreibt in „Dichtung und Wahrheit“, erster Teil, ein besonderes Erlebnis: Er ritt als junger Mann durch eine Landschaft und sah sich für einen Moment selbst auf einem Pferd entgegenreiten – als älterer Mann und in anderen Kleidern. Einige Jahre später ritt er zufällig durch die gleiche Gegend und erinnerte sich plötzlich an das Erlebnis und bemerkte, dass er exakt die Kleider trug wie bei dem inneren Bild, das er damals gesehen hatte.

Diese Episode gilt als klassisches Beispiel für ein Déjà-vu-Ereignis, jenes Gefühl, eine an sich völlig neue Situation schon einmal exakt so erlebt, gesehen oder geträumt zu haben. Manchem „Tatort“–Fan sollte man mit solch’ schönen Erklärungsversuchen für Wiedergesehenes lieber nicht kommen. Sonntag für Sonntag wird ihm zurzeit sein Lieblingskrimi aus der Retorte vorgesetzt, noch bis zum 23. August. Erst dann geht es wieder auf völlig neue Mörderjagden, den Anfang dürfen die beiden Kölner Ermittler machen.

So gut ausgewählt die „Tatort“-Wiederholungen zur Primetime auch sein mögen, – das an diesem Sonntag laufende Sozialdrama „Der frühe Abschied“ über überforderte junge Eltern am Sonntagabend mit den Frankfurter Ermittlern Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf gehörte zu den Besten aus 2008 – „Tatort“-Koordinator Gebhard Henke muss sich öfters zum leidigen Wiederholungsthema äußern. Der WDR-Fernsehspielchef hat jüngst wieder in einem Interview Wert darauf gelegt, dass der „Tatort“ „ein hochwertiges, gut gemachtes, teures Produkt“ sei. Wenn ein Film 25 Prozent Sehbeteiligung habe, heißt das ja, 75 Prozent hätten ihn noch gar nicht gesehen.

Dagegen ist wenig zu sagen. Eine zweite Chance für „Satisfaktion“ (2007), „Schwelbrand“ (2007) und den „Schimanski: Sünde“ (2005) vom vergangenen Sonntag. Münster mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers, Bremen mit Sabine Postel und Oliver Mommsen, „Schimmi“ Götz George – die „Tatort“-Wiederholungen dieses Sommers sagen vieles über die Wertschätzung aus, die diese Regionen genießen. Den schrägen Münsteraner „Tatort“ sahen 6,8 Millionen überwiegend junge Zuschauer, fast 22 Prozent Marktanteil. Die Bremer Kommissarin Inga Lürsen musste sich eine Woche später allerdings quotenmäßig „Rosamunde Pilcher“ im ZDF geschlagen geben und bot neues Futter für die Kritiker vom Boulevard: „Gähn-TV“, immer diese Wiederholungen, von unseren Gebührengeldern, hieß es dort. Diesen Vorwurf kann Gebhard Henke nicht mehr hören. Die ARD hat einfach nicht genügend neue „Tatort“-Ausgaben, um alle Sonntage mit Erstausstrahlungen bestücken zu können. Jährlich werden 37 „Tatorte“ und neun „Polizeiruf“-Filme produziert. Bleiben sechs Wochen im Juli und August aus der Konserve, mit Krimis, die zwischen zwei und fünf Jahren alt sind. Stichwort Zeitgenossenschaft. „Tatort“-Klassiker wie „Reifeprüfung“ laufen in der Woche spät abends im Dritten.

Man kann die Sache mit den Wiederholungen auch so sehen: Es gibt keine neuen Gründe für Gebührenerhöhungen, und eingefleischte „Tatort“-Fans haben wochenlang Gelegenheit, über ihren Sonntagabend mal etwas freier zu verfügen. Goethes „Dichtung und Wahrheit“ zum Beispiel, ein gutes Buch. Und irgendwie vermitteln ja selbst die Wiederholungen noch dieses eigenartig-schöne Déjà-vu-Gefühl, als hätte es den „Tatort“ schon immer gegeben, zumindest für die Generationen, die in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen sind. Und wird es immer geben. Deswegen schaltet man ihn ja auch sonntagabends ein.

„Tatort: Der frühe Abschied“,

ARD, 20 Uhr 15

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