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Talkgastgeberin Anne Will

© dpa

TV-Kritik zu "Anne Will": Bautzen steht nicht für Deutschland

In Berlin war Wahl. Die ARD-Talkshow aber diskutierte über Gewalt zwischen Flüchtlingen und Rechten in Ostsachsen.

Nicht überall in Berlin tobte am Sonntag der Wahlbär. In Adlershof, im Talkshowstudio von "Anne Will" hatte sich eine Runde eingefunden, die sich lieber um Ostsachsen kümmerte. "Eskalation in Bautzen – Was steckt dahinter?" war das aufgegebene Thema. Dazu eingeladen war auch Alexander Ahrens, der parteilose Oberbürgermeister. Er rekapitulierte die Vorgänge, die in der vergangenen Woche in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Rechtsextremen kulminierten. Und zu Ausgangssperre und Alkoholverbot für die Flüchtlinge führten.

Für Moderatorin Will war das offensichtlich der zentrale Punkt, die erste Hälfte der 60 Minuten drehte sich nur um die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen, unterlegt mit dem Vorwurf, dass Sachsens Behörden die Flüchtlinge in Regress nehmen, während die Rechtsextremen ungestraft neue Mobilisierung ankündigen können.

Jakob Augstein, die Antifa-Sirene

Schon war der Talk in Schieflage geraten, zu mikroskopisch die Perspektive, verhaftet im Kleinklima von Bautzen. Zeitweise hätte diese Ausgabe von "Anne Will" besser ins MDR-Fernsehen gepasst als ins nationale ARD-Programm. Was auch daran lag, dass sich die Debattenqualität aufs Fingerzeigen reduzierte. Der Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke zeigte auf Michael Kretschmer, den Generalsekretär der Sachsen-CDU, weil dessen Partei bei rechter Gewalt zu lange weggeschaut habe.

Kretschmer wieder unterschied zwischen "guten" Flüchtlingen, die bleiben sollen, und "schlechten" Flüchtlingen, die abgeschoben gehörten.

Der Journalist und „Freitag“-Verleger Jakob Augstein zeigte wieder auf Kretschmer. Augstein wird von der „Will“-Redaktion gerne eingeladen, weil er leistet, was die Moderatorin nicht leisten will: Attacke. Augstein, ein wahrhaftiger Vertreter des Justemilieu im deutschen Journalismus, gab und gibt verlässlich die Antifa-Sirene. Dabei wäre es echte Überraschung, wenn ein Rassist mit dem Zeigefinger bekehrt werden könnte.

Die Talkstunde hat sich zu lange auf die Identifizierung des Problems in Bautzen konzentriert. Wobei der besonnene Oberbürgermeister Ahrens der Sendung erkennbar gut tat. Wo andere in der Runde ferndiagnostisch unterwegs waren, da war der Augen- und Ohrenzeuge Ahrens quasi der Lackmustest für all die Maßnahmen, die jetzt und künftig in Bautzen greifen sollen. Wundermittel sind nicht drunter, nur gehofft werden kann, dass die angekündigten Lösungen auch zum Problem passen.

Ehrenämtler werden angegangen

Für die angemessene Dimensionierung des Symptoms "Bautzen" wäre es eine prima Idee, wenn die Runde eine Bemerkung von Manuela Schwesig, der SPD-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, aufgegriffen hätte. Laut Schwesig werden mittlerweile in ganz Deutschland Menschen, die via Ehrenamt Flüchtlingen helfen, angegangen. Ist es soweit, hat sich die Willkommenskultur schon in eine Nichtwillkommenskultur verwandelt? Wenn das stimmen sollte, sind Ausgangssperre und Alkoholverbot die kleinsten Stücke im großen Puzzle von Flüchtlings-Deutschland. Sollte die Talk-Redaktion mal recherchieren.

Moderatorin Anne Will ließ die Auseinandersetzungen in Bautzen von allen Seiten beleuchten und beäugen. Sie musste keinen Streit schlichten und das Gespräch nicht befeuern. Ist eine Leistung, keine Frage, und doch einer Kritik wert, weil der Themenfokus zu eng gewählt war. Da hätte man auch die Eskalation der Wahlergebnisse in Berlin diskutieren können.

Immerhin wurde Kanzlerin Angela Merkel an diesem Abend nicht schuldig gesprochen.

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