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Talkgastgeberin Anne Will

© dpa

TV-Talk "Anne Will" zu Trump: Viel Empörung, wenig Erkenntnis

Ob die "Trumpokratie" in den USA eine Gefahr für die Welt sei, wollte Anne Will von ihren Gästen wissen. Es gab Beunruhigendes zu hören, aber nach Ursachensuche war keinem zumute.

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Martin Luther wollte volkstümlich klingen, als er die Bibelstelle aus dem Matthäus-Evangelium so übersetzte. Gemeint war: Wer aufgeregt ist, redet sich gern in Rage. Das Herz ist auch heute vielen voll. Lustvoll wird gerichtet, gewütet, polemisiert. Wenn’s der politische Gegner macht, heißt das Populismus. Tut man’s selber, zeigt man klare Kante.

Seit Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, steht klare Kante wieder ganz hoch im Kurs. Zunächst bei Trump selbst, exemplarisch gezeigt in seiner Antrittsrede. Dann bei seinen Kritikern, die nicht minder wortgewaltig den Untergang des Abendlandes wittern. Wahlweise auch des Westens, der Demokratie, des Liberalismus, der Rechtsstaatlichkeit. Bei Anne Will gab es reichlich davon. Die Frage lautete: „Die Trumpokratie - Eine Gefahr für die freie Welt?“ Und von wenigen Nuancen abgesehen hieß die Antwort, kurz und bündig: Ja.

Ein bedachter Mann wie der Historiker Heinrich August Winkler sprach von einer „Kampfansage an den Universalismus, an die Herrschaft des Rechts“ und von einem „schleichenden Staatsstreich“. Sylke Tempel, die Chefredakteurin der Zeitschrift „Internationale Politik“, diagnostizierte einen „konsistenten Angriff  auf Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung“. Kaum weniger hart fielen die Urteile von Justizminister Heiko Maas und dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, aus. Allerdings klammerten sie sich an die Resthoffnung, Trump könnte am Ende einer „steilen Lernkurve“ womöglich zur Räson kommen.

Suche nach Ursachen blieb aus

Der einzige Trump-Sympathisant in der ansonsten ziemlich homogenen Runde, der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Max Otte, zitierte zwar den Vorwurf eines „hyperventilierenden Journalismus“ und wies darauf hin, dass Trump die Wahl nun mal demokratisch einwandfrei gewonnen habe, er blieb aber mit solchen Einwürfen zu blass, um daraus eine echte Diskussion entstehen zu lassen.

Garniert schließlich wurde das Entsetzen mit ein paar Anekdoten über Trumps rechten Chefideologen, Stephen Bannon, den „Darth Vader“ im Weißen Haus. Bannon ist für Trump-Kritiker ungefähr in dem Maße der Inbegriff des Bösen, wie es für Trump und die Seinen die Mainstream-Medien sind.

Auch Anne Will schaffte es trotz tapferer Versuche nicht, die allgemeine Empörung in Erkenntnisgewinne umzuwandeln. Laut Umfrage unterstützen 49 Prozent der Amerikaner das umstrittene Einreiseverbot. Und überhaupt: Könnte Trumps radikale Ablehnung des Establishments, die ihn letztlich bis ins Weiße Haus getragen hat, nicht auch der Anstoß für eine politische Neuordnung sein?

Doch nach vertiefter Ursachenforschung war den Gästen nicht zumute. Winkler und Maas erklärten wortgleich: „Da müssen wir uns fragen, was wir falsch gemacht haben.“ Lambsdorff pflichtete bei: „Unsere Debatten haben mit der Realität da draußen oft nichts zu tun.“ Und Tempel empfahl, „Politik besser zu kommunizieren“.

Kein Wort über einen islamistischen Terror, der seit dem 11. September 2001 längst auch in Europa tobt, über zwei so blutige wie teure, aber womöglich sinnlose Kriege in Afghanistan und dem Irak, über eine globale Finanzkrise, die Billionen an Steuergeldern verschlungen und die Welt an den Rand des ökonomischen Abgrund geführt hat. Könnte es nicht sein, dass eruptive Politik auch eine Folge von Eruptionen in der Politik ist? Darüber hoffentlich bald mehr. Denn eines bleibt seit Trump gewiss: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

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