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Im Schutz von Al Dschasira und Facebook schläft ein Demonstrant während der Proteste am Tahrir-Platz in Kairo. Foto: AFP

© AFP

Umbruch im Programm: Revolution live

Der Nachrichtensender Al Dschasira lässt die Potentaten in der arabischen Welt zittern.

Bis zuletzt spielte Mubaraks Regime mit harten Bandagen. Erst entzog es Al Dschasira die Sendelizenz und machte gezielt Jagd auf seine Reporter. Dann steckte man Büroleiter Abdel Fattah Fayed hinter Gitter. Und schließlich wurde noch das Studio von staatlichen Schlägern komplett verwüstet. Und trotzdem ließ sich der populäre Sender einfach nicht zum Schweigen bringen. Vom ersten bis zum letzten Tag des Umsturzes in Ägypten blieb er auf Sendung – und produzierte damit die erste live übertragene Revolution in der Weltgeschichte. Ohne Unterbrechung gab es Bilder vom Tahrir-Platz, zuletzt gedreht mit kleinen Handkameras und per Handy kommentiert. „Wir haben die Bilder vom Fall der Mauer gesehen, das Niederreißen der Statue von Saddam Hussein, Handyvideos des Massenaufstands im Iran, aber nie zuvor von den Balkonen eines Hochhauses herunter Live-Aufnahmen rund um die Uhr von einem solchen weltgeschichtlichen Umbruch“, schreibt die Kairoer Politologin Sheila Carapico in der Zeitschrift „Foreign Affairs“.

Für Ägypten, genauso wie zuvor in Tunesien oder jetzt in Bahrain, Jemen, Kuwait und Jordanien ist der in Katar ansässige Sender die wichtigste Informationsquelle über die dramatischen Ereignisse im eigenen Land. Fünf Tage hatte das Regime am Nil das Internet komplett lahmgelegt. Mit geballter Propaganda versuchten die staatlichen Sender Al Masria und Nile TV die Demonstranten mal als radikale Islamisten, mal als vom Ausland gesteuerte Agenten zu denunzieren.

Wie das Mubarak-Regime ballen inzwischen alle Potentaten in der arabischen Welt die Fäuste in der Tasche. Kuwait und Marokko ließen die Büros des Senders schließen und zogen alle Akkreditierungen ein, „wegen zahlloser Verstöße gegen die Regeln eines seriösen und verantwortungsvollen Journalismus“, wie es in Rabat zur Begründung hieß. Algerien verweigert den Teams seit Wochen die Pressevisa. Und Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh appellierte an den Emir von Katar, beim Sender zu intervenieren, „um die Lage zu beruhigen und um dessen Provokationen, Verdrehung der Fakten und Übertreibungen“ zu unterbinden.

Doch Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani, der vor kurzem erst die Fußballweltmeisterschaft 2022 für seine ölreiche Halbinsel sichern konnte, gibt dem Sender weiter Rückendeckung, den er weitgehend aus seiner eigenen Tasche finanziert. 1996 gegründet, hat Al Dschasira die politische Berichterstattung in der arabischen Welt revolutioniert. Vorbild für die Gründer war seinerzeit die britische BBC. Zunächst in arabischer Sprache, kam 2006 auch ein englisches Programm hinzu, was vor allem in Afrika und Asien die öffentliche Meinung stark beeinflusst. In der arabischen Welt ist der Sender inzwischen zusammen mit Al Arabiya aus Dubai unbestrittener Platzhirsch, für die Protestierer in Tunis, Kairo, Sanaa und Manama eine Art weltweites Megafon für ihre politischen Forderungen.

Trotz massiver staatlicher Zensur konnte Al Dschasira nicht zuletzt deshalb weiter aus Ägypten senden, weil ein Team in Doha das Programm systematisch mit Amateurvideos aus Youtube und Facebook ergänzte. Gerade diese kontinuierliche Berichterstattung auch in der Nacht, die Sender wie CNN oder BBC World nicht leisteten, habe den Demonstranten „ein gewisses Momentum“ gegeben, sagte Al Dschasiras Generaldirektor Wadah Khanfar im Gespräch mit der „New York Times“. Er sprach sogar von einem neuen Ökosystem, das zwischen herkömmlichen und neuen Medien entstanden sei. „Beide stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich.“ Als sich seine Korrespondenten in Ägypten vor den staatlichen Behörden verstecken mussten, „hatten wir plötzlich tausende Korrespondenten unter den Aktivisten“. Martin Gehlen, Kairo

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