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Medien: Und aller Welt Feind

Die ARD inszeniert die Sage um den Piraten Störtebeker als Fantasy-Abenteuer

Mythen entstehen von selbst; die Erzählfreude der Menschen, ergänzt um ihr Bedürfnis, über Generationen hinweg verbindliche Traditionen zu schaffen, reicht dazu aus. Die offene Frage ist, inwiefern das Fernsehen zur Mythenproduktion beitragen kann. Seine Mittel sind vielfältig, seine Reichweiten groß. Und doch hat es bislang vorwiegend seine eigenen Anfänge mythisiert – die Qualität seiner Mitarbeit an historischen Stoffen, aus Zeiten, in denen es selbst als Medium noch nicht existierte, überzeugt selten.

Nun hat Miguel Alexandre die Geschichte des Klaus Störtebeker fürs Fernsehen inszeniert. Der Seeräuber trieb sein Unwesen gegen Ende des 14. Jahrhunderts, sein Wahlspruch hieß: „Gottes Freund und aller Welt Feind“. Man weiß, wie das Presseheft mitteilt, so gut wie nichts über den Piraten. Für die Fernsehleute ist das prima, denn „was sich der Nachprüfbarkeit entzieht, beflügelt die Phantasie“. Es kam ein Zweiteiler heraus, der das Leben Störtebekers von seiner Kindheit bis zu seiner (dokumentarisch erwiesenen) Enthauptung im Jahre 1400 nachzeichnet.

Vielleicht scheitert das Fernsehen am Mythos, wenn es eine alte Geschichte auf Teufel komm raus jugendaffin zu erzählen versucht. Muss nicht ein mythischer Held, der im Fernsehen zum Leben erwachen soll, erstens von einem Kindheitstrauma gezeichnet sein, zweitens einen Todfeind jagen und drittens eine Liebste haben, die er erst nach schweren Kämpfen und Wirren heimführen darf? Im Fernsehen muss er das. Und so dichtete man dem alten Störtebeker all das flugs an, ohne zu bedenken, dass man damit den unterstellten Erwartungen eines (jungen) Fernsehpublikums entgegenkommt und nicht dem Mythos. „Störtebeker“ wirkt streckenweise wie ein Fantasy-Abenteuer auf dem Computerbildschirm, bei dem die fechtenden, drohenden und grummelnden Figuren ebenso gut dem „Herrn der Ringe“ oder „Warcraft III“ hätten entsprungen sein können, in dem die Plotpoints abgehakt werden wie ein Pflichtprogramm und man am Ende ganz gerne gewusst hätte, wie viel Punkte man erzielt hat.

Dennoch: Es gibt auch echtes (TV-)Leben in diesem Zweiteiler. Das steckt in der Piratenbande und ihren Umtrieben, denen man gern zuschaut, es zeigt sich am Hof der intriganten Königin Margarete von Dänemark (Gudrun Landgrebe) und sogar in den Konspirationen der gravitätischen Ratsherren von der Hanse, die sich zusammenraufen müssen, um der Seeräuberei Herr zu werden. Und schließlich Störtebeker selbst! Ken Duken ist für die Rolle im Grunde zu jung und nicht knorzig genug, aber er macht dieses Manko wett durch sein brillantes Spiel, das körperliche Einsatzfreude mit melancholischem Understatement verbindet. Auch die Ausstattung – gedreht wurde in Litauen – hat wahrhaft gezaubert: die Koggen, die Dörfer, die Häfen, die Höfe – das hat Klasse und entspricht dem Mythos vom im Volk beliebten „Likedeeler“ (= Gleichteiler), der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben, zumindest von der visuellen Seite her. Doch der Plot bleibt Lebendigkeit, bleibt Originalität schuldig. Das gilt auch für die Sprache, die es mit Anachronismen versucht – so fällt der Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – welche aber, anders als wahrscheinlich beabsichtigt, keinen Anschluss ans Heute herstellen, sondern die Illusion zerstören.

Die aber gehört zum Mythos dazu. Es fährt in „Störtebeker“ ja auch kein Motorboot am Strand entlang. Also: Warum macht man sich nicht mal die Mühe und lässt die Leute (annähernd) so reden, wie sie es vor 600 Jahren getan haben? Anschlussfähig an die Jetztzeit wird ein Mythos nicht durch Modernismen, sondern durch den Nachweis, dass sein Geist – der des Freibeuters, des Feindes aller Patrizier, des Likedeelers – immer noch weht, sich mitteilt und Bewunderung weckt.

„Störtebeker“; am heutigen Sonnabend und am Ostersonntag um 20 Uhr 15 in der ARD

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