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Medien: Unter fünfzehn

„Hier fehlt die Show, das ist das Gute“: Die Bundespressekonferenz ist heute nur noch ein Ort unter vielen, an denen Politiker über ihre Politik reden

Alle schon in der Datscha? Freitagmittag, 11 Uhr 30. Im großen, gläsernen Saal der Bundespressekonferenz e.V. – kurz BPK – am Schiffbauerdamm 40 in Berlin-Mitte sitzen: die vierzehn Sprecher der Bundesministerien plus Regierungssprecher Ulrich Wilhelm – und fünfzehn Parlamentskorrespondenten. Doch, wirklich: ein Sprecher pro Journalist. Platz wäre für 200, Mitglieder gibt es rund 900. Die wenigen anderen Zuhörer, die sich an diesem sonnigen Novembertag auf die lichten Sitzreihen verteilen, sind einmalige Gäste; Studenten, Radiojournalisten aus Mittel- und Südamerika. Die dürfen nur zugucken und -hören.

Natürlich, es gibt andere Tage. Dann ist der Glaskasten gerammelt voll, müssen viele stehen. Wenn deutsche Soldaten im Ausland die Totenruhe stören. Wenn ein deutscher Altkanzler einen Job als russischer Energielobbyist annimmt. Oder wenn eine einzige Pressekonferenz (PK) eine Karriere beendet, wie am 20. September 2002, als die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) wegen „Adolf Nazi“ und „George W. Bush “ ins Schlingern geriet. In so einem Moment konzentriert sich die versammelte Medienrepublik im Sitzungssaal der BPK auf einen Menschen, ein Mikrofon.

„Nur weil es uns gibt, haben alle unsere Mitglieder und alle Auslandskorrespondenten jeden Montag-, Mittwoch- und Freitagmittag die Gelegenheit, Fragen an die Ministeriums- und Regierungssprecher zu stellen“, sagt Werner Gößling, ZDF-Journalist und aktueller Vorsitzender der BPK. „Ohne uns hätten die nicht alle die Chance, mehrfach im Jahr der Kanzlerin Fragen zu stellen.“

Das stimmt. Aber derart prominent besetzte Events sind Ausnahmen. Der Alltag sieht anders aus. „Bei den normalen Sitzungen ist nichts mehr los“, beschwert sich ein Reporter einer großen Tageszeitung und langjähriges Mitglied der BPK. In der Bonner Republik hatte der Verein zwar nur halb so viele Mitglieder. Trotzdem sagen alle, die damals schon dabei waren, war bei den Pressekonferenzen am Rhein mehr los. In Berlin verfolgen fast alle Mitglieder das Geschehen wegen des immer stärkeren Zeitdrucks nur noch im Parlamentsfernsehen. Oder gar nicht mehr.

Fürs schnelle Zitat stellen sich die Hauptstadtjournalisten – despektierlich auch als „Meute“ bezeichnet – heute an den östlichen Eingang des Reichstags, da, wo die Dienstwagen vorfahren. Fürs Bild gehen sie zu einem der unzähligen täglichen Termine zwischen Gendarmenmarkt und Brandenburger Tor. Die BPK ist in Berlin nur noch ein Ort unter vielen, an denen Politiker über ihre Politik reden.

Beispiel Fernsehen. Die großen Sender schicken nur dann Reporter zum Schiffbauerdamm, wenn sich jemand von „O-Ton“-Rang die Ehre gibt: Parteivorsitzende, Minister, die Kanzlerin. Deren Sprecher werden, anders als ihre Bonner Vorgänger, heute an kurzen bis sehr kurzen Leinen gehalten. Für die prominenzfixierten Fernsehjournalisten sind sie sowieso uninteressant. Klaus Vater, Sprecher des Gesundheitsministeriums, konnte die geplante Großreform seines Hauses den Sommer und Herbst über noch so schön erklären, die Kameras – auch die öffentlich-rechtlichen – verlangten nach seiner Chefin. Auch wenn Ulla Schmidt nachher das Gleiche sagte wie er. Nur umständlicher.

Sicher, offiziell sind auch die Fernsehleute voll des Lobes. „Die Bundespressekonferenz ist ein Ritual der Stabilität“, schwärmt Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios. Ihre Termine seien „ eine Gegentendenz zur zunehmenden Jagd nach Exklusivmeldungen“. Aber was Frey nicht sagt, ist, dass das Fernsehen am lautesten zur Jagd bläst. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Sender heutzutage gerne die Quellen der Exklusivmeldungen von Printkollegen „wegrecherchieren“. Dazu braucht es nur einen morgendlichen Anruf: „Können Sie als Sprecher des Verbandes ,A‘ den Bericht aus der Zeitung ,B‘ bestätigen, die ihren Vorsitzenden mit den Worten ,C, D, E‘ zitiert?“ Lautet die Antwort „Ja“, ist später in den Nachrichten von dem Blatt, das alles recherchiert hat, keine Rede mehr. „Der Konkurrenzkampf um exklusive Nachrichten hat enorm zugenommen“, sagt Regierungssprecher Wilhelm.

Hauptstadtjournalismus – auch Tissy Bruns kann davon ein Lied singen. Die frühere BPK-Vorsitzende arbeitet heute als leitende Redakteurin im Parlamentsbüro des Tagesspiegels. Für sie ist die BPK, in deren Konferenzsaal sie von ihrem Büro aus direkt reingucken kann, eine „Institution für soliden Journalismus im immer lauteren Medienrauschen“ des politischen Berlins. Das Tempo, die „Exklusivitis“ und die zunehmende Ellenbogenmentalität haben ihr zufolge zu einem allgemeinen Misstrauen zwischen Politikern und Journalisten geführt. Hieß es früher „unter drei“ – vertraulich! –, hätten sich alle daran gehalten. Heute traue sich leider kaum noch ein Politiker, „laut zu denken“. Viele bedienten den Medienhunger nach Zitaten und Statements stattdessen mit einem allgemeinen „Flachsprech“ ohne Informationsgehalt.

Für Friedrich Nowottny begann der Abstieg der BPK mit der Wahl Gerhard Schröders zum Bundeskanzler. Als „Vorbeilaufinterviews“ bezeichnet der frühere WDR-Intendant und langjährige ARD-Chefkorrespondent Schröders damals noch neuartigen Kommunikationsstil: „Wann immer der Herr Bundeskanzler etwas zu sagen hatte – und wann war das nicht der Fall? –, hat er in ein Mikrofon gesprochen.“ Nowottny lacht. Es klingt nicht fröhlich. „Denken Sie an den armen Bela Anda. Dessen Überflüssigkeit wurde durch das Mitteilungsbedürfnis seines Chefs permanent dokumentiert.“ Schröders Amtsnachfolgerin habe in Ulrich Wilhelm zwar einen „brauchbaren“ Regierungssprecher. In puncto professioneller Eigen-PR stünde sie Schröder aber in nichts nach, so Nowottny. Ihr „Tanzplatz“ falle bloß staatstragender aus: „Frau Merkel hat gerne unseren schönen Bundesadler mit im Bild.“

„Unter eins“, also zitierbar, sagt niemand, der aktuell dazugehört, dass er an der BPK ernsthaft etwas auszusetzen hat. Der Respekt ist groß, immer noch. Seit ihrem Gründungsaufruf am 15. September 1949, dem Tag der Wahl Konrad Adenauers zum Kanzler, zählt die BPK zu den bundesrepublikanischen Institutionen. Toll, sagen ihre Mitglieder, auch die, die sich kaum noch dort blicken lassen. Dass sie, die Journalisten, hier Regie führen. Dass sie die Politiker einladen, nicht umgekehrt. Dass sie die Regeln festlegen. Jedes Mitglied kann fragen. Jede Frage. An jeden Regierungssprecher.

Wo sonst auf der Welt gibt es so etwas?

Günter Bannas, Berliner Bürochef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, kennt die BPK schon aus Bonner Zeiten. Fragt man ihn, was er nach 25 Jahren als politischer Journalist noch an ihr schätzt, erhält man eine positive, aber nüchterne Antwort. Polit-PR und Parteipolitik gebe es dort auch. Aber: „Hier fehlt die Show, das ist das Gute.“

Eine Gruppe von Journalisten fehlt übrigens bei keiner Regierungs-PK: die vom Radio. Der nachrichtliche Hörfunk, im streng hierarchisierten Sozialsystem der Berliner Medien weit unten angesiedelt, ist auf die O-Töne von hier schlichtweg angewiesen. Stichwort Exklusivität: Wenn Politiker eine Information „platzieren“ wollen, gehen sie damit ins Fernsehen, zum „Spiegel“ oder zu einer der großen Zeitungen. „Für Radiojournalisten wird es immer schwieriger, exklusive O-Töne zu bekommen“, sagt Ulrike Bieritz, Radiokorrespondentin vom RBB. Die BPK-Mitschnitte seien oft „das Einzige, was der Hörfunk kriegt“.

Ob die Bundespressekonferenz eine Zukunft hat? „Das will ich doch schwer hoffen“, sagt Bieritz, „sonst können wir einpacken.“ Pause. „Wir alle.“

Marc Felix Serrao

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