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Den Titel als größten Informationsverhinderer haben sich nach Meinung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche die Fifa und ihr Präsident Sepp Blatter verdient. Der Verleihung der „Verschlossenen Auster“ blieb der Weltfußballverband allerdings fern. Foto: rtr

© REUTERS

Unter Kollegen: „Wir wollen die Gräben zuschütten“

Das Netzwerk Recherche versucht sich am Neuanfang. Doch zur Jahrestagung in Hamburg tauchen neue Vorwürfe auf.

In Hamburg war es wieder so weit. Immer kurz vor der Sommerpause versammeln sich dort rund 800 Journalisten bei der Jahrestagung des Netzwerks Recherche (NR) zu einer Art Kirchentag, bei dem die Teilnehmer reumütig die Fehler des letzten Jahres bekennen und sich fest vornehmen, noch besser, noch mutiger, noch selbstkritischer und noch hartnäckiger zu arbeiten. Das Motto dieses Mal: „DigiTal der Ahnungslosen – Recherche jenseits von googeln und mogeln“. Die Schwerpunkte lagen bei den Themen Rechtsextremismus, Frauenquote, Computerrecherche und Sportjournalismus.

Hier bekamen im Fußballjahr 2012 passenderweise die Fifa und ihr Präsident Sepp Blatter die „Verschlossene Auster“, den Negativpreis des Vereins für den Informationsverhinderer des Jahres. Im Anschluss daran diskutierte ARD-Moderator Reinhold Beckmann mit dem Schweizer Nationalrat Roland Rino Büchel, der die Anti-Laudatio auf die Preisträgerin hielt, Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München, und Thomas Kistner, Autor des Buches „Fifa Mafia“ über den 1904 gegründeten Kleinverein, der heute ein Milliarden-Imperium ist. Über Sepp Blatter sagt Büchel, er arbeite allen Ernstes daran, den Friedensnobelpreis zu erhalten. „Wenn das passieren sollte“, drohte Hoeneß, „werde ich Direktor der Metropolitan Opera in New York.“ Er forderte endlich klare Strukturen und eine Kontrolle des Weltfußballverbandes, der bisher selbst durch bewiesene Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe nicht zu erschüttern war. Die komplexen Hintergründe, würden zu selten thematisiert, fand Buchautor und „Süddeutsche Zeitung“-Redakteur Thomas Kistner. „Sportjournalisten sind leider allzu oft Fans, die es über die Absperrung geschafft haben.“ Im sogenannten Reporter-Forum gab es anschließend noch ein Gespräch zwischen Uli Hoeneß und Fußballreporter Manni Breuckmann über das „Medienphänomen FC Bayern – Gehasst, geliebt, gehätschelt“.

Eine Diskussionsveranstaltung über Journalistinnen in der Männerdomäne Sport schlug dann den Bogen zum Podiumsgespräch „Quote gegen Machos“, bei dem „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo drei Journalistinnen erklärte, warum er von einer erzwungenen Frauenquote nichts hält und lieber auf „eine gewachsene Überzeugung“ setzt. Überrascht von der Situation im Journalismus zeigte sich Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom: „Dass im Journalismus, der doch ein Spiegelbild der Gesellschaft sein soll, nur zwei Prozent der Chefredakteure weiblich sind, hat mich schockiert.“

Es war die erste Jahrestagung ohne den Gründer Thomas Leif, der letztes Jahr wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten im Netzwerk-Recherche-Verein den Hut nehmen musste. Auch wenn der SWR-Chefreporter nicht selbst anwesend war, tauchte gleich zu Beginn gewissermaßen sein Schatten auf, so dass die ambitionierte Veranstaltung auch in diesem Jahr ihren – diesmal kleineren – Skandal hat. Das Medienmagazin „V. i. S. d. P.“ hatte pünktlich zum Start der Konferenz Vorwürfe gegen das Netzwerk lanciert. Demnach belegen E-Mails, dass der frühere NR-Vorstand über die falschen Förderanträge an die Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB), die Thomas Leif zum Verhängnis wurden, früh informiert gewesen sei. „Spiegel“-Redakteur Markus Grill, der damals im Vorstand war und heute zusammen mit „Stern“-Redakteur Oliver Schröm einer der beiden Vorsitzenden des Vereins ist, sagte dem Tagesspiegel: „Wenn der Verfasser der Mail etwas gewusst hat, ist das seine Sache. Wir wussten es nicht.“ Gegen eine andere Behauptung aus „V. i. S. d. P.“, es habe fingierte Honorare von Bildungseinrichtungen gegeben, will Grill eine Gegendarstellung erwirken. Einen weiteren Imageverlust kann sich der Verein nicht leisten. Die letztjährige Affäre schlug im Finanzbericht mit rund 130 000 Euro Rückzahlungen und Wirtschaftsprüferkosten zu Buche. Da danach auch fast alle Anzeigenkunden und Sponsoren verloren gingen, verzeichnet NR im letzten Jahr einen Verlust von 157 000 Euro. Als in der abendlichen Mitgliederversammlung die Frage aufkam, ob man Thomas Leif für die entstandenen Kosten nicht zivilrechtlich belangen könne, winkte der Vorstand ab. „Wir wollen keinen Krieg, sondern lieber die Gräben zuschütten“, sagte Schatzmeister David Schraven, der auch in der Ära Leif im Vorstand war.

Ansonsten wurde beschlossen, dass der Leuchtturmpreis, mit dem NR besondere journalistische Leistungen auszeichnet, nur noch für investigative Qualität vergeben werden soll und weniger für konsequente Haltungen. Hintergrund war einerseits der Leuchtturmpreis an die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ im letzten Jahr wegen ihrer klaren Haltung in der Guttenberg-Affäre und der Henri-Nannen-Preis an die „Bild“-Zeitung für eine Wulff-Geschichte. Auch hier war der investigative Teil umstritten. In einer sehr gut besuchten Veranstaltung erklärte Hans Leyendecker, NR-Mitglied und Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, am Freitag noch einmal, warum er diesen Nannen-Preis, den er sich mit „Bild“ hätte teilen müssen, abgelehnt hatte.

Um die Frage der Haltung ging es immer wieder auf den großen Podien. Die junge Autorin Julia Friedrichs, die am Samstag die traditionelle Rede zur Lage des Journalismus hielt, brachte es mit einem Appell an die altgedienten Journalisten auf den Punkt: „Zeigen Sie uns, was Haltung heißt, nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch unter der Woche.“

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