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Urteil: Dieser Autor ist ein Schöpfer

„FAZ“ und „SZ“ verlieren zweiten Prozess gegen Perlentaucher.de Die verkürzte Wiedergabe von Buch- und Literaturkritiken aus Tageszeitungen im Internet ist damit rechtlich zulässig.

Als Thierry Chervel am Dienstag aufwachte, dachte er nicht eine Sekunde daran, mittags Champagner zu trinken. Im Gegenteil: Mit großer Sorge hatte er dem Tag entgegengesehen. Die Zukunft seines „Babys“, des Internetportals Perlentaucher.de, stand auf dem Spiel. Eine seiner wichtigsten Einnahmequellen drohte zu versiegen.

Denn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) und die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) wollen dem Perlentaucher verbieten, die in ihren Feuilletons erschienenen Buchbesprechungen als sogenannte Rezensionsnotizen auf wenigen Zeilen zusammenzufassen und an Dritte wie den Internetbuchhändler Buecher.de weiterzuverkaufen. Doch gestern entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bereits als zweite Instanz, dass die Rezensionsnotizen des Perlentaucher nicht die von „FAZ“ und „SZ“ beklagten Urheber-, Wettbewerbs- und Markenrechte verletzen. Ein Urteil, das alle Seiten überrascht hat.

Noch in der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober hatte es so ausgesehen, dass die Richter zugunsten der beiden Zeitungen entscheiden würden. „FAZ“ und „SZ“ hatten dem OLG zehn Rezensionsnotizen des Perlentaucher als Beispiele vorgelegt. Sie wollten den Richtern verdeutlichen, dass der Perlentaucher die Buchbesprechungen aus den Zeitungen eher abschreibt, als mit seinen „Rezensionen der Rezensionen“ ein eigenes, neues Werk zu schaffen.

Genau hier liegt nämlich der Knackpunkt des Streits: Wie viel eigene schöpferische Leistung muss ein Text aufweisen, damit er ein neues Werk bildet, das dann an Dritte weiterverkauft werden darf? Diese Frage ist juristisch bislang nicht geklärt.

Die Richter haben nun entschieden, dass ein generelles Verbot solcher Zusammenfassungen, Abstracts genannt, nicht ausgesprochen werden kann. Sei ein Werk erst einmal veröffentlicht, dürfe jeder dessen Inhalt beschreiben – sofern er das Original, in diesem Fall also die Rezensionen der Tageszeitungen, nicht unzulässig bearbeite. Dafür dürften auch einzelne Originaltextstellen übernommen werden. Entscheidend sei deshalb, inwieweit die Zusammenfassung gegenüber dem Original einen „eigenständig schöpferischen Gehalt hat, obwohl das besprochene Original in seinen wesentlichen Gedanken mitgeteilt wird“. Nach Ansicht der Richter kann „gerade in der Komprimierung“ eine eigene schöpferische Leistung liegen.

Die Rezensionsnotizen des Perlentaucher halten die Richters für zulässig, weil es sich bei ihnen im Vergleich mit den Originalkritiken aus „FAZ“ und „SZ“ um ausreichend selbstständige Werke mit dem erforderlichen Abstand zu den Originalvorlagen handele. Auch stünden den beiden Zeitungen in diesem Streit keine marken- und wettbewerbsrechtlichen Ansprüche zu.

Doch „FAZ“ und „SZ“ beharren weiter auf ihren Positionen. „Der Perlentaucher macht mit unseren Inhalten, den Formulierungen unserer Autoren und unserer renommierten Marke Geld“, beklagte Sebastian Berger, Sprecher der „SZ“. Das sei eine „Selbstbedienung“, die der Verlag nicht akzeptieren könne. Perlentaucher-Chef Chervel meint hingegen, dass seine Plattform den Zeitungen vielmehr nütze. "Wir stellen eine Brücke her zwischen den kulturinteresssierten Lesern im Netz und den Zeitungen, die kulturell die besten Inhalte bieten“, sagte Chervel. Viele Menschen würden erst durch den Perlentaucher auf die Buchbesprechungen der Zeitungen gestoßen – zumal diese Originale neben den Rezensionsnotizen bei Buecher.de ebenfalls nachzulesen seien.

Auch Perlentaucher-Anwalt Simon Bergmann ist mit dem Urteil zufrieden. Das Urheberrecht diene nicht dazu, Werke so zu monopolisieren, dass sich niemand mit ihnen befassen dürfe. Der Perlentaucher greife zwar auf die Originalbesprechungen der Zeitungen zurück, schaffe aber mit seinen „Rezensionen über Rezensionen“ neue, eigenständige Werke, die an Dritte weiterverkauft werden können.

Das Urteil des OLG ist noch nicht rechtskräftig, weil eine Revision zugelassen wurde. Die Zeitungshäuser wollen nun das Urteil prüfen und vermutlich den Bundesgerichtshof (BGH) als dritte Instanz anrufen. Beide Seiten erwarten dann eine klare und gerichtsfeste Aussage darüber, welche Kriterien Inhaltsbeschreibungen erfüllen müssen, damit sie das Urheberrecht nicht verletzen. Etwa zwei Jahre könnte es bis dahin dauern – Champagner will die Redaktion des Perlentaucher bis dahin weiterhin nur bei ganz besonderen Anlässen trinken.

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