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© AFP

US-Fernsehen: Oprah Winfrey: Die Herzzerreißende

Manche halten sie für mächtiger als den Papst und den Präsidenten: Oprah Winfrey, die Ikone des US-Fernsehens. Jetzt hat sie ihren Rückzug bekannt gegeben.

Es war eine Meldung von größter Dringlichkeit. Alle großen Nachrichtensender der USA unterbrachen am Donnerstag ihr Programm, als um etwa 18 Uhr eine E-Mail aus der Presseabteilung der TV-Produktionsfirma Harpo in Chicago eingegangen war: Oprah Winfrey, die Hauptkundin der Firma, hieß es, wird im November 2011 ihre Talkshow einstellen.

Fernsehen ohne die „Oprah Show“ – das ist für die meisten Amerikaner unvorstellbar. Seit 25 Jahren kommt die Frau, die im ländlichen Mississippi in bitterster Armut aufgewachsen ist, jeden Nachmittag in die amerikanischen Haushalte. Ihre einstündigen Interviews mit ihrer oft hart an der Grenze des Peinlichen entlangschrammenden Einfühlsamkeit haben Fernsehgeschichte geschrieben – ob es nun Michael Jackson war, der bei Oprah zugab, dass er seine Haut hell färbt, oder Tom Cruise, der auf ihrem Sofa auf und ab hüpfte, um seiner Begeisterung für seine zukünftige Frau Katie Holmes Ausdruck zu verleihen.

Die „Oprah Show“ ist in Zeiten, in denen jeder US-Haushalt 200 Kabelsender empfangen kann, eines der letzten TV-Ereignisse, das die gesamte Nation zusammen bringt. Als Michael Jackson bei ihr saß, schauten 62 Millionen Menschen zu – ein Quotenrekord für die Ewigkeit. Erst am vergangenen Dienstag war sie wieder das Gespräch des Landes, als Sarah Palin ihr das erste ausführliche Interview nach ihrem missglückten Wahlkampf gab. Und ihre Show am Freitag, bei der sie persönlich ihren Rückzug bekannt gab, war wieder ein Quotenhit.

Besonders traurig wird man bei den Fernsehnetzwerken ABC und CBS gewesen sein. Für beide Sender, die Oprahs Show ausstrahlen, reißt der Abtritt ein gigantisches Loch. Tag für Tag band Oprah eine riesige Zuschauerschaft in der Vorabendzeit an die Netzwerke und garantierte somit den Nachrichtensendungen kurz danach ihr Publikum.

In Zukunft will die 55-Jährige jetzt jedoch ihre Zeit dafür verwenden, sich um ihren eigenen Kabelsender zu kümmern, der ab kommendem Jahr ans Netz geht. „OWN“ heißt die Station – Oprah Winfrey Network. Wie bei allen Produkten im Ein-Frau-Medienkonglomerat Oprah Winfrey, zu dem mittlerweile ein Radiosender, ein Zeitschriftenverlag und eine erfolgreiche Website gehören, dreht sich bei OWN alles um die Person der Chefin.

Die Entscheidung Oprahs für das Kabelfernsehen wird für die Zukunft der US-Medien als richtungsweisend angesehen. Oprah macht damit ein deutliches medienpolitisches Statement. Die Netzwerke – Zusammenschlüsse von regionalen Sendern ähnlich dem Modell der ARD – sind traditionell in den USA die Stationen, die ein landesweites Publikum versorgen. In den vergangenen Jahren verlieren sie jedoch gegen das Kabelfernsehen insbesondere im Nachrichtenbereich deutlich an Boden. Der Weggang von Oprah als der wichtigsten TV-Persönlichkeit der USA ist ein Zeichen für den Verlust an Vertrauen in die Zukunft der Netzwerke.

Seit Oprah Winfrey 1984 in Chicago für eine regionale Morgensendung als Moderatorin einsprang und die Sendung über Nacht zum Kult machte, hat sie ein Medienimperium aufgebaut, dass seinesgleichen sucht. Auf 2,7 Milliarden Dollar wird der Oprah-Konzern geschätzt. Selbst Barack Obama hat im Wahlkampf hart um die Unterstützung von Oprah gebuhlt. Sie wird als „einflussreichste Frau der USA“ bezeichnet. Die Kolumnistin der „New York Times“, Maureen Dowd, schrieb, Oprah sei „das Top-Alpha-Weibchen der USA“. Sie besitze mehr Macht als der Präsident. „Vanity Fair“ glaubte gar, sie habe mehr Einfluss als der Papst. Wenn Oprah in ihrem „Buchclub“ ein Buch empfahl, dann kam es stets auf die Bestsellerliste. Und als sie auf der Höhe des Rinderwahnskandals sagte, sie würde es sich zweimal überlegen, bevor sie wieder in einen Burger beiße, verklagte der Verband der Rinderzüchter in Amerika sie auf eine Millionen Dollar Schadensersatz. Ihre Bemerkung habe die Rindfleischpreise abstürzen lassen.

Das Phänomen Oprah erklärt sich wohl in erster Linie durch ihren Stil. Oprah Winfrey hat das Persönliche auf den Bildschirm gebracht und die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verwischt. Ihre Gäste schütteten vor Oprah wie vor niemandem sonst ihr Herz aus, die Gastgeberin war immer mütterlich und verständnisvoll. Nicht selten schießen Oprah selbst die Tränen in die Augen, während sie ihren Gegenübern lauscht.

Glaubwürdig war sie, weil sie auch selbst ihr Privatleben vor dem Publikum ausbreitet. Seit Jahrzehnten nimmt ganz Amerika an Oprahs Kampf mit dem Übergewicht teil – sie ist eine Art Messias für die vielen Millionen, die sich mit dem gleichen Problem herumschlagen. Vor allem aber ist Oprah ihrem Publikum nahe, weil sie schonungslos die tragische Geschichte ihrer Kindheit ausbreitete.

Oprah war der Spross einer kurzen Affäre zweier unverheirateter Halbwüchsiger, die sich nach ihrer einzigen sexuellen Begegnung wieder trennten. Oprah wuchs bei ihrer Großmutter auf und wurde, wie sie 1986 ihrem Publikum tränenreich gestand, regelmäßig von ihrem Cousin, von ihrem Onkel und einem Freund der Familie vergewaltigt. In der Verfilmung von Toni Morrisons Roman „Beloved“ durchlebte sie 1998 vor der ganzen Welt noch einmal herzzerreißend dieses Trauma, als sie die Sklavin Sethe spielte, die von ihren Sklavenhaltern sexuell misshandelt wird

Gleichzeitig verkörpert sie aber auch in einzigartiger Art und Weise die Hoffnung. Sie ist der Inbegriff des amerikanischen Traums. Lange vor Obama war sie ein lebender Beweis dafür, dass Hautfarbe in den USA keine Barriere mehr sein muss, und gab somit weißen wie schwarzen Amerikanern Hoffnung.

Das Mitgefühl, Kern von Oprahs Marke, beschränkt sich derweil nicht nur auf ihre Medienpräsenz. 1998 gründete sie die Stiftung Angel Network, die bislang 51 Millionen Dollar für Projekte in der Dritten Welt oder auch für den Wiederaufbau von New Orleans aufgebracht hat.

Jetzt haben die amerikanischen Zuschauer noch zwei Jahre Zeit, sich von Oprah zu verabschieden, zwei Jahre, in denen sie weiter jeden Nachmittag mit dem Taschentuch in Bereitschaft vor dem Bildschirm sitzen dürfen. Dann wird Oprah Winfrey 57 sein. Vielleicht wird sie dann, so munkelt man jedenfalls, sogar als Politikerin weiter ihren Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft geltend machen.

Sebastian Moll[New York]

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