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US-JOURNALISMUS: Die Unbeirrbaren

Pulitzer-Preise gehen nach Washington und New York – aber auch nach Bristol

Als die Reporter der „Times Picayune“, der Tageszeitung von New Orleans, im September 2005 wortwörtlich mit dem Wasser bis zum Hals stehend ausschwärmten, um über die Folgen von Hurricane „Katrina“ zu berichten, wussten sie nicht, ob ihre Zeitung den Sturm überleben würde. Sie wussten nicht einmal, ob ihre Stadt den Sturm überleben würde. Die Journalisten handelten in heroischer Pflichterfüllung, im festen Glauben an die unbedingte Wichtigkeit ihrer Mission. Für diesen Idealismus wurde die Redaktion mit dem höchsten Preis ausgezeichnet, den die Nachrichtenbranche zu vergeben hat: mit dem altehrwürdigen Pulitzer.

Zum 94. Mal wurden die PulitzerPreise am Montag vergeben. Und genau wie 2006 wurden an der journalistischen Fakultät der New Yorker Columbia University die Unbeirrbaren der Branche geehrt. Wer heute noch journalistische Produkte produzieren kann, die den Ansprüchen der Pulitzer-Gesellschaft genügen, muss, wie die Reporter der „Times Picayune“, todesverachtend den hehren Idealen der unabhängigen, gründlichen Berichterstattung dienen. Auch wenn das Wasser bis zum Kinn steht.

Alleine angesichts der Meldungen des Tages konnte man am Montag über den allgemeinen Zustand des Qualitätsjournalismus in den USA in Verzweiflung verfallen. So war zu lesen, dass der Hedge-Fond, der dem Immobilienmogul Sam Zell den Kauf der Tribune Company finanziert hatte, die überschuldete Verlagsgruppe übernehmen will. Die Zeitungen wichtiger Städte wie Philadelphia, Chicago und Los Angeles wären somit in der Hand von Finanzjongleuren. Kein Wunder, dass sich angesichts solcher Meldungen in einer ebenfalls am Montag publizierten Umfrage die Zeitungsjournalisten des Landes pessimistisch über ihre Branche äußerten. 54 Prozent der befragten Redakteure glaubten, ihre Firmen würden keine zehn Jahre mehr bestehen, wenn sich ihr Geschäftsmodell nicht gründlich ändert. 31 Prozent waren sich gar sicher, dass ihr Job keine fünf Jahre mehr existiert.

Doch trotz der Krise und den erschwerten Bedingungen in der US-Zeitungsbranche gelingt es den Journalisten weiterhin, auszeichnungswürdige Beiträge zu produzieren. Die großen Gewinner bei den Pulitzer Preisen waren wie stets die beiden großen traditionellen Qualitätszeitungen des Landes, die „Washington Post“ und die „New York Times“. Die „Post“ bekam vier Preise: für den politischen Kommentar, für die beste Feuilleton-Kritik, für das beste Feature und für die Berichterstattung des Irak-Korrespondenten der Zeitung. Die „Times“ bekam zwei Preise, einen für ihre Berichte über Lebensmittelverseuchung in den USA und einen über die Gefahren der Übermittlung von Handy-Textmitteilungen am Steuer.

Weitere Preise gingen an seriöse Regionalzeitungen wie den „Bristol Herald Courier“ aus Virginia, der Korruption bei der Vergabe von Erdgas-Bohrrechten im Staat aufdeckte, und die „Seattle Times“ für ihre Berichterstattung über die Erschießung von vier Polizisten in einem Café in der Innenstadt von Seattle.

Reine Online-Artikel wurden hingegen nicht prämiert, obwohl das Pulitzer-Komitee ausdrücklich mehr Beiträge aus diesem Bereich erbeten hatte. Doch immerhin eine Institution, die versucht, neue Wege zu gehen, wurde von der Pulitzer-Jury gewürdigt – die gemeinnützige Stiftung Pro Publica. Sie wird von dem Ehepaar Herb und Marion Sandler mit dem Ziel gefördert, angesichts der Medienkrise den investigativen Journalismus in Amerika zu retten.

Pro-Publica-Autorin Sheri Fink bekam zusammen mit dem Magazin der „New York Times“ den Preis in der Kategorie „Investigative Reportage“. Ausgezeichnet wurde Finks Reportage, in der die Zustände in den Krankenhäusern von New Orleans in den Tagen nach Hurricane „Katrina“ rekonstruiert wurden. Die Reportage erschien im Magazin der „New York Times“.

Der Pulitzer-Preis für die Pro-Publica-Autorin war zumindest ein gewisses Eingeständnis des Komitees, dass die Zukunft des Qualitätsjournalismus nicht mehr alleine bei den etablierten Zeitungen liegen kann. So weit, der „Times“ oder der „Post“ allzu deutlich ihre schwindende Relevanz vorzuführen, mochte man jedoch nicht gehen.

Zähneknirschend und nach langem Hin und Her war zwar das Revolverblatt „National Enquirer“, vorwiegend an Supermarktkassen erhältlich, nominiert worden. Der „Enquirer“ war hartnäckig an der Story des Präsidentschafskandidaten Jonathan Edwards und seiner außerehelichen Affären während des Wahlkampfes drangeblieben – lange nachdem die „Times“ und die „Post“ aufgehört hatten, über Edwards zu berichten. Einen Pulitzer für den „Enquirer“, das war aber offenbar zu viel für die Hüter des guten Journalismus. Das Klatschblatt ging leer aus.

Angesichts der prekären Lage der großen Zeitungen war das jedoch bestimmt nicht das letzte Mal, dass den renommierten Blättern eine große Geschichte entging. Eine Weile kann der blanke Idealismus auch durch harte Zeiten tragen. Auf Dauer kann das jedoch nicht gut gehen.

Sebastian Moll[New York]

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