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Zweifel an der Identität. Sergeant Nicholas Brody (Damian Lewis) wird nach acht Jahren in Al-Qaida-Gefangenschaft befreit. CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) glaubt, dass Brody von Al Qaida zum Terroristen umgedreht worden ist. Foto: Promo

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US-Serie „Homeland“: Der Feind in meinem Kopf

Angst, Misstrauen, Verfolgungswahn: Die neue Thriller-Serie „Homeland“ zeigt Amerikas Wunden nach den Anschlägen vom 11. September. Heute Abend startet die Serie mit Claire Danes und Damian Lewis auf Sat 1. Unser Autor empfiehlt: Unbedingt einschalten.

Für wie plausibel halten Sie folgende Geschichte? Ein deutscher Soldat ist beim Afghanistaneinsatz der Bundeswehr verschwunden. Das war 2005. Acht Jahre später wird er aus einem Erdloch gezogen. Er war von den Taliban gefangen und versteckt worden. Jetzt kann ihn die Truppe befreien. Der befreite Soldat wird von der Bundeskanzlerin empfangen, die gesamte deutsche Öffentlichkeit feiert ihren großen Helden. Nur eine Frau feiert nicht. Sie arbeitet für den deutschen Geheimdienst. Sie glaubt, der Soldat könnte von den Taliban umgedreht, als Terrorist rekrutiert worden sein. Das hat ihr, während ihres eigenen Afghanistaneinsatzes, ein gefangener Taliban gesagt. Kein Name fällt. Aber für die Geheimdienstlerin ist klar, dass von dem „Schläfer“ eine Riesengefahr für Deutschland ausgeht. Ist das möglich oder ist das nur eine riesige Verschwörungsfantasie, einem professionell misstrauischen Hirn entsprungen?

Das amerikanische Fernsehpublikum, das die identische US-Version dieser Geschichte via „Homeland“ kennt, schwankt vielleicht bei der Plausibilität der Frage hin und her, aber es ist begierig nach der fiktionalen Antwort. Zwei Staffeln von „Homeland“ sind gelaufen, noch selten ist eine Serie so mit „Golden Globes“ und „Emmys“ überhäuft worden. Der Marineinfanterist Nicholas Brody (Damian Lewis), acht brutale Jahre in der Hand von Al Qaida, wird von den US-Streitkräften befreit, kommt in die Heimat zurück. Jubel, Stolz, Familienzusammenführung. Carrie Mathison (Claire Danes), die als CIA-Agentin ebenfalls im Irak gearbeitet hatte, hat ihn in Washington längst erwartet: den Heimkehrer, der ein Verräter ist.

„Homeland“ geht genau in diese Schnittstelle rein. Der Terror, gegen den die USA seit dem Trauma von „9/11“ global kämpfen, ist längst auch in Amerika angekommen, in den Vorgärten, in den Köpfen, im Kino („Zero Dark Thirty“), im Fernsehen. „Homeland“ ist die televisionäre Aufladung und Ausdeutung der Psychose, die das Freund-Feind-Denken in ein Freund-ist-Feind-Denken überführt. Wahrheit und Einbildung, innere und äußere Gegner sind nicht mehr zu unterscheiden. „Homeland“ ist Fernsehen auf der Höhe der amerikanischen Ängste, seiner politischen wie mentalen Verfassung.

Die Arbeit der CIA hatte maßgeblich zu Brodys Befreiung beigetragen. Den großen Erfolg will sich die Agency nicht durch die Agentin Carrie kaputt machen lassen. Ist die nicht selber schon kaputt, seitdem sie glaubt, vor dem 11. September 2001 die vielleicht entscheidende Information verpasst zu haben? Carrie Mathison, von früher Jugend an mit einer affektiven Störung belastet, schluckt Psychopharmaka, sie ist Außenseiterin, sie ist allein und sucht des Nachts die flüchtige Affäre. Ihr Vertrauter in der Agency ist Saul Berenson (Mandy Patinkin). Zu dessen Entsetzen setzt sie das Haus der Brodys mit versteckten Kameras und Mikrofonen unter totale Überwachung. Berenson will Carries Abhöraktion nicht länger decken, da glaubt sie auf den Fernsehbildern zu erkennen, dass Brody bei seiner Ankunft mit den Fingern seiner rechten Hand Signale an den Feind sendet. Der Vorgesetzte, selber ausgebildet in Misstrauen und Nichtglauben, leckt Blut.

Verräter oder nicht Verräter, Terrorist oder nicht, in diesem Zweifel ist „Homeland“ exzellentes Spannungsfernsehen. Sergeant Brody erscheint zweilichtig, offenbar lügt er, wenn er der Witwe seines Kameraden erzählt, dass Al Qaida ihren Mann totgeschlagen hat. Zeigt der Film in seinem Kopf (und für die Zuschauer), dass er es selber war? Der Zweifel über den echten Brody wird zum Zweikampf zwischen Carrie und Brody.

Warum „Homeland“ Kino im Fernsehen ist

Zweifel an der Identität. Sergeant Nicholas Brody (Damian Lewis) wird nach acht Jahren in Al-Qaida-Gefangenschaft befreit. CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) glaubt, dass Brody von Al Qaida zum Terroristen umgedreht worden ist. Foto: Promo
Zweifel an der Identität. Sergeant Nicholas Brody (Damian Lewis) wird nach acht Jahren in Al-Qaida-Gefangenschaft befreit. CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes) glaubt, dass Brody von Al Qaida zum Terroristen umgedreht worden ist. Foto: Promo

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Das Echolot geht in weitere Tiefen, entdeckt neue Untiefen. Brody war acht Jahre weg von zu Hause. Seine pubertierende Tochter kennt er nur als Kleinkind, seinen Sohn hat er noch gar nicht kennengelernt. Das sind ergreifende Momente beim ersten Treffen, noch ergreifender ist das Wiedersehen mit seiner Frau Jessica (Morena Baccarin). Wie gesagt, Brody galt als tot. Jessica hat sich erst mit einem Freund ihres Mannes angefreundet, jetzt haben sie eine Liebesbeziehung. Gerade wollten sie es den Kindern erzählen, da klettert Brody aus dem Erdloch. Alles auf null? In der ersten gemeinsamen Nacht sieht Jessica den von Narben gezeichneten Körper ihres Mannes. Das erschreckt sie, noch mehr erschrickt sie, als der erste Sex mehr eine Vergewaltigung als ein Liebesakt ist, der Ehemann ist ein Fremder. Sergeant Brody ist vom Krieg versehrt, verstört. Und der neue Partner drängt.

Das ist diese Kraft, die von „Homeland“ ausgeht – die Spannung im Zweikampf, die Verzweiflung im Zwischenmenschlichen. Beides ineinandergeschlungen und verschlungen, beides befeuert von der Ungewissheit, welche Identität wahr ist, welches Leben richtig. Und das Gift verbreitet sich weiter.

Bei „Homeland“ schießen verschiedene Qualitäten zusammen: Erzählung, Produktion, Schauspiel. Die Autoren Alex Gansa, Howard Gordon und Gideon Raff setzen das Duell zwischen CIA-Agentin und GI sofort unter Strom, während zugleich die weiteren Konflikte darauf hinorientiert sind. Gansa und Gordon haben auch die Echtzeitserie „24“ geschrieben. Da kämpfte Agent Jack Bauer (Kiefer Sutherland) gegen mächtige Feinde der USA, die auch Helfershelfer in God’s Own Country hatten. „Homeland“ kann als Fortführung von „24“, zugleich als Gegenstück gesehen werden. „24“ agitiert die Panik, „Homeland“ die Paranoia.

Es ist eine raffinierte Ökonomie, die in der Serie wirkt: Verknappung und Erweiterung, Einatmen und Ausatmen. Die Produktion übersetzt diese Konzentration: „Homeland“ ist Kino im Fernsehen, sofern die gebenedeiten US-Serien diesen Vergleich überhaupt antreten müssen. Produzent und Regisseur Michael Cuesta hat das Glück, dass ein bemerkenswertes Ensemble gecastet wurde. Mandy Patankin oder Morena Baccarin sind um keinen Deut schwächer als Damian Lewis oder Claire Danes, nur sind ihre Rollen kleiner, mehr Spiegel des Partners als helle Sonne.

Wer Augen hat zu sehen, der schaut sich an Claire Danes fest. Was hat diese Schauspielerin für eine Spannweite. Was kann ihre Carrie verzweifeln, was kann sie richtig tough sein, wie changiert sie zwischen nassforscher Selbstgewissheit und ausufernder Depression. Eine Kassandra, wie sie moderner nicht sein kann.

Heute Abend läuft der Bodensee-„Tatort“, heute Abend startet „Homeland“. Der Zuschauer, der Erwartungen an das Fernsehen als Medium der Gegenwart und der Zeitgenossenschaft hat, der weiß, was er zu tun und was er zu lassen hat.

„Homeland“, Sat 1, 22 Uhr 15

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