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Medien: Verrat ist Verrat

Der Fall „Cicero“ in Karlsruhe: Bundesregierung lehnt „Journalistenprivileg“ ab

Das Bundesverfassungsgericht steht möglicherweise vor einem neuen Grundsatzurteil zur Reichweite der Pressefreiheit. Dabei geht es um die Kernfrage, ob sich Journalisten strafbar machen, wenn sie ihnen zugespieltes vertrauliches Material staatlicher Stellen veröffentlichen. Anlass ist der Fall „Cicero“, über den der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Mittwoch verhandelte.

Das politische Monatsmagazin hatte im April 2005 ausführlich aus einem als vertraulich eingestuften Bericht des Bundeskriminalamts zitiert. Es ging darin um den islamistischen Terroristen Abu Musab al Sarkawi. Die Staatsanwaltschaft Potsdam eröffnete wegen der Publikation ein Ermittlungsverfahren gegen den Chefredakteur, Wolfram Weimer, und den Autor Bruno Schirra. Vorwurf: Beihilfe zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Im September wurden die Redaktionsräume in Potsdam durchsucht und die Festplatte eines Computers kopiert. Das Landgericht Potsdam stellte das Verfahren gegen Weimer im Februar 2006 gegen Zahlung von 1000 Euro ein. Der legte gegen Durchsuchung und Beschlagnahme Verfassungsbeschwerde ein, über die gestern in Karlsruhe verhandelt wurde. Das Urteil wird voraussichtlich in drei Monaten verkündet.

Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, Berichterstatter im „Cicero“-Fall, ließ in seiner Einleitung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsaktion erkennen. Denn die Journalisten hätten sich möglicherweise gar nicht strafbar gemacht. Schuldig mache sich laut Gesetz vielmehr der Beamte, der vertrauliches Material weitergebe. Ob aber auch ein Journalist wegen Beihilfe strafbar sei, wenn er das ihm zugespielte Material veröffentliche, nannte Hoffmann-Riem eine „umstrittene Konstruktion“. Einige Gerichte sprechen in solchen Fällen von „sukzessiver Beihilfe“ durch Journalisten. Die Tat sei zwar vom Beamten begangen, aber erst vom Journalisten „beendet“ worden.

Die Bundesregierung und das Land Brandenburg hielten diese Auslegung für tragfähig. Lutz Diwell, Staatssekretär im Bundesjustizministerium, verteidigte in Karlsruhe die Durchsuchungsaktion bei „Cicero“ als verfassungsgemäß. Ebenso sein brandenburgischer Amtskollege Günter Reitz. Die Pressefreiheit finde ihre Grenze bei strafbaren Handlungen. Diwell wörtlich: „Ein Journalistenprivileg kommt nicht in Betracht.“ Wie geheim das veröffentlichte BKA-Material tatsächlich war, blieb in der Verhandlung umstritten. Der Bundesverband der Zeitungsverleger nannte das von „Cicero“ veröffentlichte Material so „geheim wie der Speiseplan der BKA-Kantine“. Tatsächlich war es mit der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „vertraulich“ versehen. In der sogenannten „Spiegel“-Affäre war es dagegen in den sechziger Jahren um Staatsgeheimnisse gegangen. Die Dimension des „Cicero“-Falles ist auch nach den Worten von Verfassungsrichter Hoffmann-Riem wesentlich geringer.

Alexander Ignor, Anwalt des „Cicero“-Chefredakteurs, wies darauf hin, dass der Gesetzgeber die rechtliche Stellung von Journalisten und das Recht auf Informantenschutz in den letzten Jahren gestärkt habe. Diese Rechte seien bei dem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss verletzt worden. Außerdem verletze es die Pressefreiheit, wenn der Staat „mit dem Stempel ,vertraulich’“ der Öffentlichkeit beliebig wichtige Informationen entziehen könne.

Es gab aber auch Gegenstimmen auf der Richterbank. Verfassungsrichter Wilhelm Schluckebier erinnerte daran, dass auch bei Zeugen Durchsuchungen durchgeführt werden dürften. Dann könnten auch Journalisten keinen umfassenden Schutz vor solchen Maßnahmen beanspruchen.

Der Deutsche Journalisten-Verband, die Deutsche Journalisten-Union, der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger und der Verein Netzwerk Recherche unterstützten in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde von Cicero.

(Aktenzeichen: 1 BvR 538/06 u.a.)

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