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Medien: Verwahrloster Journalismus?

Beim Kongress des „Netzwerk Recherche“ geht der Berufsstand mit sich ins Gericht

Der Mann, der am Sonnabend mit dem deutschen Journalismus abrechnete, kam aus der Schweiz. Die Rede von Frank A. Meyer, Chefpublizist des Ringier-Verlags, war der Höhepunkt beim Hamburger Kongress des Journalistenvereins „Netzwerk Recherche“. Mit Blick auf die BND-Affäre, bei der sich Journalisten gegen Geld oder Nachrichtenware kaufen oder als Spitzel missbrauchen ließen, wirkte Meyers Anklage wohltuend. Er legte den Finger in die Wunde, als er fragte: „Müssen wir dazugehören wollen? Zur Gesellschaft der Erfolgreichen und Reichen, der Schönen und Prominenten?“ Anstatt gegen Mächtige zu kämpfen, die ihr Herrschaftswissen missbrauchen, seien heute die Journalisten die Mächtigen, die sich zum Meinungskartell vernetzten und ihr Handwerk zur Demonstration ihrer Macht einsetzten. Anstatt zu recherchieren, orientierten sie sich am Geschriebenen der Kollegen. Meyer mahnte: „Wir sind auf dem besten Weg, eine Kaste zu werden. Und die eherne Regel jeder Kaste heißt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Man kenne sich, lanciere die Bücher guter Kollegen, lade sich gegenseitig zu Talkshows ein und werde sich immer ähnlicher. „Wer wagt noch Kritik an einem Kollegen?“, fragte Meyer. Die Forderung erscheint angebracht, auch angesichts verwahrloster journalistischer Sitten, wie sie die BND-Affäre aufzeigt.

Meyers Haltung mag berechenbar sein, prangert er als Freund Gerhard Schröders seit den letzten Bundestagswahlen unentwegt konzertierte mediale Meinungsmache an. Und Meyer ist wahrlich nicht frei von Eitelkeit – ebenso wenig wie andere Journalisten, die beim „Netzwerk Recherche“ die journalistische Eitelkeit und Wichtigtuerei als Wurzel allen Übels, auch dem der BND-Affäre, ausmachten. Falsch ist die Analyse dennoch nicht.

Da ist zum einen der Alltag der großen Masse von Journalisten kleiner Regionalzeitungen, bei denen die Recherche laut Umfragen an fünfter Stelle kommt, nach organisatorischen und blattmacherischen Arbeiten. Für Recherchen fehlen Zeit, Geld, oft auch Lust. Und dann gibt es jene Blätter, die Geld für Recherchen haben, Journalisten Zeit geben und Leute anziehen, die von besagter Eitelkeit und Wichtigtuerei, auch von Abenteuerlust geprägt sind, wie es Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ ausdrückte. Leyendecker ist eine der Hauptpersonen der BND-Affäre. Auch er wurde bespitzelt, nachdem er mit einem Kollegen 1995 beim „Spiegel“ über einen vom BND fingierten Plutoniumschmuggel geschrieben hatte. Leyendecker sparte nicht mit Kritik, vor allem nicht an „Focus“. „Wilde Leute“ habe das 1993 gegründete Magazin engagiert; aus Konkurrenzgründen habe es ähnlich Aufsehen erregende Geschichten wie jene über den Plutoniumskandal des „Spiegel“ gefordert. Das sei mit ein Grund, weshalb bei „Focus“ jetzt besonders viele Opfer, aber auch Täter zu finden seien. Wie nah Opfer- und Tätersein beieinander liegen, zeigt sich aus Leyendeckers Sicht bei Erich Schmidt-Eenboom. Leyendecker erneuerte die Vorwürfe der „SZ“, der Publizist sei selbst Spitzel des BND gewesen und als „VP“, als Vertrauensperson, geführt worden. Schmidt-Eenboom dementierte. Er habe mehrfach materielle Angebote als Gegenleistung für Informationen abgelehnt. Der so genannte „Schäferbericht“, gegen dessen Veröffentlichung er nichts einzuwenden habe, sei lücken- und fehlerhaft. Die Einträge habe er mittlerweile mit Fußnoten versehen dürfen.

„Ein verhunztes Bild“ gäben Journalisten ab, meinten viele Kongressteilnehmer. Andere beklagten, Journalisten hätten ein „geradezu erotisches Verhältnis zur Krise des eigenen Berufsstands“. Frank A. Meyer widersprach: „Wir bestehen doch sonst berufsstolz darauf, dass wir keine tabuisierten Bereiche der Gesellschaft kennen.“ Das bedeute: „Wir dürfen uns nicht selbst Tabu sein.“

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