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Medien: Verweigern ist keine Haltung

Warum die Fernsehkritik am RTL-„Dschungelcamp“ nicht vorbeischauen kann

Was die in Australien, im Dschungel, können, das können wir hier, in Berlin, schon längst. Am Donnerstagabend verweigerte eine junge Frau namens Sarah Knappik die sogenannte Dschungelprüfung: Knappik wollte nicht mit der Hand in Löcher greifen, um Sterne zu ergattern, die für sie und ihre Dschungelkollegen Essen bedeuten. Sie wollte nicht, weil es in den Löchern Getier gab, das sie vielleicht gekratzt, gezwickt, gebissen, gestochen, gestreichelt hätte. Sie wollte einfach nicht, und als sie zurückkam zu den anderen, da gab es für ihre Entscheidung nicht das Verständnis, mit dem sie gerechnet hatte. Der Schauspieler Mathieu Carrière legte ihr stattdessen nahe, das Camp zu verlassen, denn das sei dann zum Wohle aller. Carrière ließ sich vor einigen Jahren symbolisch kreuzigen, weil er auf das Recht der Väter nach Scheidungen aufmerksam machen wollte. Und 1981 schrieb er den Essay „Für eine Literatur des Krieges, Kleist“. So können sich die Dinge verändern.

Seit RTL diese Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ sendet, berichten wir über diese Sendung, indem wir über jede einzelne Folge schreiben. Aber auch wir können uns dieser Sache verweigern, ähnlich wie Sarah Knappik haben wir die Wahl – und dieses Mal entscheiden wir uns dafür, nicht aufzuschreiben, dass Rainer Langhans wieder nicht da war, Dirk Bach und Sonja Zietlow nerven und dass das Bemühen um eine Dramaturgie, wo nichts passiert, sehr angestrengt wirkt. Dieses Mal geht es nur um uns. Und um die Frage, warum wir eigentlich von diesem Format berichten.

Die Onlinekommentare der Tagesspiegel-Leser gehen stark in Richtung Unverständnis. Ein häufiger Vorwurf lautet, dass sich ein Qualitätsmedium nicht mit diesen Niederungen der Unterhaltung befassen sollte. Eine Onlineabstimmung ergab auch ein ähnliches Ergebnis.

Wozu eigentlich Fernsehkritik? Das ist die Frage, auf die auch der Kritiker selbst eine Antwort finden muss – und diese Antwort wird unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welcher Fernsehkritiker gefragt wird, aber möglicherweise gibt es eine Sache, die unser Tun zusammenfasst: Fernsehkritiker hassen das Fernsehen nicht, im besten Fall ist das Fernsehen für den Kritiker eine Sehnsuchtsmaschine. Zudem ist das Fernsehen nachweislich immer noch ein wichtiges Medium, daran konnte das Internet bisher nichts ändern. Eine Ausgabe von „Wetten, dass..?“ ist – ganz objektiv – ein Ereignis, jede Camp-Staffel hat eine gewisse gesellschaftliche Relevanz – und die Tatsache, dass fast sieben Millionen Menschen jeden Tag „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ sehen, muss irgendetwas bedeuten.

Und diese Bedeutung ist es, nach der ein Fernsehkritiker sucht. Diese Suche ist manchmal hoffnungslos – beim Dschungelcamp ist sie beinah sinnlos, und doch versucht der Fernsehkritiker zu verstehen, was er da sieht. Er will nicht bekehren zum guten Fernsehen, denn der Fernsehkritiker weiß, dass das so gut wie unmöglich ist. Was haben wir beispielsweise „Im Angesicht des Verbrechens“, dieses TV-Meisterwerk von Dominik Graf, in den Himmel gelobt – es hat die wenigsten interessiert.

Vor über 50 Jahren formulierte der Kommunikationswissenschaftler Jospeh Klapper seine Verstärkerthese. Sie besagt, dass Massenmedien wie das Fernsehen beim Zuschauer nichts verändern. Das, was sie bewirken, ist eine Verstärkung bereits bestehender Meinungen und Einstellungen. Diese These fußt auf der Theorie der kognitiven Dissonanz, die besagt, dass Menschen Widersprüche zu ihren Meinungen als unangenehm empfinden und deshalb versuchen, jeden Widerspruch zu vermeiden. Das bedeutet, dass Menschen in den Medien nach den Inhalten und Meinungen suchen, die ihre schon vorhandene Überzeugung unterstützen. Jemand, der das Dschungelcamp für gute Unterhaltung hält, wird sich von einer kritischen Berichterstattung nicht die Laune verderben lassen – für einen Gegner der Sendung ist allein schon die Beschäftigung mit dem Format ein Affront.

In diesem Dilemma bewegt sich also die Fernsehkritik. Aber was wäre die Lösung? Aufhören? Abschalten? Oder sollte man sich doch vielleicht an das Motto erinnern, das seit 1946 den Tagesspiegel begleitet: Rerum cognoscere causas. Das Zitat stammt von Vergil, und es bedeutet: „Die Ursachen der Dinge erkennen.“ Dieses Erkennen versucht auch der Fernsehkritiker, und eine Erkenntnis ist vielleicht: Wenn man sich auch nur fünf Minuten von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ anschaut, dann weiß man, dass man den Zuschauer damit nicht alleinelassen darf.

Wir berichten weiter.

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