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Medien: Vienna Calling

Im Juni startet ATV. Bisher wusste der ORF einen landesweiten Privatsender zu verhindern

Wer in Berlin bis vor kurzem noch terrestrisches Fernsehen empfangen hat und jetzt, nach der Umstellung auf digitales Fernsehen immer noch keinen Dekoder angeschafft hat, sieht schwarz. In Wien sieht man auch mit Dekoder schwarz, will man mehr als die beiden Programme des öffentlich-rechtlichen ORF empfangen. Noch im Mai des Jahres 2003 gibt es kein landesweites Privatfernsehen in Österreich. Am 1. Juni soll sich das ändern.

An den Start geht ATV plus und will, so verheißt die Werbung, nicht weniger sein als „neues Fernsehen“. Ganz so neu ist der Sender allerdings nicht. 1997 unternahm Österreichs Gewerkschaftsbund zusammen mit einer Gewerkschaftsbank den ersten Anlauf als „Wien 1“. Zunächst war Wien 1 nur in der Hauptstadt und nur über Kabel zu empfangen. Drei Jahre später wurde der Sender dann in ATV – Austria Television – umbenannt, verhilft dem inzwischen beteiligten Filmhändler Herbert Kloiber zu einer weiteren Abspielstation für seine Programmware und ist seither immerhin sogar in einigen weiteren Ballungsräumen der Republik zu sehen. Gut ein Drittel der österreichischen Fernsehhaushalte kann ATV seither erreichen. Doch die Marktanteile blieben selbst im Kabel ein gutes Stück hinter denen von Kabel 1, RTL 2, Vox.

In wenigen Tagen wird das neue Fernsehen nun endlich terrestrisch senden. Es bedarf keines Kabels und keiner Satellitenschüssel, eine simple Antenne, gleichwo in Österreich aufgestellt, reicht aus. Eine Sensation – und das fast 50 Jahre nach der Einführung privaten Fernsehens in Großbritannien, beinahe 35 Jahre nach Luxemburg, 30 nach Italien und 20 Jahre nach Deutschland.

Die Vergabe von Lizenzen zum Senden muss für Österreichs Politik – in wechselnden Koalitionen von Sozialdemokraten, Bürgerlichen und FPÖ – ein Horror gewesen sein, so hartnäckig wehrten sie sich gegen die Einführung von privatem Rundfunk. Schon 1993 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Republik für das Monopol des ORF. Privates Radio gibt es dennoch erst seit 1998, landesweit senden kann aber weiterhin nur der ORF.

Beim Fernsehen brauchte es erst die „Wende“ von Kanzler Wolfgang Schüssel mit der Haider-FPÖ anno 2000. Warum das so ist, erklärte der Ministerpräsident des Bundeslandes Salzburg einmal recht offen: „Eigentlich will in Wirklichkeit niemand Privatfernsehen.“ Nicht die Zeitungsverleger, die um ihre Werbeeinnahmen fürchten. Und erst recht nicht der ORF, nach Umsatz und Mitarbeitern mit Abstand größtes Medienunternehmen des Landes, das sich zur Hälfte aus Werbung finanzieren darf. Im Gegensatz zu ARD und ZDF kann er 42 Minuten pro Tag und Kanal rund um die Uhr im Fernsehen werben. Die Regierungen wiederum konnten kein ernstes Interesse haben, dem ORF zu schaden. Kein Medium ist politisch so einfach zu kontrollieren, das so viele Bürger erreicht. Die Marktanteile des ORF liegen noch immer um oder gar über satten 50 Prozent.

„Medienkasachstan “

Welche Vergleiche musste sich die Republik nicht schon gefallen lassen, deren Größe und Einwohnerzahl gerade an Bayern heranreicht. Früher wurde Österreich voller Spott „Medienalbanien“ genannt. Seitdem selbst Albanien ein Privatfernsehgesetz hat, verstiegen sich die Kritiker auf „Medienkasachstan“. Eine Vorliebe für Häme haben vor allem jene Österreicher, die sich ob der zögerlichen Heimat in Deutschlands Fernsehszene austoben: RTL-Chef Gerhard Zeiler etwa, sein Vorgänger Helmut Thoma oder RTL-Infodirektor Hans Mahr.

Auch sonst schaut sich der ORF immer wieder gern bei internationalen Privatsendern Trends ab und ärgert damit vor allem RTL: „Wer wird Millionär?“ heißt auf dem Wiener Küniglberg „Millionenshow“ und wird zeitgleich mit RTL gesendet. Aus „Big Brother“ wurde „Taxi Orange“, was nebenbei Lizenzkosten sparte. Und aus dem Wettsingen bei RTL machte der ORF „Starmania“. Filme strahlt der ORF gern parallel zu den deutschen Privaten aus, allerdings ohne Unterbrecherwerbung.

Zeiler sagte 1994 bei seinem Abgang als Anstaltschef: „Der ORF war nie ein starrer öffentlich-rechtlicher Sender. Er war immer der einzige öffentlich-rechtliche und private Sender in Österreich.“ Das macht es privater Konkurrenz nicht gerade leicht. Zumal ATV nicht nur um Zuschauer kämpfen muss, sondern auch um ein Stück vom Werbekuchen, an dem die in Österreich verbreiteten deutschen Privatsender knabbern. Immerhin: Der neue ATV- Manager Franz Prenner war früher Werbechef des ORF und genießt großes Wohlwollen bei den Mediaplanern. Dank vier weiterer österreichischer Banken als Gesellschafter kann er sich den Anlauf im Juni zudem ein bisschen was kosten lassen.

Und was sendet ATV für ein Programm? Zum Beispiel „The Chair“ – die aus den USA importierte Foltershow läuft seit ein paar Wochen bei Vox. Außerdem bereits ab Juni den „Hausfrauentausch“, den RTL in Deutschland für Herbst angekündigt hat. Und der ORF? Der ist kommerziell derart erfolgreich, dass Kanzler Schüssel bisweilen über eine Privatisierung von ORF 1 nachdenkt. Wird er abgewählt, muss seine Fraktion ja auch den direkten Zugriff auf die Anstalt verlieren. Womit sein Medienberater Horst Pirker, Chef des katholisch-bürgerlichen Zeitungskonzerns Styria, als aussichtsreichster Kandidat für den Fall des Falles von ORF 1 gilt. Pirker dementiert zwar jedes Interesse, hat aber schon öfter seine Meinung geändert. Da ging es immerhin um die weitaus größte Chance auf erfolgreiches Privatfernsehen in Österreich.

Harald Fidler[Wien]

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