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In Indien lesen sie noch. Dort haben Zeitungen Auflagen in Millionenhöhe.

© Arte

Virtuelle Feder: Eine Arte-Doku analysiert, wie der Journalismus der Zukunft aussehen könnte

Man muss weit reisen, um noch ganz ungebrochen von der alten Papier-Romantik erzählen zu können. Zum Beispiel nach Indien.

Die Zukunft der Print-Branche? Fragen wir das Spieglein an der Wand: „Mirror, show the News“, sagt Entwickler Matt Boggie, und schon läuft auf dem schmalen, mannshohen Spiegel vor ihm ein Filmbeitrag an. Den aktuellen Wetterbericht, eine Analyse von Boggies Gesundheitszustand plus Hotel-Tipps hat dieses erstaunliche Möbelstück auf Zuruf ebenfalls parat. Es steht in der 28. Etage der New York Times, wo die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des renommierten Medienhauses beheimatet ist. Hier tüfteln Wissenschaftler an neuen Plattformen und Geräten, für die die NYT in Zukunft journalistische (und andere) Produkte maßschneidern will.

Die USA sind in dem Arte-Dokumentarfilm „Journalismus von morgen – Die virtuelle Feder“ das Land, das dem Rest der zunehmend digitalisierten Welt in der Entwicklung voraus ist. Leider auch bei den weniger erfreulichen Begleitumständen: Nirgendwo sonst sind bereits mehr Zeitungen vom Markt verschwunden. Das französische Autoren-Trio Philippe Kieffer, Pierre-Olivier François und Marie-Éve Chamard zeichnet ein vielstimmiges Bild von der Lage in den Vereinigten Staaten, in ihrem Heimatland Frankreich, in Deutschland – und in Indien, wo weltweit jede fünfte Zeitung gedruckt wird.

"Mich interessieren Nachrichten“

„Von mir aus können Zeitungen sterben. Mich interessieren Nachrichten“, hat gerade US-Publizist und Blogger Jeff Jarvis erklärt, da wendet sich der Film der auflagenstärksten Tageszeitung Indiens zu, der „Rajasthan Patrika“ mit drei Millionen Exemplaren täglich. Und ihrem selbstbewussten Herausgeber Gulab Kothari („Wir schaffen uns keine Leser, sondern Anhänger“) sowie ihren nicht nur wohlhabenden Lesern, die am Lagerfeuer – wo eine Zeitung ja auch praktischen Nutzen hat – durch die Seiten blättern. Und einem ihrer Zusteller, der das Blatt gekonnt über Gartenmauern wirft und bereits nachts auf menschenleerer Straße von ungeduldig wartenden Kunden angerufen wird: „Ohne Zeitung schmeckt ihnen das Frühstück nicht“, erklärt der Zusteller.

Man muss weit reisen, um noch ganz ungebrochen von der alten Papier-Romantik erzählen zu können. Doch in diesem unterhaltsamen Film werden die alten Zeiten nicht glorifiziert, die neuen nicht rundweg verdammt. Die Autoren, die selbst in den 1980er Jahren als Journalisten bei der französischen „Libération“ arbeiteten, beschränken sich auf wenige, bisweilen ironische Kommentare. Die mit Einblicken in den Alltag von großen (NYT, Le Monde, Guardian, Bild) und kleinen Redaktionen gewürzten Statements von Journalistinnen und Journalisten, von Chefredakteuren, Herausgeberinnen, Wissenschaftlern, Philosophen und Kioskbesitzern ergeben einen vielstimmigen Chor. Oft werden sie als Rede/Gegenrede montiert. Eine Methode, die immer wieder zu neuen Fragen führt, aber nicht zu Gewissheiten.

Interessant außerdem: Von Frankreich aus gesehen erscheint die Lage in Deutschland noch nicht sehr dramatisch. Die Autoren staunen über das Angebot am Kiosk und konstatieren: „Hier blüht die Presselandschaft, aber auch hier ist die Krise spürbar.“ Sie beschränken sich auf den digitalen Vorreiter: den Springer Verlag. Vorstandschef Mathias Döpfner kleidet seinen Abgesang auf die alte Print-Welt in eine charmante Formel („die Idee der Zeitung vom Informationsträger Papier emanzipieren“) und warnt etwas diffus vor der „von Lobbyisten auf der ganzen Welt propagierten These“, dass in der digitalen Welt Informationen frei verfügbar seien. „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters kommt ebenfalls zu Wort, „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann („Ich tweete ja meinen ganzen Alltag“) fabriziert ein vollbärtiges Selfie. Diese Selbst-Inszenierung ist womöglich aussagekräftiger als die jüngsten Quartalszahlen. Thomas Gehringer

„Journalismus von morgen – Die virtuelle Feder“; Arte, Dienstag, 21 Uhr 30

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