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Von Integration bis Narzissmus: Wenn uns die Welt gehört

Sechs Filme mit „Gefühlsecht“-Siegel im ZDF: Wie der Nachwuchs Deutschland sieht.

Zum 13. Mal gibt sich das in der alljährlichen Sommer-Wiederholungslethargie daniederliegende ZDF ausgesprochen „Gefühlsecht“. Sechs im Zweiten erstmals ausgestrahlte Kino-Koproduktionen stehen in den nächsten zwei Wochen auf dem Programm des Senders und seiner digitalen Ableger, davon fünf vornehmlich für Nachteulen oder Menschen mit DVD-Rekorder. Die Bandbreite der Stoffe und Genres reicht von sanften Abnabelungsprozessen über archaische Männlichkeitsrituale zum postnatalen Trauma, vom beschwingten Märchenfilm über den ernsthaften Liebes-Diskurs bis zur temporeichen Klamauk-Komödie. Individuelle Handschriften dominieren. Die Filme dieser „Gefühlsecht“-Reihe benötigen nicht mehr – wie viele der spröden Debütfilme des „Kleinen Fernsehspiels“ früher – den wohlmeinenden Zusatz: „Darauf muss man sich einlassen.“ Einige der Filme lassen es krachen, alle sind konzentriert am Thema, nah an den Figuren und keineswegs konfliktscheu.

Den Auftakt macht heute, ausnahmsweise auf dem 20.15-Uhr-Termin, „Salami Aleikum“ von Ali Samadi Ahadi, eine federleichte Multikulti-Komödie um einen deutsch-persischen Traumtänzer, der im Ossi-Land strandet. Er gibt den Menschen dort das, was sie brauchen: Hoffnung. Und er begegnet Ana, der Kfz-Werkstattbesitzerin – groß, blond, breitschultrig, einst Kugelstoßerin in der DDR. Der Film zeigt Klischees, um sie lustvoll beiseitezufegen. Bekommt der schmächtige Moslem noch am ersten Tag vom grinsenden Wirt, gespielt von Wolfgang Stumph, Nierchen serviert, rollt ihm bald ein ganzes Dorf den Gebetsteppich aus. Dazu wird getanzt, gesungen, in die Kamera gesprochen, mit Animationen jongliert. Bei allem Spaß aber dringt das Thema Heimat in verschiedensten Facetten an die bunte Oberfläche dieses bezaubernden Films.

Das Spiel mit tradierten Rollenbildern und gesellschaftlichen Erwartungen sowie die verschiedenen Möglichkeiten, damit umzugehen – davon erzählen alle „Gefühlsecht“-Filme. Kann Gewalt da eine Lösung sein? „66/67 – Fairplay war gestern“ (20.7.) von Carsten Ludwig ist ein Film aus der Gattung „tickende Zeitbomben“. Zwei Dinge eint die sechs Männer um die 30: das Nicht-erwachsen-werden-Wollen und die Liebe zu Eintracht Braunschweig, in der Saison 1966/67 Meister, heute zweite Liga. Kicken und Kloppen bis zur Besinnungslosigkeit. Da wird nicht kaputt gemacht, was kaputtmacht, es ist die innere Leere, die mit Gewalt gefüllt wird. Fabian Hinrichs und Christoph Bach haben ihre Robert de Niros und Harvey Keitels genau studiert. Gegen dieses hoch physische Kinokleinod muss „Wenn die Welt uns gehört“ (3.8.) von Antje Kruska und Judith Keil ein wenig abfallen. Aber auch dieser Film, der von sozialer Ohnmacht und den Allmachtsfantasien noch unreifer Jungs erzählt, ist von großer Eindringlichkeit. Drei Außenseiter in einer ostdeutschen Kleinstadt verlieren sich im spirituellen Kult. Unaufhaltsam wie eine klassische Tragödie und doch im Gewand eines dokumentarisch anmutenden Realismus führt der Weg in die Katastrophe.

Diesen harten, „männlichen“ Filmen stehen zwei „weibliche“ Dramen gegenüber, in denen sich die Kraft selbstzerstörerisch nach innen wendet. „Cindy lebt hier nicht mehr“ (25.7.) entwirft ein Liebesszenario in Zeiten von Facebook und StudiVZ. Im Zentrum: zwei Nebenbuhler, die sich nicht auf die Nase hauen, sondern gemeinsam ihrer weiblichen Projektion hinterherlaufen. Sie suchen ihre Maria (hinreißend: Anne Schäfer) und finden sich selbst. Die Sache mit Cindy, das ist eine andere Geschichte – aber eine ähnliche Frau, die sich nur stark und lebendig fühlt, wenn sie geliebt wird. Da reicht ein Liebhaber nicht aus. Der Narzissmus der Heldin in dem Film von Hannah Schweier trägt pathologische Züge.

Eine klinische Zwischenphase erlebt auch eine unlängst Gebärende in „Das Fremde in mir“ (1.8.). Die viel beschworene, bedingungslose Mutterliebe ist ihr ebenso fremd wie ihr Baby. Die Filmemacherin Emily Atef folgt der überragend von Susanne Wolf gespielten Heldin bei ihrer schmerzhaften „Mutterwerdung“ – die Ereignisse sachlich registrierend aus einer fast schon therapeutischen Sicht. Zur Hauptsendezeit hätte aus dieser Geschichte ein Schreckensszenario werden müssen, in dem wohl kaum beide, Baby und Mutter, hätten überleben dürfen.

Die jungen „Gefühlsecht“-Filme zeigen, dass ein Krimi-Gen nicht existiert. Die Zwanghaftigkeit, jede Geschichte in krimihafter Zuspitzung zu erzählen, ist offenbar eine Mutation reiferer Redakteure, die nach jahrelangem Studium von Spannungs- und Verlaufskurven offenbar nur noch in der Lage sind, in Affekt- und Effektkategorien zu denken.

„Salami Aleikum“, 20 Uhr 15, ZDF

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